Über das Heben von Schätzen
Glück, Neugier und der Wille zu Gestalten: Das sind die Leitplanken meines bisherigen Lebensweges. Auch hilft es, einen gesunden Optimismus an den Tag zu legen, denn nur dann erscheinen einem Hürden als nicht so hoch. Zudem muss man das Glück besitzen, Menschen zu treffen, die einem Vieles zutrauen. Die in einem Stärken erkennen. Die einem die ersten Schritte in Hinblick auf diese Stärken erlauben und die einen so in selbstverantwortliches Handeln führen.
So gesehen war das erste Beispiel guter Personalführung mein Vater. Ich bin Jahrgang 1964. Zu dieser Zeit war die Geburt eines Stammhalters noch von hohem Prestige. Als ich dann ein Mädchen wurde, sah es mein Vater pragmatisch. Ich bin praktisch mit ihm und Jungs auf dem Fußballplatz groß geworden. So habe ich einen Unterschied zwischen Jungs und Mädchen anfänglich nie bemerkt. Erst später habe ich lernen müssen, dass sehr wohl ein Unterschied gemacht wird. Ein Unterschied, den ich für den größten volkswirtschaftlichen Nonsens halte, den wir uns zum größten Teil immer noch leisten.
Als ich 12 Jahre alt war, zog meine Familie nach Brasilien. Aus einer beschaulichen Kleinstadt auf der schwäbischen Alb ins bunte Chaos von São Paulo. Eine Stadt voller Menschen unterschiedlichster Wurzeln, die trotz aller Hindernisse ein grundsätzlicher Optimismus des Alles-wird-besser eint, und die von ständiger Veränderung und Weiterentwicklung geformt wird. Das prägt mich bis heute. Aber hier manifestierten sich auch erstmals die Unterschiede: Wir waren auf der Alb Mädchen mit kurzen Haaren und spielten mit den Jungs in gemischten Teams Fußball. In Brasilien hatten alle Mädchen lange Haare und trafen sich praktisch nur allein – und dann, um nach Jungs Ausschau zu halten. Ich musste mich anpassen.
Brasilien ist auch ein Eldorado für Sammler von Mineralien. Und ich erlag der Faszination der Steine ebenso. Das so überbordend sichtbare Erbe der Plattentektonik der Jahrmillionen, die Bruchkante zu Afrika, spannende Fossilien, all dies führte zu einem Wunsch: Ich wollte Bergbauingenieurin werden. Ich erklärte meinem Vater nach dem Abitur, ich wolle etwas studieren, mit dem man eine Familie ernähren könne. Und dann rutschte selbst diesem Mann, der mich immer gefördert und gefordert hatte, ein typischer Satz jener Zeit heraus: Als Frau hätte ich ja Glück, nichts studieren zu müssen, mit dem ich jemanden ernähren könne. Man müsste sich an der Uni lediglich einen Ernährer suchen.
Das konnte ich so nicht auf sich beruhen lassen und die wesentlichsten Eigenschaften die aus der Erziehung meiner Eltern resultierten, flammten auf: Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung. Ich würde beweisen können, dass auch Frauen das Zeug zum Ernährer hätten. Wieder musste ich mich anpassen. Ich schwenkte um auf Geologie, denn das Bergbaustudium war Frauen indirekt verwehrt. Zur Zulassung benötigte man ein Praktikum unter Tage. Doch Frauen durften damals noch nicht in Bergwerken arbeiten. Wie in der Seefahrt brächten sie Unglück, hieß es. Als auch mein Geologie-Professor an der TU München vom angeblich schlechten räumlichen Vorstellungsvermögen der Frauen erzählte, und davon, dass die meisten Frauen das Studium wohl nicht abschließen würden, da sie heiraten und Kinder bekämen, horchte ich erneut auf. Widerstand spornt mich an. Dieser Professor hatte mir dann als erster Frau an seinem Lehrstuhl eine Doktorarbeit angeboten. Ich habe allerdings nicht angenommen, sondern meinen Weg außerhalb der Universität gesucht.
Nebenbei bekam ich Kinder, mein Mann war Hausmann. Es zeigte sich aber, dass es weder für Männer noch für Frauen gut ist, wenn sie nur zuhause sind. Meine Kinder habe ich ab dem 6. und 3. Lebensjahr allein erzogen. Nun war ich wirklich buchstäblich die Ernährerin. Heute studieren meine Tochter und mein Sohn Medizin und Tiermedizin, und ich bin unglaublich stolz auf die beiden.
Nach verschiedenen geologischen Stationen in Deutschland und Brasilien kam ich 1990 zu TÜV Bayern (heute TÜV SÜD AG). Zunächst als Geologin für Altlastenerkundung und Umweltberatung. Später interessierte ich mich früh für Iso-Zertifizierungen, Managementsysteme und entdeckte meine Vorliebe für Organisationsentwicklung, insbesondere die Trennung von Produktion und Vertrieb sowie die Fokussierung auf unterschiedliche Branchen. Damals stand der Vertrieb noch kaum im Blick des TÜV. Sich branchenfokussiert aufstellen zu wollen, schien den meisten nicht notwendig. Ich wurde von meinen Vorgesetzten sehr gefördert, habe früh eine kleine Abteilung leiten dürfen, wurde nach Brasilien geschickt, um dort eine Niederlassung zu gründen, habe eine Firma saniert, auditierte viele Unternehmen – und brachte immer neue Eindrücke aus diesen Bereichen mit. Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass man aus jeder Branche etwas für die eigene lernen kann. Der Blick muss offen bleiben.
Vor acht Jahren dann fragte mich unser CEO, ob ich den Konzernbereich Personal für den TÜV SÜD übernehmen wolle – weltweit. Ich sagte gerne zu. Ich bin neugierig auf jedes Gegenüber. Indem man Menschen entwickelt, kann man auch Organisationen positiv beeinflussen. Fähigkeiten und Interessen des Menschen zu erkennen und zu fördern, das macht Entwicklung aus. Das ist geschlechtsunspezifisch.
TÜV SÜD braucht kreative, offene Menschen. Zum einen agieren wir immer globaler und bieten unseren Mitarbeitern so auch viele Möglichkeiten zur Mobilität. Zum anderen entwickeln und ändern sich unsere Arbeitsgebiete ständig. Normen und Gesetze sind nie statisch. Zwar bleiben Ingenieurstugenden wie Sorgfalt und Präzision bestehen, aber die Art und Weise des Prüfvorgangs verändert sich mit den technologischen Entwicklungen permanent. So wandeln sich auch die Anforderungen an die Mitarbeiter, die wir zukünftig brauchen.
Hier muss auch das Personalwesen umdenken. Wir sind als Mensch darauf geeicht, das Ähnliche zu suchen. Es erscheint uns konfliktärmer und leichter einzuschätzen. Auch das Recruiting unterliegt noch oft dieser Fehlannahme. Wir haben unsere Bilder im Kopf, wer auf welchen Posten passen würde, und suchen nach Entsprechungen. Diese Haltung aber bringt einen selbst und vor allem die Organisation nicht weiter. Die viel größere Stärke liegt in kooperativem Verhalten, das aus Vielfalt erwächst. Erst wenn wir voneinander lernen, finden sich kreative Lösungen für neue Herausforderungen.
Deswegen sollte man Unternehmen langfristig von unten umkrempeln – mit einem Schulterschluss nach oben. Über das Recruiting kann man diese Veränderung anstoßen. Denn die heute 25-Jährigen sind komplett anders erzogen worden als ich. Sie erwarten anderes vom Arbeitsleben. Gleichbehandlung und Demokratisierung sind keine Floskeln für diese Generation. Sie erwarten eine offene Vertrauenskultur auf Augenhöhe statt starrer Hierarchien – und sie erwarten Perspektiven. Deswegen setzt TÜV SÜD auf die Förderung junger Talente, gibt ihnen Verantwortung, lässt sie machen, schafft Freiräume. Wenn man möchte, und das zeigt vielleicht auch mein Beispiel, werden einem bei TÜV SÜD keine Grenzen der persönlichen Weiterentwicklung aufgezeigt. Mir wurde immer etwas zugetraut, und man hatte Vertrauen in meine Fähigkeiten.
Ich wollte unter anderem auch deswegen Geologin werden, weil ich die Stille der Berge so liebe, das Allein-für-sich-arbeiten. Nie hätte ich gedacht, dass der Umgang mit Menschen einmal solch einen Stellenwert für mich bekommen würde. In gewisser Weise ähnelt sich die Arbeit der Geologin und Personalerin aber schon: Es geht um das Heben von Schätzen. Darum, was man mit Neugierde zutage bringen kann.
Gabriele Sommer (Global Head of Human Resources)
Das Thema Vielfalt ist in der Unternehmenswelt angekommen – auch bei TÜV SÜD. So hat TÜV SÜD bereits im Juni 2017 die Charta der Vielfalt unterzeichnet und hat nun vom 4. bis 8. März in München den DiversityParcours® zu Gast.
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Senior Environmental Specialist bei BMW Group, Sustainability, Circularity
5 JahreSehr spannend, kann ich gut nachvollziehen als Geologe :)
Head of Corporate Social Responsibility
5 JahreVielen Dank für die sehr persönlichen Einblicke in Ihr Berufsleben. Sowohl durch den Artikel als auch durch den Diversity Parcours bei TÜV SÜD wurden mir die Themen Vielfalt und Schubladendenken sehr viel bewusster.