Wir müssen altersgerechtes Arbeiten fördern!
Dr. Benedikt Erdmann, rechts im Bild Titelbild ©Jochen Rolfes

Wir müssen altersgerechtes Arbeiten fördern!

Mitarbeiter haben in unterschiedlichen Lebensphasen gänzlich unterschiedliche Bedürfnisse. Unternehmen müssen das endlich erkennen. Denn darin liegt eine große Chance.

 Lassen Sie uns ein Experiment machen. Wenn Sie an Diversität denken, dann denken Sie an Frauen. Wenn Sie an andersartige Arbeitsmodelle denken, denken Sie an Mütter und Väter, die zu Hause ein Kind versorgen müssen. Und wenn Sie an Teilzeit denken, dann vermutlich an jemanden, der Alleinerziehend ist. Stimmts? Dann sind Sie dem Fehler vieler Arbeitgeber und Manager aufgesessen, die zwischen all der Diskussion um mehr Diversität, Inklusion und Quote eine wichtige Gruppe an Menschen außer Acht lassen: ältere Mitarbeiter.

Diese Gruppe ist im heutigen Diskurs vollkommen unterrepräsentiert, obwohl sie zugleich eine immer größer werdende ist. Das zeigt schon ein Blick auf die demografische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Die Krux: Die Babyboomer stellen die größte Bevölkerungsgruppe dar – und für viele Unternehmen sind sie das „Rückgrat“ – quantitativ und qualitativ. Es mangelt meiner Meinung aber nach an Wertschätzung für diese Mitarbeitenden. Firmen und Arbeitgeber sollten das ändern – schon aus rein egoistischen Gründen.

Das Problem: Ältere Arbeitnehmer werden unterschätzt

Natürlich kennt jeder Arbeitgeber die Herausforderungen, die eine alternde Belegschaft mit sich bringen kann: mutmaßlich erhöhter Krankenstand, langsam nachlassende Leistung und steigende Kosten. Gefühlt öffnet sich eine Schere: Die Gehälter der Mitarbeiter sind über Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich gestiegen, doch die Belastbarkeit der Menschen kann manchmal nicht mehr mithalten. Das ist menschlich.

Oft entstehen diese Probleme daraus, dass Unternehmen den Mitarbeitern keine optimalen Konzepte bieten – und so im übertragenen Sinne das Geld zum Fenster rauswerfen. Das bedeutet nicht, dass wir eine Kuschel-Wohlfühl-Stimmung für ältere Mitarbeiter schaffen müssen, sondern endlich vernünftig, bedarfs- und leistungsgerecht einbinden sollten. Alles andere ist verschenkte Zeit.

Viel zu häufig gehen wir in von immer gleichen Bedürfnissen der Menschen aus, die in der Realität unterschiedlicher nicht sein könnten und deren Lebensphasen manchmal diametral zueinanderstehen. Diese Unterschiede in der Frage nach Führung, Verantwortung und Arbeitszeiten zu berücksichtigen, ist wichtig.

Unternehmen haben oftmals eine Lohndynamik implementiert, die es schwierig macht, generationenübergreifend faire Gehälter zu zahlen. So entsteht für die ältere Generation der fatale Eindruck „das Geld nicht mehr wert zu sein“, während die nachrückende Generation sich über mangelndes Entwicklungspotenzial beklagt. Beides lässt sich nur gemeinsam lösen. 

Die Lösung: So gehen Unternehmen es richtig an

Beginnen wir zunächst mit der problematischen Lohngestaltung. Die meisten Verträge sind darauf ausgelegt, dass es auch im Alter eine kontinuierliche Steigerung des Einkommens gibt, obwohl die Ausgabenseite wesentlich schwächer wächst oder sogar abnimmt. Viele – aber bei weitem nicht alle - ältere Mitarbeiter haben ein Luxusproblem: Wie erstrebenswert ist für einen 62-Jährigen kurz vor der Rente mit abbezahltem Haus, dessen Kinder schon für sich selbst sorgen, mit einer weiteren Gehaltserhöhung? Es ist ein Zeichen der Wertschätzung, darüber lässt sich schwerlich streiten. Doch zum einen ist die Leistung an diesem Punkt oftmals gar nicht auf dem Höhepunkt. Und zum anderen wäre eine andere Option für ihn womöglich besser geeignet: weniger Stunden zu arbeiten, bei gleichem oder nahezu gleichem Gehalt. Auch die Anpassung der Aufgaben kann eine Option sein. So kann er mehr Zeit mit der Familie und vielleicht bald sogar mit den Enkeln verbringen und gleichzeitig seinen Erfahrungsschatz ins Unternehmen einbringen.

Wir bei Soennecken bieten daher mehrere Möglichkeiten für ältere Arbeitnehmer an. Zum Ersten können sie auf Gehalt verzichten und dafür – wie alle Mitarbeiter – mehr Urlaub nehmen, so flexibel wie sie es eben brauchen. Zum Zweiten bieten wir Teilzeitmodelle an, so dass ab einem gewissen Alter stark reduzierte Stunden möglich sind. Zum Dritten wollen wir denen die Chance geben, die sich im Alter noch fit genug fühlen, und beschäftigen diese - wenn gewollt - als Mini-Jobber auch über den Renteneintritt hinaus. Diese Kombination aus Optionen bietet älteren Arbeitnehmern die Möglichkeit, flexibel und altersgerecht Leistungen zu reduzieren, ohne dass die Firma ihre Erfahrung verliert. Dazu gibt es natürlich noch die Menschen, die das Haus oder der Kredit noch nicht abbezahlt haben.

