100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland
Ein kurzer historischer Überblick
von Karin Jansen
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In Deutschland jähren sich in diesen Tagen wegweisende historische Ereignisse zum 100. Mal. Sie prägen unser gesellschaftliches und politisches Leben noch heute in einer Weise, die sich die große Mehrheit von uns nicht mehr anders vorstellen kann oder will. Zu Recht, denn Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung sind wesentliche Säulen einer humanen Gesellschaft. Es muss damit nicht immer alles zum Besten stehen, aber ohne sie geht es nicht.
Für den November 1918 sind folgende drei Ereignisse zu nennen:
1. die Ausrufung der ersten deutschen Republik am 9.11.1918 durch den SPD Politiker Philipp Scheidemann. Sie ging mit der Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm II., der vielen Fürsten sowie der Könige von Preußen und Bayern im Deutschen Reich einher und gleichzeitig mit der Einsetzung der ersten parlamentarischen Demokratie auf deutschem Boden. 2. endete ein mörderischer fataler Krieg, der Erste Weltkrieg am 11.11.1918 durch einen Waffenstillstand. 3. wurde das allgemeine aktive und passive Wahlrecht der Frauen am 12.11.2018 verkündet, das uns heute ebenso wie die parlamentarische Demokratie selbstverständlich ist.
Von ungefähr kommt die Häufung dieser historischen Ereignisse nicht. Diese Zeit vor rund 100 Jahren war eine aufgewühlte, eine revolutionäre Zeit, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, ja auch in anderen Teilen der Welt. Die Industrialisierung mit ihren neuen Technologien machte Massenproduktionen und damit eine zunächst florierende Weltwirtschaft möglich. Diese Entwicklungen setzten tiefgreifende politische, gesellschaftliche und emanzipatorische Umbrüche in Bewegung. Das Bürgertum und die neu entstandene Arbeiterklasse, das Proletariat in den Städten, aber auch auf dem Land forderten Beteiligung an der Macht gegenüber Aristokratie und Kaisertum, um ihre berechtigten Interessen an fairem Lohnausgleich, sozialer Absicherung, Bildung. Mitbestimmung etc einfordern zu können.
Frauen begehren ihre Teilnahme am staatlichen Leben
Auch die Frauen begehrten mehr und mehr ihre Teilnahme am staatlichen Leben, und damit mehr Rechte, die ihnen ungleich weniger zustanden als der männlichen Bevölkerung. In den allgemeinen liberalen und revolutionären Diskursen, war ihre Freiheit nicht automatisch mit gemeint.
Bereits seit dem 19. Jahrhundert hatten Frauen in Deutschland und in anderen industrialisierten Ländern, Bürgerinnen wie Arbeiterinnen, für ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit beharrlich gestritten und Gleichberechtigung eingefordert. Noch im Jahr 1848 waren bei der Wahl zur Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche nur Männer mit Besitz ab 25 Jahren vertreten. Damit herrschten derzeit Zustände wie in der antiken griechischen Demokratie vor über 2000 Jahren, in der das Wahlrecht ebenfalls nur – freien - Männern ab 25 Jahren zustand. Da hat sich lange Zeit nichts getan, wie wir annehmen können :-(
Für Frauen gab es nicht nur kein Wahlrecht, sondern auch kein Recht auf Besitz oder Erwerbstätigkeit und in vielen deutschen Ländern galt für sie bis 1908 gar ein Politikverbot. Den verheirateten bürgerlichen Frauen war ein öffentliches Leben außer Haus quasi untersagt. Viele der aktiven Frauen lebten in Berlin, so auch die Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919), die wohl als erste Frau im Deutschen Kaiserreich schließlich proklamierte, dass das Wahlrecht für Frauen eingefordert werden muss. Seit 1872 veröffentlichte sie Streitschriften, mit Forderungen für die bürgerlichen Frauen wie auch für Arbeiterinnen und Landfrauen.
