Wie funktionieren Cum-Ex, Cum-Cum und Cum-Fake? Teil 1 der Cum-Ex-Serie
Es ist der größte Steuerskandal Europas, vielleicht sogar weltweit: Cum-Ex-, Cum-Cum- und seit noch nicht allzu langer Zeit auch Cum-Fake-Geschäfte, mit denen teils Kriminelle, teils zumindest moralisch fragwürdig handelnde Akteure diverse Staaten über Jahre hinweg um etliche Milliarden Euro erleichterten. Konkret sollen es Schätzungen von Steuerfachleuten zufolge insgesamt mehr als 150 Milliarden Euro gewesen sein. Im ersten Teil der Serie rund um die “Cum-Geschäfte” wird erklärt, was die Begriffe bedeuten, welche Faktoren derartige Geschäfte ermöglichen und wie sie ablaufen.
Generell geht es bei den “Cum-Geschäften”, die alle eine gemeinsame Grundstruktur haben, um die Erschleichung von Steuerrückerstattungen. Die Begriffe “Cum” und “Ex” stammen aus dem Lateinischen und beziehen sich im vorliegenden Kontext auf die Dividendenansprüche für Aktien. Diese werden entweder mit (cum) oder ohne (ex) Dividendenansprüche(n) übertragen.
Cum-Ex
Beim klassischen Cum-Ex-Geschäft, das heute technisch nicht mehr möglich ist, handelten mindestens drei Beteiligte um den Dividendenstichtag herum Aktien eines DAX-Konzerns mit und ohne Dividende. Der Stichtag ist der Tag der Hauptversammlung, an der die Aktionäre sich treffen und über die Dividende entscheiden, die an sie ausgeschüttet werden soll. Die Ausschüttung selbst findet dann erst einige Zeit später statt. An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass für Privatpersonen automatisch eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % auf die Dividende erhoben wird, wohingegen institutionelle Anleger wie Banken oder Fonds von der Steuer ausgenommen sind und sich diese erstatten lassen können. Zunächst wurde die Steuer jedoch bis Anfang 2012 von der Aktiengesellschaft direkt an das Finanzamt abgeführt. Näheres zur entsprechenden Reform folgt in Teil 2 der Cum-Ex-Serie.
Die Grundlage für das Gelingen des Geschäfts waren Urteile und Beschlüsse des Bundesfinanzhofs, die bestätigt hatten, dass das wirtschaftliche Eigentum von Aktien bereits mit dem Vertragsabschluss auf den Käufer übergeht, auch wenn diese noch nicht in seinem Depot vorliegen. Der Käufer kann somit die Kapitalertragsteuer geltend machen, obwohl er die betreffenden Aktien am Dividendenstichtag nicht besaß. Anstatt wie anfänglich intendiert nur auf gedeckte An- und Verkäufe börsengehandelter Aktien wurden diese Beschlüsse später praktisch auch auf Leerverkäufe angewandt.
