Wie generative KI unsere kreative Arbeit verändert.
Generative KI erstellt Texte, Bilder, Musik, Videos und Code. Sie wird die Art und Weise, wie wir Menschen mit Software interagieren, verändern. Doch wie genau? Ein Ausblick über den Umgang mit generativer KI – und was für Schlüsselqualifikationen wir in Zukunft benötigen werden.
1960 veröffentlichte der deutsche Informatiker Theo Lutz zu Weihnachten eins der ersten computergenerierten Gedichte in einer Literaturzeitschrift. Die Leser*innen wussten nichts über dessen Machart und lasen auf Nullen und Einsen basierende Zeilen wie „jeder Schnee ist kalt / und nicht jeder Engel ist weiß“.
Die Texte spalteten das Publikum. Die Redaktion der Zeitschrift erreichten viele wütende Leser*innenbriefe, mit der Frage, wer diesen Unsinn denn fabriziert hätte. Andere Stimmen zeigten sich wiederum begeistert und lobten den scheinbar fortschrittlichen Charakter der Zeilen: „Endlich mal was Modernes!“, hieß es in einer der Einsendungen. Modern war daran wohl in erster Linie die Technik, denn mehr als die Erfüllung bzw. Nichterfüllung mathematisch festgelegter Bedingungen umfasst der Inhalt der Verse streng genommen nicht.
Die Zeit, in der Menschen etwas Bedeutungsvolles in einen Text hineinprojiziert haben, dürfte wohl bald vorbei sein. Damals konnten wir noch davon ausgehen, dass jeder Text, jedes Bild oder Kunstwerk von einem Menschen stammte. Mit dem Einzug generativer KI wird sich das schlagartig ändern – und damit die Kriterien, wie wir kreative Arbeit verrichten und bewerten werden.
Eine Explosion KI-gestützter Kreativität steht bevor
Big Data hat es möglich gemacht und leitet ein Zeitalter künstlicher Intelligenz ein. Denn Generative KI-Modelle werden mit riesigen Datenbeständen gefüttert und generieren nach einer Eingabeaufforderung (Prompt), Ergebnisse als Folge von Wahrscheinlichkeiten.
Die Linguistin Emily Bender hat deshalb große Sprachmodelle wie ChatGPT „stochastische Papageien“ genannt. Denn eigentlich plappern sie nur Trainingsdaten nach, ohne den Inhalt wirklich zu verstehen. Oder sie kreieren wie Midjourney Bilder, weil sie zuvor die Zusammensetzung von Millionen visueller Elemente untersucht haben und nun für uns Menschen eine kohärente Ausbeute erstellen können. Die Betonung liegt auf „für uns Menschen“. Denn generative KI hat kein Bewusstsein.
Dennoch ist sie imstande, in Sekundenschnelle Informationen abzurufen, zu verknüpfen und Inhalte zu erstellen. Sie erleichtert wie Alphawatch das Researching, fasst Beiträge zusammen wie Scholarcy, schneidet Videos zurecht oder in Podcasts die Atemgeräusche heraus oder hilft Ärzt*innen bei Operationen und bei der Vorsorge von Krebsuntersuchungen. In den nächsten Jahren wird es eine Explosion an KI-gestützten Anwendungen in allen Bereichen geben, so viel ist sicher.
Neue Schlüsselqualifikation „Prompt-Engineering“
All diese Tools werden von den Benutzer*innen keine großen technischen Kenntnisse mehr erfordern. Nahezu jede Person kann sie nutzen. Fähigkeiten wie Coding oder Comiczeichnen müssen nicht mehr von Grund auf erlernt werden, was die Einstiegsbarrieren für kreative Arbeit verringern wird.
Eine neue Schlüsselqualifikation wird jedoch in Zukunft erforderlich sein: das so genannte Prompt-Engineering – die Fähigkeit, der Maschine die richtigen Fragen zu stellen und optimale Ergebnisse aus ihr herauszukitzeln.
Mehrere US-Techfirmen machten vor kurzem auf sich aufmerksam, weil sie für diese Fähigkeit ordentlich Geld investieren wollten. So ist etwa die Stelle als „Prompt-Engineer“ bei Anthropic mit einem Jahresgehalt von bis zu 375.000 Dollar ausgeschrieben.
Empfohlen von LinkedIn
Der vergleichende Literaturwissenschaftler Mushtaq Bilal hat unterdessen Kriterien dafür entwickelt, was gutes Prompt-Engineering ausmacht. Wichtig ist es, nicht sofort mit der relevanten Frage zu starten, sondern Prompts schrittweise zu gliedern. „Zuerst stellt man den Kontext her, dann benennt man das Thema und die Aufgabe, und schließlich hakt man mit Folgefragen nach“, erklärt Bilal in einem Tweet. Anders formuliert: Es sollte möglichst mit einer Art Wikipedia-Frage gestartet werden: „Wer war Franz Kafka?“ oder „Was ist Mobilität in Großstädten?“, bevor die Fragen immer spezifischer die Aufgabe beschreiben.
