Wir treffen uns in der Cloud
Mag sein, dass wir in einer Kultur der Digitalität leben und mag sein, dass es Grundschulen gibt, die schon in den vergangenen Jahren mit Padlet, Bookcreator und Mentimeter gearbeitet haben. Wir haben digitale Möglichkeiten im Unterricht bisher hauptsächlich für Text- und Bildbearbeitung, zu Recherchezwecken und für das Programmieren genutzt. Wir verhandeln gerade neu, wie und in welcher Form wir digitale Technik einsetzen. Und dieser Weg ist auch in einem kleinen engagierten Team kein leichter. Während der Schulschließung begannen wir unsere bisher datenschutzrechtlich bedenklichen Übertragungs-Systeme auf Teams umzustellen, aber ehe wir uns richtig eingerichtet hatten, entschieden wir uns für die Brandenburger Schulcloud. Ich erinnere mich noch gut, wie wir in den Ferien saßen und die neue Schulcloud auf unsere Laptops luden. Und schon das ist ja eine Privileg, wir hatten alle Laptops und wir hatten alle Lust, uns in den Ferien zu treffen. Da wir uns nicht auskannten, nörgelten wir die Admins an, die ja auch nur Admins geworden waren, weil sie irgendwann in den Tagen zuvor die Schulcloud eingerichtet hatten. Dachten wir wegen des Cloud-Designs noch, das sei alles viel einfacher und selbsterklärender als bei Teams, stellten wir nun fest, dass es nicht einfacher wurde. Wir würden sie nur benutzen, wenn wir nicht auf vertraute Übertragungs- und Kommunikationsformen ausweichen würden. Aber wir waren entschlossen und unser erster Elternabend nach den Sommerferien diente vor allem der Erläuterung der Umstellung auf die Schulcloud. Er fand im Freien statt und alle Eltern waren anwesend, wir verbuchten ihn als Erfolg. Die Emails für die Kinder bekamen wir dann trotzdem nur schleppend, nicht wegen Unverständnis, sondern familieninterner Prioritätensetzung. Also beschrieben wir weiter die Dringlichkeit, wie wichtig eine Lernplattform sei, in der sich die Kinder zurechtfinden und auf der sich alle Informationen sammeln. Wir wiederholten uns, aber es führte zum Erfolg. Dann kam der Tag X, an dem zumindest alle Kinder der Klassen 4-6 Zugang hatten. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Unterrichtsstunde in der Klasse 4. Wir klappten die mitgebrachten und in der Schule vorhandenen Laptops auf und übten, wie Dateien geladen werden, wo Aufgaben liegen würden und wie Texte gespeichert werden. Das war auch notwendig, denn wir wollten die Berichte für die Schulzeitung darüber kommunizieren. Unser Unterricht bestand in den ersten Schulwochen also einerseits aus klassischen Übungsinhalten, zum Beispiel dem Schreibenüben eines Informationstextes und andererseits dem Üben des Umgangs mit der Technik. Das ist nicht selbstverständlich, denn die Schüler*innen unserer Schule haben keine eigenen Laptops zu Hause und nutzen Smartphones in der Regel erst ab Klasse 7. Wir haben digitale Technik im pädagogischen Alltag integriert, gehen mit dem Einsatz aber sparsam um, weil wir das Montessorimaterial präferieren. Wir stolperten also auf dem Weg zum Laptop- Arbeitsplatz über unsere Kontinentenkiste und Bruchrechenkreise. Die Kollegin, für die der Distanzunterricht im Frühjahr eine enorme Kraftanstrengung bedeutete, war inzwischen krank geworden. Sie hätte am Unterricht teilnehmen können über BigBlueButton, so wie auch ein frisch operiertes Kind. Das Kind nahm teil, die Lehrerin nicht. Aber sie ist nun nach einer kurzen Auszeit wieder da und auch ganz zuversichtlich. Wir haben die