Wo war Mehmet Scholl?
Habt ihr auch die Spieltagsanalyse zur US-Wahl auf ARD (und ZDF und RTL und …) verfolgt? Ich ja. Bedingt durch meine senile Bettflucht war ich dran. Über sechs Stunden Sensationelles: Große Bildschirme, viele Experten mit unterschiedlichen Ansichten, Einspieler, O-Töne und Meinungen. Und der RB Leipzig der US-Politik hat gewonnen! Glückwunsch.
Besonders gefallen hat mir Matthias Opdenhövel. Mir stellt sich jedoch die Frage, warum Mehmet Scholl diesmal nicht als Experte an seiner Seite war? Er hätte sicher einiges zur Qualität beitragen können!
Aber jetzt mal ernsthaft: Mir war gar nicht klar, wie viele Experten der US-amerikanischen Innenpolitik wir hier in Deutschland haben. Gestern im Starbucks, der DB Lounge, im ICE, in meinem Freundeskreis und im Edeka an der Kasse sowieso. Jeder hat eine Meinung zum Thema. Jeder diskutiert mit. Nur mit der Ahnung ist es so eine Sache.
Ich will hier an dieser Stelle keine Meinung zu Trump & Co. ablassen. Ich hab zwar eine, aber so what.
Worum geht es mir? Es ist schon interessant, wie sehr die Wahl eines ausländischen Staatsoberhaupts ein scheinbar de-politisiertes Land wie Deutschland bzw. seine Bürger, die von der Politik regelmäßig vorgeführt werden, beschäftigt. Im TV eine Sondersendung nach der anderen. Das Handelsblatt hat gefühlte 10.000 Journalisten ausgesendet und Kai Diekmann ist mutmaßlich auch vor Ort.
Warum können wir nicht mit dem gleichen Engagement über Themen diskutieren, die für uns wirklich relevant sind, die wir kurz und mittelfristig beeinflussen können?
Warum diskutieren wir nicht genauso leidenschaftlich über die ungerechte Bezahlung von Personal in Kindergärten oder dem Pflegebereich; über die Rente und soziale Gerechtigkeit?
Warum können wir nicht einen normalen Diskurs zum Thema Einwanderung, Flüchtlinge und Zusammenleben führen? Aus welchem Grund maßen wir uns an, über die Motivation eines arbeitslosen ehemaligen Fabrikarbeiters in einem Swing-State zu urteilen; seine Lage verstehen zu wollen oder auch nicht. Warum beschäftigen uns die Ängste und Nöte von Jugendlichen, von Menschen am Abgrund in Dresden, Paris oder Madrid nicht gleichermaßen?
Was bilden sich unsere verkommenen Politiker ein, über Twitter & Co. herablassende Kommentare über eine demokratisch gewählte Person rauszurotzen? Eine ungeheure Arroganz gepaart mit Populismus, die nur das eigene Versagen verschleiern soll.
Sollten wir uns nicht lieber mit unseren realen Problemen in Deutschland und Kerneuropa beschäftigen und diese so enthusiastisch diskutieren und besprechen? Hier, wo wir was ändern können? Und natürlich nicht isoliert, sondern im globalen Kontext. Aber dann bitte auch mit relevanten Themen!
Sollten wir uns nicht mit Herausforderungen wie Digitalisierung, Dekarbonisierung unserer Gesellschaft – hier in Deutschland und Europa beschäftigen; evtl. sogar mit einer wohlstandssichernden wachstumsneutralen Gesellschaftsordnung?
Ich bin mir sicher: Wäre Mehmet vor Ort gewesen, hätten wir über diese Themen gesprochen!
Aber isso!
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