Der Ablauf des Cum-Ex-Geschäfts gestaltete sich wie folgt: Vor dem besagten Stichtag erwarb einer der Akteure, beispielsweise eine deutsche Bank (B), Aktien mit Dividendenanspruch. Da die Dividende zu diesem Zeitpunkt noch eingepreist war, hatten die Aktien einen vergleichsweise hohen Wert. Der Verkäufer der Aktien (LV) besaß jene allerdings noch gar nicht, sondern hatte sie sich von einem anderen Akteur (A) geliehen und führte somit einen Leerverkauf durch. Gemäß Kaufvertrag wurden die erworbenen Aktien mit Dividendenanspruch (cum) geliefert, im Fall einer verspäteten Lieferung hingegen ohne (ex). Dafür wurde der Käufer mit einer Zahlung entschädigt, die der Nettodividende, also der Dividende minus der Steuer, entsprach. Bei der Ausschüttung erhielt A als eigentlicher Inhaber der Aktien die Dividende abzüglich der Kapitalertragsteuer sowie eine Steuerbescheinigung, mit der er sich die gezahlte Steuer erstatten lassen konnte. Nach der Dividendenausschüttung hatten die Aktien an Wert verloren und der Leerverkäufer kaufte A diese zum aktuell niedrigeren Preis (der vorherige Preis minus Dividende) ab und erfüllte seinen Vertrag mit der Käuferbank B. Da B ein Aktienpaket ohne Dividendenanspruch bekam, leistete der Leerverkäufer die Kompensationszahlung. Aufgrund der Tatsache, dass B ursprünglich Cum-Aktien akquiriert hatte, stellte sie sich selbst eine Steuerbescheinigung für die vermeintlich bezahlte Kapitalertragsteuer aus. Dem Finanzamt gegenüber erläuterte B, dass die Steuer durch den Erwerb von Cum-Aktien bereits einbehalten worden sei. Der Leerverkäufer hatte die Aktien zum Stichtag jedoch nicht besessen, sodass von ihm dementsprechend auch keine Steuer abgeführt worden war. Da im Computer nicht vermerkt wurde, ob Aktien mit oder ohne Dividende geliefert wurden, wurde vom Normalfall ausgegangen und die Steuer erstattet. Die Käuferbank B verkaufte die Aktien nun wieder zu dem Preis, den der Leerverkäufer an A bezahlt hatte, an A zurück. Auf diese Weise hatten sich sowohl A als auch die Käuferbank B die nur einmal gezahlte Steuer erstatten lassen und die drei Akteure teilten den Gewinn untereinander auf.
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Zur Veranschaulichung ein Zahlenbeispiel: A besitzt 5 Millionen Aktien im Wert von jeweils 200 Euro, das Aktienpaket hat also einen Gesamtwert von einer Milliarde Euro. Kurz vor dem Stichtag verleiht A die Aktien an LV, der sie zum Preis von einer Milliarde Euro mit Dividendenanspruch an die Käuferbank B verkauft. Auf der Hauptversammlung wird nun eine Dividende in Höhe von 20 Euro pro Aktie beschlossen, sodass A als Besitzer der Aktie bei der Ausschüttung 75 Millionen Euro erhält. Die restlichen 25 Millionen Euro werden von der Aktiengesellschaft als Kapitalertragsteuer an das Finanzamt abgeführt und später wieder an A zurückerstattet. Nach der Ausschüttung kauft der Leerverkäufer LV dem Akteur A die Aktien zu einem Kurs von 180 Euro pro Aktie (entspricht dem Ursprungspreis von 200 Euro minus der Dividende von 20 Euro), also insgesamt 900 Millionen Euro ab. LV muss seinen Vertrag mit B erfüllen und übermittelt ihr die Aktien. Da diese anders als im Kaufvertrag vereinbart ohne Dividendenanspruch geliefert werden, ist LV zur Kompensationszahlung in Höhe von 75 Millionen Euro (entspricht der Nettodividende) verpflichtet. LV hat von B ursprünglich eine Milliarde Euro erhalten und somit einen Gewinn von 25 Millionen Euro erwirtschaftet. Diese fehlen B, um auf den vollen Kaufpreis zu kommen. Angesichts des im Kaufvertrag ausgemachten Erwerbs von Cum-Aktien stellt B sich selbst eine Steuerbescheinigung aus und lässt sich die angeblich gezahlte Kapitalertragsteuer (25 Millionen Euro) erstatten. Anschließend verkauft B die Aktien zum Preis von 900 Millionen Euro wieder an A. Den Gewinn in Höhe der Steuer von 25 Millionen Euro teilen sich die Käuferbank B, der Leerverkäufer LV und der dritte Akteur A.
Der oben beschriebene Ablauf war eine mögliche Variante des Cum-Ex-Geschäfts, es konnten jedoch auch noch mehr Leerverkäufe zwischengeschaltet und somit eine höhere Anzahl an Akteuren beteiligt sein. Je mehr Leerverkäufe erfolgten, desto verwirrender wurde es für das Finanzamt, nachzuvollziehen, wem die Aktien tatsächlich gehörten und wer wirklich die Kapitalertragsteuer entrichtet hatte, sodass diese unter Umständen diverse Male zurückgezahlt wurde.
Cum-Cum
Während Cum-Ex-Geschäfte die mehrfache Rückerstattung einer nur einmal gezahlten Steuer zum Ziel haben, geht es bei Cum-Cum darum, ausländischen Inhabern deutscher Aktien einen unrechtmäßigen Steuervorteil zu verschaffen. Im Gegensatz zu deutschen Institutionen sind ausländische Organisationen nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Rückerstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden berechtigt. Genau das wird durch Cum-Cum-Geschäfte allerdings umgangen. Kurz vor dem Dividendenstichtag werden Aktien, deren Eigentümer ausländische Unternehmen sind, an deutsche Finanzdienstleister verliehen. Wird nun die Dividende ausgeschüttet, fällt Kapitalertragsteuer an, die sich die deutschen Einrichtungen, die zu dem Zeitpunkt Besitzer der Aktien sind, rückerstatten lassen. Nach dem Stichtag werden die Aktien wieder an den ausländischen ursprünglichen Inhaber übertragen, der die deutsche Institution an der Steuerersparnis beteiligt.
Cum-Fake
Der neuesten Variante der Cum-Geschäfte, Cum-Fake, liegen sogenannte ADRs (American Depository Receipts) zugrunde. Die zertifikatsähnlichen Ersatzpapiere werden benötigt, um in den USA alternativ zum Direkthandel stellvertretend mit ausländischen Aktien handeln zu können. Sie repräsentieren entweder eine vollständige ausländische Aktie oder den Bruchteil davon. Im Hinblick auf das umfangreiche Zulassungsverfahren der “Securities and Exchange Commission” (SEC), das sonst für die Börsennotierung ausländischer Wertpapiere vorausgesetzt wird, vereinfachen ADRs den Handel mit diesen enorm. Um ADRs einer deutschen Gesellschaft emittieren zu können, ist ein Depotvertrag zwischen der Depotbank und den zukünftigen ADR-Eigentümern sowie eine Hinterlegung der entsprechenden Anzahl von Aktien bei einer deutschen Hinterlegungsstelle, Custodian genannt, notwendig. Falls beim Custodian noch nicht genug Aktien vorliegen, tritt ein Sonderfall in Form eines Pre-Release-ADR in Kraft. Unter bestimmten Voraussetzungen und unter Versicherung, der wirtschaftliche Eigentümer der hinterlegten Aktien zu sein sowie der Depotbank bis zur Hinterlegung alle Rechte zu übertragen, kann ein amerikanischer Pre-Release-Broker die Emission solcher ADRs vornehmen. Er nimmt damit den Platz der deutschen Hinterlegungsstelle ein und ist verpflichtet, die Kapitalertragsteuer, die am Sitz der jeweiligen AG fällig wird, zu bezahlen und den Nettobetrag an die Depotbank zu übermitteln. Diese Maßnahme soll zur Überbrückung der Abwicklungszeiten für Aktienhandel zwischen den Vereinigten Staaten und dem Ausland dienen. Zur Verhinderung einer Vervielfachung der Wertpapiere muss die Depotbank in der Regel innerhalb von fünf Werktagen die zu den ADRs passenden Aktien hinterlegen. Dies geschieht jedoch häufig erst verspätet oder gar nicht, sodass es sich im zweiten Fall bei den Pre-Release-ADRs de facto um Phantomaktien handelt, also Papiere, für die gar keine tatsächlich gekauften Aktien hinterlegt sind. Wenn den Anlegern trotzdem eine Steuerbescheinigung für eine Kapitalertragsteuer ausgestellt wird, die aufgrund der fehlenden Aktien nie gezahlt wurde und diese fälschlicherweise rückerstattet oder angerechnet wird, findet Steuerbetrug statt.