Darüber hinaus bieten wir unseren Mitarbeitern auch an, aus einer bisherigen Führungsposition wieder zurück ins Team zu treten und dort weiter mit der eigenen Erfahrung zu glänzen. Für mich persönlich wäre das kein Konzept, aber die Möglichkeit zu haben, ist ein elementarer Baustein einer modernen Unternehmenskultur.

Weitergedacht: Arbeitszeitmodelle muss es in allen Altersklassen geben

Firmen dürfen allerdings bei Arbeitszeitmodellen nicht nur an ältere Arbeitnehmer denken. Moderne Unternehmenskultur funktioniert nur, wenn es bedarfsgerecht für jedes Alter Optionen gibt – als Frau wie als Mann. Der frischgebackene Vater im Alter von 38 Jahren braucht womöglich an einem von fünf Tagen in der Woche einen freien Tag. Ein anderer hat mit der Partnerin oder dem Partner ein anderes Arrangement und möchte lieber mehr verdienen, in dem er mehr Verantwortung und Arbeit übernimmt. Beide Optionen sollten ihm oder ihr offenstehen, um in der richtigen Lebensphase das richtige Arbeitsmodell anzubieten. Im besten Fall gleicht die gewollte Mehrarbeit des einen, die gewollte Altersteilzeit des anderen aus.

Bei Soennecken machen wir den Arbeitnehmern zudem zwei Angebote, die aus der Praxis heraus geboren sind. Das sind zum einen die Pflegelotsen. Das sind Mitarbeiter von Soennecken, die Mitarbeiter zur Pflege von Angehörigen beraten und in individuellen Situationen auch unterstützen. Ergänzt dazu können die Mitarbeiter eine Pflegezeit analog zur Elternzeit beantragen, wenn beispielsweise ein Elternteil zum Pflegefall wird. Das zeigt, dass wir altersgerechte Arbeitsmodelle in jeder Lebenslage fördern.

Doch diese Angebote produzieren nicht so schöne Bilder, wie Kitas und glückliche junge Familien. Aber zum wirklichen Leben gehören auch pflegebedürftige Eltern und andere, schwierige Lebenssituationen. Es ist ebenso wichtig, diese im Blick zu haben. 

Langfristig: Es braucht einen Kultur-Shift

Zu guter Letzt braucht es dann einen Wandel in der Unternehmenskultur. Firmen brauchen einen realistischen, aber fortschrittlichen Umgang mit älteren Arbeitnehmern. Denn am Ende wollen wir alle in Würde altern, und das gilt auch für das Leben in der Firma, in der man immerhin einen großen Teil seines Lebens verbringt. Als Arbeitgeber sollten die oben beschriebenen Arbeitszeitmodelle ebenso zum Angebot gehören wie individuelle Lösungen, eine neue Denkweise und ein gebührender Respekt gegenüber älteren Arbeitnehmern.

Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Nicht bei allen älteren Mitarbeitenden leidet die Belastbarkeit, und es gibt auch viele, die ihre vollen Bezüge brauchen. Auch nicht alle jungen Menschen wollen in Teilzeit arbeiten oder planen ein Sabbatical.

Deshalb mein Appell: Bitte weniger Klischees, weniger Tabus und mehr individuelle Lösungen.

Diversität ist ein sehr diverses Thema. In der msg-Gruppe ist das Anpassen der Arbeitszeitmodelle nach dem privaten Lebenssituationen bereits umgesetzt und ich arbeite seit letztem Jahr in Teilzeit, um mein Ehrenamt zu pflegen. Warum? Mehr Geld macht nicht mehr glücklich. Danke, dass Sie mich daran erinnert haben, wie gut es mir geht.

Klaus Engels

Zukunftsfreude braucht Begeisterung und Leichtigkeit - Ambassador for Best Work

2 Jahre

So isses! Unternehmen und Organisationen benötigen lebensphasenspezifische Rahmenbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeitende. Daran wird Arbeitgeber-Attraktivität maßgeblich festgemacht werden. Und um es deutlich zu sagen, da ist noch ganz viel Luft nach oben. Danke für den wertvollen Anstoß der Diskussion darüber!

Silke Ratte

Prokuristin bei Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (RBW)

2 Jahre

Das Denken und die Möglichkeiten sollten individuell und lösungsorientiert für alle Beteiligten sein. Auch für die Kollegen im Team. Danke für die Erwähnung der Betrieblichen Pflegelotsen der Initiative „Kluge Köpfe bewegen“. Doch auch hierzu sei gesagt, dass die Pflege nicht nur von älteren Mitarbeitern geleistet wird. Es können auch Mütter oder Väter mit pflegebedürftigen Kindern sein - eben immer der Einzelfall. Und ich möchte noch einen Aspekt ergänzen: Das Wissensmanagement. Frühzeitig sollte sich ein Unternehmen darum kümmern, Wissen mit dem Ausscheiden erfahrener Mitarbeiter nicht zu verlieren. Die Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (RBW) hat dazu den Dialog mit Firmen aufgenommen, u.a auf Initiative von Dr. Tim Lopez von der gicom . Ich lade Sie, Herr Dr. Benedikt Erdmann , herzlich zu diesem Dialog ein! Es ist immer sehr inspirierend mit Ihnen über diese Themen zu sprechen. Darum danke für Ihren guten Artikel!

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen