Mach was Du kannst. Nicht was Dich interessiert.

Mach was Du kannst. Nicht was Dich interessiert.

Die Berufswahl ist eine der zentralen Entscheidungen in unserem Leben. Sie entscheidet über unser wirtschaftliches Auskommen in den folgenden Jahre und auch ein Stück weit auch über das Lebensglück, welches wir in dieser Zeit erfahren. Bei der Berufswahl lassen wir uns primär von unseren Interessen leiten. Doch neue psychologische Studien belegen, dass eine erfolgreiche Karriere wenig damit zu tun hat, ob es uns gelingt, unsere persönlichen Interessen beruflich zu realisieren. Entscheidender ist vielmehr, einen Beruf zu finden, der unseren Begabungen entspricht. Diesen Zusammenhang beschreibt Aljoscha Neubauer, Psychologe und Professor für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie, in seinem Buch "Mach was Du kannst".

Der eindimensionale Mensch

Am Anfang unserer Berufswahl stehen zumeist unsere subjektiven Interessen. Wer sich "für irgendetwas mit Medien" interessiert studiert nicht selten selbiges und beginnt später eine Karriere in einem Verlag oder einer Werbeagentur. Wer sich für Autos interessiert landet häufig in einem Ausbildungsberuf als KfZ-Mechatroniker. Und das liegt ja zunächst einmal nahe. Im Volksmund heißt es schließlich: "Mache dein Hobby zum Beruf, dann brauchst Du ein Leben lang nicht arbeiten." Worin liegt also das Problem, einen Beruf anzunehmen, der gut zu den eigenen Interessen passt? Nach Neubauer liegt das Problem darin begründet, dass die Begabungen und Interessen eines Menschen in vielen Fällen nicht deckungsgleich sind. Nur weil man sich für etwas interessiert, bringt man noch lange nicht die dafür notwendigen Begabungen mit. Hinzu kommt, dass wir oftmals sehr schlecht darin sind, unsere eigenen Begabungen richtig einzuschätzen. So bleiben bestehende Potentiale häufig im Unbekannten oder vermeintliche Begabungen werden erkannt, wo keine sind (oder zumindest überbewertet). In der Praxis führt dies häufig zu suboptimalen Berufsentscheidungen. Wer sich für Medien interessiert aber über keine besondere Begabungen im Bereich der Kreativität verfügt, wird in einer Werbeagentur nur mäßig erfolgreich sein. Und wer über zwei linke Hände verfügt und dennoch KfZ-Mechatroniker werden möchte wird zumindest einen steinigen Weg vor sich haben. Es ist nicht ausgeschlossen, trotz dieser Defizite Erfolg im Beruf zu haben. Jedoch sind Rückschläge vorprogrammiert und Lernerfolge werden sich nur langsam einstellen, was wiederum mit negativen Auswirkungen auf die Motivation und die Zufriedenheit mit der beruflichen Tätigkeit einhergeht. Andersherum wird ein Schuh drauß: Wer eine berufliche Tätigkeit findet, die den eigenen Begabungen entspricht, wird schneller Erfolge erzielen, weniger Rückschläge hinnehmen und einen geringeren Aufwand dafür aufbringen müssen, positivere Rückmeldungen bekommen und dadurch auch mehr Spaß bei der Arbeit haben. Daher sollte die Berufswahl nie allein auf Basis der subjektiven Interessen getroffen werden.

Der Faktor Begabungen

Nach Neubauer spielen bei der Berufswahl drei Bausteine eine Rolle:

  1. Die Eignung (Begabungen)
  2. Die Neigungen (Persönlichkeitsmerkmale und Interessen)

Neubauer zeigt auf, dass der Faktor der Begabung der wichtigste ist, um Erfolg im Beruf empirisch zu erklären. Unter Begabungen wird ein bestimmtes Set an Fähigkeiten verstanden, welches wir uns über die Jahre aktiv oder passiv angeeignet haben. Worin wir einfach gut sind, ohne dass wir uns dafür übermäßig anstrengen müssten. Jeder Mensch verfügt über bestimmte besonders ausgeprägte Begabungen als auch über Talentbereiche, in denen er oder sie verhältnismäßig schwach aufgestellt ist. Nach Neubauer lässt sich hier zwischen 10 unterschiedlichen Talentbereichen unterscheiden:

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Wer über eine starke Talentausprägung im Bereich der räumlichen und der kinästhetischen Begabung verfügt, bringt vieles mit um ein guter Handwerker zu werden. Und wer eine hohe logisch-mathematische und kreative Talentausprägung mitbringt könnte eine erfolgreiche Karriere als Wissenschaftler starten. Ein solcher Abgleich zwischen unseren Begabungen und jenen Talenten, die in bestimmten Berufsfeldern gebraucht und honoriert werden, ist empirisch der stärkste Erfolgsfaktor auf dem Weg zu einer erfolgreichen Karriere. Und wesentlich erfolgsträchtiger als das reine Verfolgen subjektiver Interessen.

Es ist daher essenziell zu wissen, in welchen Bereichen wir über überdurchschnittliche Begabungen verfügen. Neubauer hat hierzu einen Schnelltest entwickelt, der zwar keine professionelle Persönlichkeitsdiagnostik ersetzt, aber erste Indizien für eine Schwerpunktfindung liefert. Dieser kann hier heruntergeladen und ausprobiert werden. Kurzum: Wir sollten wissen, was wir gut können. Und diese zur primären Grundlage unserer Berufswahl nehmen.

Der Faktor Persönlichkeit

Der zweite relevante Faktor für die Berufswahl umfasst die eigene Persönlichkeitskonstellation. Wir verfügen nicht nur über bestimmte Begabungen sondern auch über verschiedene Persönlichkeitsausprägungen, die bei der Berufswahl von Vor- oder Nachteil sein können. Hierzu bildet der Big Five Persönlichkeitstest eine profunde Grundlage. Nach diesem lässt sich zwischen verschiedenen Persönlichkeitsausprägungen unterscheiden:

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Inwiefern sind diese Persönlichkeitsmerkmale für die Berufswahl relevant? Ganz einfach: Wer beispielsweise als Wissenschaftler im Labor arbeitet, muss, um exakte Ergebnisse zu messen, ein hohes Maß an Sorgfalt aufbringen. Schon kleinste Nachlässigkeiten können zu verfälschten Ergebnissen führen und die geleistete Arbeit damit zunichte machen. Deswegen ist eine geringe Ausprägung des Faktors Gewissenhaftigkeit einer beruflichen Tätigkeit als Wissenschaftler nicht zuträglich. Oder ein anderes Beispiel: Führungskräfte müssen dazu in der Lage sein, in bestimmten Situationen auch unbequeme Entscheidungen durchzusetzen. Und in diesem Kontext auch mit negativen Reaktionen der Belegschaft leben können. Hierbei ist es hilfreich, nicht über eine zu starke Ausprägung des Faktors "Verträglichkeit" zu verfügen. Hierdurch sind Führungskräfte schlicht durchsetzungsfähiger und dadurch insgesamt wirkungsvoller.

Auch hier bietet es sich also an, kritisch zu hinterfragen, ob die eigene Persönlichkeitsausprägung zu einem bestimmten Berufswunsch passt. Oder anderherum: Herausfinden, welche Berufe zum eigenen Charakterbild passen. Die eigenen Persönlichkeitsausprägungen zu identifizieren funktioniert auch hier am besten mit einer professionellen Persönlichkeitsdiagnostik, bspw. auf Basis eines Big Five Persönlichkeitstest. Für eine erste Selbst-Einschätzung hat Neubauer ebenfalls einen Selbst-Test zur Verfügung gestellt, der hier heruntergeladen und ausprobiert werden kann.

Der Faktor Interessen

Zum Fakor der Interessen wurden anfangs schon einige Worte verloren. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass sie für Neubauer im Hinblick auf die Berufswahl vollkommen irrelevant sind. Sie spielen auch bei ihm eine gewisse, jedoch keine prägende Rolle. Auch hier empfiehlt Neubauer die Durchführung eines professionellen Interessen-Tests, wie beispielsweise auf Basis RIASEC-Modells:

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Neubauer hat auch für den Faktor Interessen einen Selbstst beigefügt, der jedoch einer anderen Logik folgt als die der RIASEC-Methodik. Dieser kann hier heruntergeladen und ausprobiert werden.

Insgesamt bleibt Neubauer aber kritisch gegenüber einer interessengeleiteten Berufswahl. Denn:

  • Empirisch gesehen spielen Interessen für den Erfolg im Beruf eine geringere Rolle als gedacht, sie sind tatsächlich weniger wichtig als die Begabungen
  • Viele Menschen, die ihre Interessen im Beruf verwirklichen sind trotzdem nicht glücklich damit
  • Nicht jedes persönliche Interesse lässt sich ausreichend monetarisieren

Zwar müssen Interessen und Begabungen nicht zwingend ein Gegensatz sein. Sie können oftmals sogar deckungsgleich sein, was definitiv ein Glücksfall ist. Bei vielen ist dies leider aber nicht der Fall. Und für diejenigen ist eine Überlegung wert, einen Beruf auswählen, der vielleicht zunächst weniger aufregend bzw. interessant erscheint, dafür aber den eigenen Begabungen entspricht. In diesem man mit moderaten Aufwand trotzdem sehr erfolgreich ist. Kurzum: Man muss seine persönlichen Interessen nicht zwingend im Berufsleben realisieren. Es ist vollkommen okay diese in der Freizeit zu entfalten. Das ist allemal besser als einen Beruf zu ergreifen, der nicht zu unseren Begabungen passt.

Was habe ich für mich mitgenommen?

Als ich Neubauers Buch gelesen habe habe ich direkt alle drei Selbst-Tests ausprobiert. Bei mir kam folgendes dabei heraus:

Top 3 Begabungen

  1. Sprachlicher Bereich (Gedanken in Worte fassen, Gegenüber mit Worten fesseln, klar und deutlich formulieren)
  2. Kreativer Bereich (Ungewöhnliche Lösungen, abstraktes und originelles Denken, neue Ideen und Produkte entwickeln)
  3. Interpersoneller Bereich (Zwischen anderen vermitteln, andere Menschen verstehen & sich in sie hineinfühlen)


Top 3 Persönlichkeitsmerkmale

  1. Extraversion (Kontaktfreudig, gesprächig, Netzwerker)
  2. Offenheit (Kulturinteressiert, intellektuell und wissbegierig, schätzt neue Erfahrungen)
  3. Gewissenhaftigkeit (Gute Selbstorganisation, Zielstrebig, sorgfältige Arbeitsweise)


Top 2 Interessengebiete

  1. A - Artistic / Künstlerisch-Sprachliche Orientierung (Künstlerische Selbstdarstellung, Umgang mit Sprache, bildende Kunst)
  2. E - Enterprising - Unternehmerische Orientierung (Mit Hilfe der Sprache andere Menschen beeinflussen / um Ziele der Organisation oder Politik zu erreichen, Management- oder Verkaufstätigkeiten)


Die meisten dieser Ergebnisse kamen für mich nicht überraschend. Ohne bisher an umfangreicheren Persönlichkeitstests teilgenommen zu haben (mit Ausnahme des GPOP) hatte ich intuitiv also den richtigen Riecher. Denn sowohl meine erste berufliche Station nach Studienende (Personalvermittlung/Vertrieb) als auch meine aktuelle Tätigkeit (Consulting/Projekt Management) passen grundsätzlich zu meinen Begabungen und Persönlichkeitsmerkmalen. Und selbst jene Dinge, für die ich mich interessiere, die ich (bisher) aber nicht beruflich realisiert habe, wie bspw. Politik oder Texte verfassen/Kommunikation, wären wohl nicht unkompatibel zu meinem Begabungs-Set.

Bei mir scheinen Interessen und Begabungen also weitgehend deckungsgleich zu sein. Würde ich, wenn das änders wäre, meine Interessen für meine Begabungen beruflich hinten anstellen? Ich denke schon! Und Euch empfehle ich dasselbe. Weil wir am Ende damit vermutlich erfolgreicher und glücklicher sein werden.


Artikel-Kampagne: 10 Bücher, die mich beeinflusst haben

  1. Einführung: Techniken des nachhaltigen Lesens
  2. Buch-Empfehlung #1 - Es gibt keine Sachzwänge. Keine Situation ist alternativlos (Reinhard Sprenger - Die Entscheidung liegt bei dir)
  3. Buch-Empfehlung #2 - Warum es vollkommen okay ist, kein »Why?« zu haben (Cal Newport - Die Traumjoblüge)
  4. Buch-Empfehlung #3 - Ziele setzen und erreichen (Brian Tracy - Ziele)
  5. Buch-Empfehlung #4 - Mach was Du kannst. Nicht was Dich interessiert (Aljoscha Neubauer - Mach was Du kannst)
  6. Buch-Empfehlung #5 - Wege zum ablenkungsfreien Arbeiten (Cal Newport - Konzentriert Arbeiten)



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