Zermatter Gschichten
22Summits/Zermatt

Zermatter Gschichten

Vor zwei Jahren habe ich mich mit Carolina Julen im neu eröffneten Boutique Hotel 22Summits in Zermatt getroffen und wir haben uns damals über den neuesten Zugang in der Hotellerie am Fuße des Matterhorns unterhalten. Ich war sehr angetan von der Zuversicht, Freude und Bodenständigkeit von Carolina und Ihrer Familie – und während ich meine Zeilen hier verfasse, fällt mir auf, dass wir unbedingt eine weibliche Form von „Hotelier“ schaffen müssen.

Eigentlich wollte ich dieses follow-up auch wieder direkt vor Ort mit ihr führen aber die weltweite Pandemie hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht und so haben wir unser Gespräch aus der sicheren Ferne im home office geführt. Ich wollte herausfinden, wie es Ihr als Unternehmerin in Zeiten von nie da gewesenen äußeren Umständen ergangen ist und wie Sie mit dieser Situation zurechtkommt und was es Neues gibt.

UA: Carolina wie hast Du die letzten Monate erlebt?

CJ: Das sind schon sehr außergewöhnliche Zeiten für uns alle. Eine Zeit, die uns alle sehr kreativ gemacht hat und uns gezeigt hat, dass die Routineabläufe nicht mehr so planbar geworden sind, wie wir es gewohnt waren. Am Anfang der Pandemie im März 2020 z.B. gab es nicht wirklich verbindliche Aussagen, wie in der Hotellerie mit den Reisebeschränkungen umzugehen ist. Der Kanton kann weitere Auflagen verordnen also zusätzlich zu den vom Bund verabschiedeten Maßnahmen. Solche Maßnahmen sind für uns besonders schmerzhaft, da wir als Hoteliers mit Leib und Seele mit unseren Gästen mitfühlen aber gleichzeitig das Wohl unserer Gäste oberste Priorität hat. Es war eine Zeit, die ich so noch nie erlebt habe und so haben wir dann ab Mitte März in der Zwischensaison geschlossen und im Mai wieder eröffnet. Wir haben diese Zeit genutzt und uns innert der Familie viele Gedanken gemacht, wie man mit dieser Situation umgeht und wie wir uns für die Zukunft aufstellen können, um die Zukunft planbarer machen können.

Gleichzeitig haben wir dann in den Sommermonaten nahezu rekordmäßige Buchungen gehabt und dabei festgestellt, dass es einen Shift zu fast 90% inländischen und grenznahen Logiergästen gegeben hat, was auf die Reiseeinschränkungen der jeweiligen Länder in Europa zurückzuführen war. Im Moment spüren wir die Auswirkungen der Pandemie auch bei den Winter/Skiferien.

UA: Wie war der Zusammenhalt innert der Zermatter Community, zumal ja alle gleichermaßen von der Pandemie betroffen gewesen sind?

 CJ: Das hat wirklich gut funktioniert, wir haben mehr auf digitale Kommunikation wie z.B. Chat-Gruppen umgestellt, der Newsletter wurde um die Schutzmaßnahmen ergänzt und so hatten wir ein Regelwerk, um die Maßnahmen einheitlich und korrekt umzusetzen und gleichzeitig wussten unsere Gäste und Leser, was in Zermatt los ist. Das stellt sicher, dass jeder in Zermatt gleichermaßen informiert ist und wir ziehen alle an einem Strang, da unser aller Einnahmequelle direkt mit dem Tourismus verbunden ist. Die Umsetzung der Schutzkonzepte obliegt jedem Haus in Eigenverantwortung und da bin ich sehr froh, dass ich mit meiner Familie im Rücken, das alles entsprechend ausführen konnte.

Zermatt Tourismus hat im Rahmen der Schutzmaßnahmen neue Packages geschnürt, wie z.B. Work & Relax, welches die Möglichkeit bietet, das digitale homeoffice in die Berge zu verlegen und trotzdem bei dieser Kulisse zu entspannen und seine Batterien aufzuladen. Wir konnten auch feststellen, dass viele Gäste trotz der Auflagen körperlich aktiv bleiben wollten und viel mehr Wanderungen gemacht haben als in der Vergangenheit. Das Schneeschuh-Laufen hat sich auch wieder größerer Popularität erfreut. Die Website Zermatters hat eine Vielzahl von tollen Wochenprogrammen zusammengestellt und dabei auch neue kreative Kombinationen wie z.B. Ski und Yoga oder Winterwanderungen zum Iglu-Dorf mit Fondue-Essen organisiert.

Positiv betrachtet, ist durch die Pandemie ein kreativer Prozess entstanden, der für viele ungewohnt gewesen ist, aber auch gleichzeitig eine neue Chance dargestellt hat, sich auf Veränderungen einzustellen und unser Angebot neu zu kalibrieren.

UA: Du hast mir erzählt, dass der familiäre Zusammenhalt in diesen schwierigen Zeiten auch Dir neue Erfahrungen gebracht haben?

CJ: Absolut, zum einen ist man im operativen Tagesgeschäft eingebunden, das Personal muss bezahlt werden, die vorgeschriebenen Maßnahmen müssen umgesetzt werden aber im Schutze der Familie nimmt man dann nicht nur negative Sachen wahr, sondern wähnt sich in der Vertrautheit der Familie und das stärkt den Zusammenhalt und ist ein guter Nährboden für kreative Ideen.