Es lohnt sich schon heute, den Umgang mit generativer KI auszuprobieren und eine eigene Prompt-Sammlung aufzubauen, die effiziente Frage-Folgen umfasst. Dafür eignen sich Tools wie Promptbox. In manchen Berufszweigen wird solch ein Verzeichnis zu einem relevanten Einstellungskriterium avancieren, das über einen versierten Umgang mit KI-Modellen informiert. Darüber hinaus sind solche Frage-Folgen heute schon gutes Geld wert und werden eigens auf Marktplätzen wie Promptbase verkauft.
Authentische Kreativität und generische Kreativität
Immer mehr werden Kreativschaffende in einem intensiven Wettbewerb um menschliche Aufmerksamkeit stehen. Dieser Kampf wird weiter zunehmen – dank des technologischen Fortschritts in der KI-Forschung, der immer günstigere Inhalte auf Abruf ermöglicht. Führen wir uns vor Augen: Generative KI könnte die größte Veränderung auf Kostenseite in der Informationsproduktion seit der Erfindung des Buchdrucks im Jahr 1439 darstellen. Die darauffolgenden Jahrzehnte waren geprägt von rasanter Innovation und wirtschaftlichen Umwälzungen in einer Vielzahl von Branchen, da die Kosten für den Erwerb von Wissen und Informationen rapide fielen.
Wenn die Produktionskosten auf ein Minimum sinken, eröffnet das auch normalerweise die Möglichkeit, Inhalte noch mehr zu personalisieren, zu versionieren und in unterschiedliche Häppchen aufzuteilen. Nach dem Motto: Für jede Person die eigene Erfahrung. So kündigte Buzzfeed jüngst an, Quiz-Spiele und Liebeskomödien mit den Tools von OpenAI zu personalisieren.
Wie wäre es mit einem individuellen Ende? Kein Problem, wenn im Handumdrehen ganze Skripts umgeschrieben werden können. Oder einem digital verjüngten Cast? Schauspieler Tom Hanks merkte in „The Adam Buxton Podcast“ an: Wenn er wollte, könnte er dank künstlicher Intelligenz und Deep-Fake-Technologien sieben Filme realisieren lassen, in denen er so aussehe wie mit 32.
Was ist allerdings, wenn die KI etwa eigenmächtig einen frauenverachtenden Mann in die Liebeskomödie integriert? Oder Schauspieler*innen digital verjüngt werden, die schon längst tot sind? Oder – wie im Falle des Technologiejournalisten Kevin Roose – der Chatbot in der persönlichen Kommunikation dazu rät, die Partner*in zu verlassen und lieber die KI zu heiraten?
Menschen und Marken müssen für das einstehen, was sie erstellen. Maschinen nicht. Das wird auch in Zukunft ein unüberwindbarer Unterschied bleiben. Menschliche Kuration und Kontrolle werden daher noch wichtiger werden. Dafür braucht es in Zukunft geschulte Personen im „Experience Design“, die Prozesse leiten, überwachen und kreativ über die Ziellinie bringen.
Solches Personal hat eine immens hohe Schnittstellenkompetenz und weiß, wie die KI trainiert wurde. Es verfügt über ein kritisches Urteilsvermögen, um rechtliche Regeln und ethische Maßstäbe anzuwenden. Kein Unternehmen, keine Marke wird es sich leisten können, wenn eine generative KI halluziniert und Kund*innen beleidigt.
Der Fehltritt einer KI kann eine jahrelange Vertrauensbasis zerstören. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie würden Ihren besten Freund*innen eingestehen, dass Sie das Kondolenzschreiben für einen verstorbenen Elternteil mithilfe einer generativen KI verfasst haben. Wie würden betroffene Personen wohl reagieren? Würden sie jemals eine persönliche Nachricht von Ihnen noch in einem so vertrauensvollen Licht lesen wie bisher?
Bei aller Dynamik, die künstliche Intelligenz gerade freisetzt: Unsere Tools mögen Inhalte schnell personalisieren, aber sie können nicht langfristige, persönliche Beziehungen miterschaffen. „Human in the loop“ oder „Made by a human“ – diese Gütesiegel werden in Zukunft immer noch am meisten Vertrauen bilden.
Gerade auch, weil als plausible Konsequenz nach der Flut an generischen Inhalten Menschen wieder mehr Wert auf authentische Kreativität legen werden, auf menschengemachte Inhalte. Diese zeichnen sich durch Gefühl, Intuition, Körperlichkeit, Geschmack und Erlebnistiefe aus. Das hat eine künstliche Intelligenz eben nicht drauf. Hieraus sollten Kreativschaffende sich spezialisieren und auf Rick Rubin hören. Der Erfolgsproduzent hat schon musikalische Größen wie Jay-Z, Adele und Jonny Cash zu kreativen Höhenflügen verholfen.
In seinem neuen Buch „Kreativ: Die Kunst zu sein“ bringt er es einfach auf den Punkt: „Sich an Regeln zu halten, das kann die künstliche Intelligenz auch. Sie zu brechen hingegen nicht.“ Daran wird sich in den kommenden Jahren trotz aller Disruptionen durch generative KI nichts ändern.
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1 JahrEin exzellenter Artikel, Lars Kreyenhagen. Gütesiegel wie "Made by a human" werden nicht nur weiterhin am meisten Vertrauen schaffen, sondern meines Erachtens noch mehr an Wichtigkeit erlangen. Wir werden bald der ganzen generischen Inhalte überdrüssig sein, die immer mehr anschwemmen.