Gruppen getauscht, sie ist eher bei den jüngeren Schüler*innen und probiert in kleinen Schritten aus, wie die Cloud funktioniert. Für die Kinder gibt es seit kurzem jeden Freitag ein Digital-Büro ein, in dem sie individuell und in kurzen Arbeitsphasen üben und die Netzregeln kennenlernen. Um so mehr wir mit der Cloud arbeiten, um so mehr stoßen wir an Grenzen. Wir stellen fest, wie lästig das ist, dass sie oft zusammenbricht und wir aktuell bestimmte Apps noch nicht laden können, weil sie aus Datenschutzgründen nicht freigegeben sind. Das Problem hätten wir bei Teams nicht gehabt. Wir haben zwar Materialfilme, die auf YouTube abrufbar sind, aber das funktioniert ja auch nur begrenzt, wenn die Schule wieder schließt. Die Kinder haben das Material nicht zu Hause, die Filme sind zum Ansehen und Verstehen. Das ist ja kein handelndes Lernen. Unser Thema im Quartal Erdkunde sind gerade die Völker der Welt. Im Rahmen des Projektes "Migrantas" arbeiten 2 Frauen aus Argentinien mit unseren Schüler*innen, ein sehr authentisches und großartiges Projekt. Die Kinder stellen in Gruppenarbeit Comics her, entwerfen Piktogramme, zeigen Improvisationstheater, packen Koffer mit den ihnen wichtigen Gegenständen, stecken Fahnen auf Steckkarten, stellen Tiere auf eine riesengroße Karten, um sie herum liegen Atlanten und andere Bücher. Wie bitte, überträgt man das in dieser Vielfalt auf den Distanzunterricht? Klar gibt es den Film zu den Schulwegen der Welt und Piktogramme sind im Netz auch zu finden, Fluchtgeschichten lassen sich in Videokonferenzen erzählen. Aber wir sind in der Grundschule, da gehen die Kinder nicht selbstverständlich mit den Optionen der Software um.
Und doch- wir bereiten uns auf den Distanzunterricht vor. Die Kiste auszupacken, fühlte sich fast an, wie die erste Begegnung mit dem Apfel. Was ich privat mag, muss ich in der Schule mit Sinnhaftigkeit beantworten. Welche Tools werden gebraucht und welche Zusatzkosten können wir tragen? Was ist mit den Schüler*innen der 1-3, die keine iPads haben werden und die Vorteile eines Touchscreens nicht nutzen können? Wir wollen keine Arbeitsblätter, wir arbeiten damit nicht in der Schule, wir wollen sie auch nicht im Distanzunterricht, auch nicht in digitaler Variante. Toll wäre eine Plattform, auf der ausschließlich freie Forschungsaufträge und Ideen für offene Arbeitsformen zu finden sind, zumindest für die Klassen 1-3.
Wir netzwerken, wir tippen, wir entwickeln und wir lernen weiter. Die Digitalisierung macht es möglich. Dass sie auch Potential für Auswüchse hat, wurde spätestens seit Trumps Wahl aber auch im Sommer 2020 sichtbar. Deshalb haben wir die Zeit im Präsenzunterricht unter anderem genutzt, um die Lebensleistung einzelner Menschen zu würdigen, von der Geschichte den Irrungen und Wirrungen bei der Entwicklung der digitalen Technik zu erzählen, Konrad Zuse, Bill Gates und Steve Jobs sind Teil der Erzählung. Kritik an Systemen setzt tiefes Wissen voraus. Dazu bedarf es einer Schulkultur, die wie Maria Montessori sagte "eine neue Form intellektueller Bildung vermittelt und neue Gefühle der Menschlichkeit kultiviert." Wir arbeiten daran und das hat erste Priorität.
Als Schulleiter:in ruhig und verbunden im Sturm stehen.
4 JahreDanke für diesen Text, der so transparent mitnimmt. Der Text zeigt mir, dass es noch immer etwas Besonderes ist, wenn Pädagog:innen sich als Team gemeinsam in Richtung Digitalisierung aufmachen. Danke Jana für den Einblick!