Tapas Brasserie Uno

Im Teil-Lockdown war eine der Vorgaben, dass Restaurants öffnen dürfen, wenn  das Personal mit Spuckschutz, Handschuhen etc. arbeitet und so konnten wir glücklicherweise den Koch aus der Brasserie Uno ins 22Summits holen und 4-Gang-Menüs mit Abstand servieren – das war schon wirklich eine große Hilfe.

Wir haben Anfang Dezember am Hennu-Stall, der von meinem Bruder betrieben wird, ein großes Zelt aufgebaut, um die neuen Vorgaben und Abstandsregeln umzusetzen und haben versucht, mit einem Lounge-Konzept, den Gastbetrieb weiter zu führen und mussten dies nun aufgrund der neueren Auflagen vollends einstellen.

Als Familienunternehmen haben wir das große Glück, dass wir eine gewisse Rotation von Personal innerhalb der unterschiedlichen Häuser und Locations anbieten können. So haben wir unter anderem die geplante Renovation des ehemaligen Casa Vanessa, das nun 22Summits Apartments heißt, früher durchführen können und mein Bruder konnte hier zusammen mit meinem Vater die Bauaktivitäten koordinieren. Jeder in der Familie muss jederzeit mit anpacken – egal wo, egal welche Arbeit. Denn nur so können wir auch besser werden, wenn wir genau wissen, wie die einzelnen Aufgaben am besten bewältigt werden können.

Wir haben die Pandemie dazu genutzt, eine bessere Zielgruppen-Analyse durchzuführen und konnten dies in die Überlegungen für den Umbau mit einfließen lassen.
Tunnel zwischen 22Summits Boutiqe Hotel und Apartments

So haben wir in den 22Summits Apartments – das durch einen Tunnel mit uns verbunden ist - langjährige Logiergäste, die immer zum gleichen Termin in das gleiche Zimmer/ Apartment kommen – darunter sind viele Familien mit Kindern. Im 22Summits Boutique Hotel sind kleine Studios für jüngere Pärchen ideal und somit sprechen wir unterschiedliche Altersgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen an. Auch haben wir den sehr beliebten Spa-Bereich den Schutzmaßnahmen angepasst und offerieren längere Öffnungszeiten mit max. Personenzahlen und Abstandsregeln. All dies erfordert Zusatzmaßnahmen – zum Glück sind wir ein eingespieltes Team und unser Personal ist schon länger bei uns, aber auch wir waren nicht davor gefeit, einige Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken zu müssen.

UA: Beim letzten Interview hattest du mir erzählst, dass im 22Summits alle Zimmer individuell mit eigenem Branding versehen werden sollen. Was ist daraus geworden?

CJ: Ja das hat tatsächlich etwas länger gedauert, da wir das Storytelling für jeden Gipfel und jedes Studio mit viel Liebe und Recherche entwickeln wollten. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir haben da viele Ideen umsetzen können von den vielen Geschichten, die bisher noch nicht erzählt worden sind, wie z.B. Weisshorn, das die Geschichte des Freeriders Sam Anthamatten erzählt oder Dufourspitze, das die Geschichte des bekannten Bergführers Ulrich Inderbinen (1900-2004) erzählt.

Vielen Dank Carolina für das wie immer sehr angenehme Gespräch und im Moment ist die Welt etwas verdreht – wir haben hier in Berlin seit Tagen Schneefall und Minusgrade und die schneebedeckte Landschaft lässt die Welt in neuem Licht, neuen Strukturen erscheinen und strahlt eine nahezu alpine Winter Wonderland Stimmung aus.

 Es tut sehr gut in diesen Zeiten die positive Energie, die von Carolina ausgeht, zu spüren und zeigt auch gleichzeitig, wie man in Krisenzeiten mit unternehmerischer Weitsicht, Risikobereitschaft und einer Vision sich den Herausforderungen von heute stellen kann und gleichzeitig die Weichen stellt, sich agil und kreativ für die Zukunft zu positionieren.

Carolina hat als junge Chefin nicht nur Verantwortung für sich, sondern trägt die Verantwortung ihres Personals vollends mit. Daher ist der menschliche Umgang von enormer Wichtigkeit, denn nur wenn man glückliche und zufriedene Mitarbeiter hat, kann man auch ein Haus mit Erfolg führen und weiterentwickeln. Gleichzeitig ist es sehr inspirierend zu hören, dass der generationsübergreifende Lernprozess keine Einbahnstrasse ist, sondern nur nachhaltig sein kann, wenn alle Beteiligten gleichermaßen offen sind so wie beispielsweise Carolina’s Vater, der sein gewohntes analoges und papierintensives Buchungssystem auf digital umstellen wird, um den CO2 Fußabdruck zu reduzieren. Ich bin sicher, dass diese Erfahrung Carolina in ihrer persönlichen Entwicklung als Mensch und Unternehmerin ein großes Stück weitergebracht hat und freue mich auf die weiteren Entwicklungen im 22Summits in Zermatt.

 

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Uemit Appenzeller

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen