Wie Sie ruhige Mitarbeiter aktivieren
Als Führungskraft sind Ihnen Menschen unterstellt, die durch unterschiedlichste Persönlichkeitsmerkmale charakterisiert sind. Sie kennen Ihr Team genau und wissen, wer welche Stärken hat und wo noch Entwicklungsbedarf besteht. Es gibt sogenannte Zugpferde, die schnell und mit Bestimmtheit das Wort ergreifen und es gibt Kollegen, die selten oder nie einen Beitrag in der Diskussion leisten.
Zu den Führungsaufgaben gehören neben der direkten Mitarbeiterführung die Leitung der Organisationseinheit sowie die Fähigkeit, sich selbst gut zu führen. Die Verantwortung für das Erreichen der Ziele Ihrer Gruppe oder Abteilung liegt somit in Ihrer Hand.
Betrachten wir die Tatsache, dass ein gewisser Anteil Ihrer Mitarbeiter sich scheinbar nicht genug in den Leistungsprozess einbringt. Trotz sehr guter Qualifikationen und Berufserfahrungen erleben Sie diese Kollegen als zu still und zurückhaltend in der täglichen Arbeit. Der verwertbare Out-Put ist im Vergleich zu anderen Mitarbeitern gering oder kommt nur langsam und zaghaft.
Als gute Führungskraft haben Sie schon einiges versucht, die Leistungsbereitschaft Ihres Teams zu fördern und auf ein möglichst einheitliches Niveau zu heben. Auch in Einzelgesprächen waren Sie aktiv, um zu motivieren und persönliche Ziele festzusetzen.
Trotzdem spüren Sie immer wieder in Meetings oder Diskussionsrunden eine „Gläserne Wand“. Auf der einen Seite die aktiven und auf der anderen Seite die passiven Teilnehmer.
In den meisten Fällen können Sie davon ausgehen, dass es sich ebenso wenig um Desinteresse wie um mangelnde Leistungsbereitschaft handelt. Betrachten wir die Angelegenheit ausgehend vom Wissen um die verschiedenen Persönlichkeitstypen etwas genauer.
Es klingt erstaunlich, wenn wir hören, dass ca. 30-50 Prozent der weltweiten Bevölkerung zum introvertierten Persönlichkeitstyp gehören. Neben einer breiten Mittelschicht der Mischtypen ist der Anteil der extrovertierten Menschen etwa genauso groß. Erstaunlich ist es deshalb, weil unsere Wahrnehmung etwas anderes suggeriert. Die Autorin Susan Cain vergleicht in ihrem Buch „Still“ die beiden Persönlichkeitstypen mit dem Norden und dem Süden des Temperaments.
Unsere Welt und insbesondere unsere Arbeitswelt ist geschaffen für Persönlichkeiten, denen es leicht fällt, aus sich herauszugehen und die gern und möglichst oft kommunizieren. Die Extraversion wurde zum Ideal unserer Gesellschaft. Als klassisches Beispiel können wir den Siegeszug des Großraumbüros betrachten. Grenzenlose Kommunikation, viel Raum zum unkomplizierten Teilen und Entwickeln von Ideen und Arbeiten auf Augenhöhe, da oft auch die Vorgesetzten ihren Schreibtisch im offenen Bereich haben. Das waren die Vorteile und der erwartete Nutzen. Hören wir uns unter den Mitarbeitern um, gibt es durchaus einen Teil, der diesen Nutzen spürt und in gute Arbeitsergebnisse umsetzt. Wir hören aber auch andere Meinungen. Dort geht es zum Beispiel um Schwierigkeiten, sich in der allgemeinen Geräuschkulisse zu konzentrieren, oder um den Wunsch, zuerst in Ruhe nachzudenken und die Gedanken zu sortieren, ehe man sich an einer Diskussion beteiligt.
Dass Introvertierte anders denken als Extrovertierte, liegt an der unterschiedlichen Gewichtung des aktiven und des ruhigen Teiles des vegetativen Nervensystems. Auch verläuft die Verarbeitung von äußeren Sinneseindrücken in unterschiedlichen Bahnen. Was den einen Lebenselixier ist und sie zu Höchstleistungen anspornt, kann den anderen schnell zu viel werden und sie in ihrer Effektivität behindern. Susan Cain nennt in diesem Zusammenhang den Begriff der Überdosis kreativer Zusammenarbeit.
Hinter jeder Entscheidung einer Führungskraft steht die Frage: Was ist gut für das Unternehmen? Dazu gehören ohne Zweifel motivierte Mitarbeiter. Susann Cain schreibt:
"Introvertierte sind ... imstande, sich im Dienste einer für sie wichtigen Sache, für Menschen, die sie lieben, oder für irgendetwas, was sie hoch schätzen, wie Extravertierte zu verhalten."
Diese Fähigkeit erlaubt es ihnen, sich temporär den Erwartungen anzupassen. Es ist ein Kraftakt, den viele ruhige Mitarbeiter in Kauf nehmen, weil sie ihre Arbeit lieben. Sie verfolgen mit ihrer Tätigkeit ein wichtiges persönliches Anliegen, welches sie als sinnvoll und umsetzbar empfinden und das von anderen unterstützt wird.
An dieser Stelle kommt vielleicht Unbehagen auf, insbesondere wenn man nach dem Motto lebt: Sei dir selber treu. Vielen Menschen widerstrebt es, sich -sei es nur für eine kurze Zeit- zu verstellen. Das Geheimnis erfolgreicher Introvertierter liegt darin, sich nicht einzureden, ein anderes Naturell zu haben, sondern sie tun nur so, als wären sie extravertiert. Diese Gratwanderung kann sehr aufreibend sein, aber wenn ihre Mitarbeiter sich im Dienste ihrer Berufung oder ihrer Überzeugung der Nützlichkeit ihrer Arbeit dazu entscheiden, bleiben sie sich dabei selbst treu.
Sie als Führungskraft können bereits mit kleinen Korrekturen an den Rahmenbedingungen Möglichkeiten für alle Mitarbeiter schaffen, sich effektiv einzubringen. Sehr gut funktionieren zum Beispiel separate Räume, in denen sich ihre Mitarbeiter zeitweise zum ungestörten Nachdenken zurückziehen können. Sie werden erstaunt sein über die Kraft und Effizienz des Alleinarbeitens.
Ein anderes Beispiel: Nicht immer muss Brainstorming mündlich im Team erfolgen. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter ihre Gedanken und Ideen vorab in Ruhe auf kleine Kärtchen schreiben und sehen Sie diese in einem moderierten Meeting gemeinsam durch. So lernen Sie nicht nur die Meinungen der Schnellen und Spontanen kennen, sondern auch die der Ruhigen, die niemals einen Gedanken unüberlegt über ihre Lippen kommen lassen würden.
Achten Sie auch darauf, ihren Mitarbeitern die Wichtigkeit ihrer Arbeit zu kommunizieren. Stille Menschen sind bereit und dazu in der Lage, über ihren Schatten zu springen, wenn sie sich der Bedeutung und Wertschätzung ihrer Tätigkeit sicher sind.
Welche Erfahrungen haben Sie als Führungskraft mit stillen Mitarbeitern? Und vor welchen Herausforderungen stehen Sie, wenn Sie selbst introvertiert sind? Ich freue mich über Ihre Kommentare!