Salesforce und Street Parade: Werte statt Werbung?

Salesforce und Street Parade: Werte statt Werbung?

Die Street Parade achtet seit fast drei Jahrzehnten darauf, ihre Clubkultur-Wurzeln nicht dem schnöden Mammon zu opfern. Nun betritt mit Salesforce ein Hauptsponsor das Feld, der nicht von einer Werbe-, sondern einer Wertepartnerschaft spricht. Was bedeutet das für die legendäre Demo-Party – und was verspricht sich Salesforce davon?

Interview und Text: Johannes Hapig, Redaktor bei Werbewoche, erschienen in Werbewoche - Ausgabe 6–7/19.

Wenn dieser Text erscheint, steht die Street Parade in Zürich unmittelbar bevor – nur zwei Wochen werden es sein, bis Hunderttausende entlang der Limmat und am Seeufer tanzen, trinken und das Leben feiern. Donnernde Bässe erklingen erstmals auch vom «Equality Truck» des amerikanischen CRM-Giganten Salesforce: das Unternehmen aus dem Silicon Valley ist der Hauptsponsor der Street Parade 2019, bekundet überdies bereits Interesse an einem langfristigen Engagement. Welche Ziele verfolgt Salesforce damit, welche Werbezwecke sollen in der enorm diversen Besucherschaft erreicht werden? Und was bedeutet ein solches Sponsoring für die Demo-Party, der Authentizität über alles geht?

Guntram Friede, Head of Marketing Switzerland von Salesforce, und Street Parade-Vorstand Robin Brühlmann beantworten diese Fragen im Interview mit der Werbewoche.

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Wie ist die Zusammenarbeit zwischen der Street Parade und Salesforce zustande gekommen?

Guntram Friede: Ein gemeinsamer Kontakt hat uns einander vorgestellt. Wir haben uns getroffen, aber zuerst ganz unverbindlich, um über die Historie der Street Parade und die Geschichte von Salesforce zu sprechen. Ich habe Robin erzählt, was wir eigentlich so machen als Technologieunternehmen, was ich als Marketer in der Schweiz mache, wann ich angekommen bin, was unsere Aufgaben sind und welche Unternehmenswerte wir seit 1999 verfolgen. Es hat sich ziemlich schnell herauskristallisiert, dass es da eine sehr starke Vernetzung gibt.

Inwiefern?

Guntram Friede: Wir pflegen die Unternehmenswerte Vertrauen, Kundenerfolg, Innovation und, sehr wichtig: Equality, also Chancengleichheit. Robin hat sofort gesagt, dass die Street Parade für sehr ähnliche Werte eintritt und wir haben uns überlegt, ob wir zusammenkommen können. Das war vor einigen Monaten und die Kooperation läuft seitdem super.

Robin, hattet Ihr als Street Parade-Organisatoren ein CRM-Unternehmen wie Salesforce überhaupt auf dem Schirm, ehe Ihr Euch kennen gelernt habt?

Robin Brühlmann: Nein. Wie Guntram gesagt hat, haben wir über den gemeinsamen Kontakt erfahren, dass Salesforce Interesse daran hat, ein Love Mobile zu machen. Mit den Love Mobiles haben wir grundsätzlich aber die spezielle Historie, dass kommerzielle Marken nicht Partner sein dürfen. Die Sujets der Trucks müssen aus der Clubkultur der elektronischen Musik entstehen. Als wir uns dann persönlich getroffen haben, habe ich sofort gemerkt, dass die Philosophie von Salesforce zu uns passt. Und dass auch ein Love Mobile mit dem Salesforce-Brand durchaus authentisch sein könnte, weil eben diese Philosophie im Vordergrund steht und nicht die kommerziellen Interessen der Firma.

Guntram, Salesforce macht seit Jahren Events unterschiedlicher Skalierung, meist Marke ting-Veranstaltungen zu den eigenen Produkten. Ist so eine Art von Event neues Terrain für das Unternehmen?

Guntram Friede: Wir haben allein 2018 um die dreissig Pride-Events auf der ganzen Welt begleitet. Die Street Parade ist nochmal separat zu sehen, es ist für uns hier in der Schweiz super wichtig, dass wir uns – gerade was unsere Werte und Kultur anbelangt – innovativ bewegen. Ich habe Innovation als einen unserer Grundwerte genannt, das gilt auch für unsere Marke. Wenn wir Equality mit unseren Partnern, Kunden, Interessenten, unserer Community teilen, wollen wir da auch auf Veranstaltungen setzen, die diese Werte repräsentieren. Wir möchten sichtbar sein, wir möchten eine Plattform haben und wiederum auch bieten – wir holen Mitarbeiter, Kunden und Partner auf das Love Mobile, die Diversität mit Spass und Offenheit leben.

Und wie sieht es mit dem ökonomischen Mehrwert des Sponsorings aus?

Guntram Friede: Der ökonomische Mehrwert ist ja gegeben, da gibt es genügend Erkenntnisse zu, etwa die Diversity Matters-Studie von McKinsey. Wir sind überzeugt, dass wir mit einem Team aus ganz unterschiedlichen Menschen das Meiste erreichen können. Das gefällt unseren Kunden natürlich auch.

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Um nochmal nachzuhaken: Salesforce hat nicht nur einen Truck, sondern ist Hauptsponsor. Dieser sehr kommerzielle Aspekt ist für die Street Parade ziemlich ungewöhnlich, oder?

Robin Brühlmann: Es ist wirklich mehr Partnerschaft als Sponsoring, wie Guntram richtig gesagt hat. Wir würden das nicht mit jeder Marke so umsetzen, schon gar nicht mit einem Love Mobile, weil die das Herzstück der Veranstaltung sind und eigentlich neutral fahren müssen. In ihren Sujets bringen sie Clubkultur und Toleranz, Freiheit zusammen. Aber weil diese Werte von Salesforce in dieser DNA von Anfang an drin sind, können wir sagen, dass es eine interessante Story zu erzählen gibt – wenn man in Marketingbegriffen spricht, mehr Storytelling als Branding.

Das klingt, als würdest Du bestimmte Arten vonWerbung apriori für nicht besonders wirkungsvoll halten?

Robin Brühlmann: Ich finde, dass es auch bei Werbung um Nachhaltigkeit gehen muss. Was Salesforce bei uns macht, bleibt den Leuten im Gedächtnis. Wenn ich nur auf klassisches Plakatieren aus bin, dann habe ich einen kurzen Moment Zeit, die Kunden zu überzeugen. Entweder gefällt ihnen mein Produkt oder eben nicht. Wenn es ihnen nicht gefällt, dann haben sie sofort mit meiner Marke abgeschlossen. Aber wenn ich ihnen meine Geschichte erzähle, dann beschäftigen sie sich länger mit mir, ohne dass ich sie direkt zu einem Kauf bewegen muss. Die Kunden kommen dann von selbst, wenn sie es für richtig halten.

Die Street Parade hat also hohe Standards in Bezug auf ihre Partnerschaften. Sagt Ihr auch mal «Nein» zu entsprechenden Angeboten?

Robin Brühlmann: Alle Partner, die wir jetzt haben, müssen mit der Street Parade und unseren Werten konvergent sein. Wir sagen zu gewissen Interessenten also durchaus «Nein». Es geht nicht darum, dass einer hereinläuft mit einem Koffer voller Geld und findet: «Hey, da bin ich, und ich tapeziere jetzt mal alles mit meinem Logo zu». Diese Art von Sponsoring und Werbung wird es an der Street Parade niemals geben. Wenn wir unser Fundament erodieren lassen, einen Ausverkauf machen, wird es die Veranstaltung in einigen Jahren nicht mehr geben. Das würde kurzfristig vielleicht funktionieren, aber dann fragen sich die Leute: «Bin ich noch an der Street Parade – oder schon an der Tour de Suisse?» (lacht). Und dann ist es vorbei.

Aber Ihr müsst eine gewisse Gratwanderung machen, weil Ihr Unterstützung braucht, wenn die Street Parade immer grösser wird...

Robin Brühlmann: Natürlich müssen wir uns finanzieren. Wir haben hohe Abgaben der Stadt gegenüber, den Behörden gegenüber. Wir kaufen den Strom ein, kümmern uns um den Abfall. Wir haben eigene Security. Das kostet alles Geld. Unsere Einnahmen sind beschränkt auf die Möglichkeiten Sponsoring und Catering. Und selbstverständlich sind wir dann froh, wenn ein Partner kommt, bei dem es auf allen Ebenen stimmt.

Und wenn jemand Salesforce vorwirft, es sei jetzt einfach opportun, auf den Equality-Trend aufzuspringen - als ein weiteres, wohlhabendes Tech-Unternehmen, das sich gut inszenieren möchte?

Guntram Friede: Ich kann nicht für andere Unternehmen sprechen, aber aus Salesforce-Sicht ist das, was wir tun, unverbrüchlicher Teil unserer Kultur. Wir glauben fest an unsere Werte, als gesamte Schweizer Geschäftsleitung. Unser Co-CEO Marc Benioff gibt den Kurs seit Gründung der Firma vor und ich bin überzeugt, dass wir auch in der Schweiz eine «sacred duty» haben: Wir nutzen unsere Ressourcen, natürlich auch unsere Marketing-Fähigkeiten, um für Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu werben. Ich finde das wahnsinnig spannend. Am Love Mobile sollen die Leute nicht primär auf das Salesforce-Logo achten, sondern auf den Hashtag «#EqualityForAll». Der ist an diesem Event viel, viel wichtiger. Wir springen da auf keinen Zug auf, machen uns keinen Trend zunutze. Wir wollen zeigen, wie wir schon immer waren – und andere dazu anregen, es uns gleichzutun.

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