Frauen organisierten sich in Deutschland und international. In dem liberaleren Hamburg gründeten drei Frauen den ersten Verein für Frauen-Stimmrechte mit einer eigenen Vereinszeitung: "Die Frauenbewegung", die auch eine monatliche Beilage "Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht" herausbrachte. Im März 1911 wurde auf dem ersten Internationalen Frauentag erneut das Wahlrecht für Frauen lautstark eingefordert. Dabei waren Frauen aus Dänemark, Österreich, der Schweiz und den USA. In den folgenden Jahren schlossen sich Frauen aus Frankreich, Schweden, den Niederlanden und Russland an. Es sollten in Deutschland und einigen benachbarten Ländern jedoch weitere 7 Jahre vergehen bis es soweit war. In anderen wie Frankreich und der Schweiz dauerte es noch viel länger.
Militarismus versus sozialdemokratischen versus sozialistischen Gruppierungen
In dieser Zeit tobte der erste Weltkrieg, in den die patriotischen Deutschen 1914 zunächst voller Enthusiasmus zogen und der schnell erledigt sein sollte. Es kam jedoch anders. Der Konflikt zwischen den europäischen Nationalstaaten endete in einem langen blutigen und auszehrenden Krieg. Das militante, kaiserliche Deutschland agierte ohne Rücksicht auf Verluste zunehmend aggressiv und musste sich jedoch, nachdem auch die USA gegen sie antraten, geschlagen geben. Sie baten um Waffenstillstand, der am 11.11.1918 von den Alliierten gewährt wurde. Damit war der Krieg zwar beendet, aber er hinterließ Schlachtfelder mit über 9 Millionen Toten, zudem Hunger und Elend. Da lob ich mir nebenbei gesagt Albert Einstein, der von Anfang an einer der wenigen Stimmen gegen diesen Krieg war, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen.
Diese andauernde Kriegssituation führte aber auch zu vermehrten Widerstand und revolutionären Aufständen, zur Bildung von Soldaten- und Arbeiterräten. Wie in Russland, formierte sich schon länger auch in Deutschland eine starke sozialistische Partei in der Arbeiterschaft, die sowohl die Politik der Republik, des Friedens und Antimilitarismus sowie der Emanzipation der Frau mit ausrichtete. Friedlich und einvernehmlich gingen diese Auseinandersetzungen nicht vonstatten. Davon zeugt auch die Tatsache, dass der sozialistische Politiker Karl Liebknecht die sozialistische Republik am selben Tag wie Scheidemann ausgerufen hat, die jedoch nicht wirkmächtig war. Damals wie heute gab es unterschiedliche Vorstellungen, wie diese neue Republik sein sollte, auch linke Abspaltungen in der SPD gab es damals bereits. Manches scheint ewig zu halten ;-)
Erst im Zuge dieser chaotischen, teils revolutionären und bürgerkriegsähnlichen Ereignisse wurde kurzerhand nach der Ausrufung der ersten deutschen Republik und einen Tag nach Beendigung des bereits verlorenen Krieges das allgemeine passive und aktive Wahlrecht der Frauen durch den Rat der Volksbeauftragten verkündet. In Deutschland früher als in manch anderen europäischen Ländern. Am 19.Januar 1919 konnten die Frauen das erste Mal bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung an die Urne gehen und selbst auch gewählt werden, so wie wir es schon immer gewohnt sind.
Wir profitieren bis heute von diesen mutigen Menschen
Bis heute profitieren wir, Frauen und Männer, von den Kämpfen dieser Frauen, auch dieser Männer, die sich für eine parlamentarische Demokratie, gegen einen vernichtenden Militarismus und stattdessen für Frieden und Gerechtigkeit sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter eingesetzt haben. Und es bewahrheitet sich der Ausspruch von Hedwig Dohm: "Es giebt keine Freiheit der Männer, wenn es nicht eine Freiheit der Frauen giebt." Genauso benötigt die Freiheit der Frauen die Freiheit der Männer, möchte ich hinzufügen und wie wir anhand der historischen Begebenheiten beispielhaft erkennen können.
Nichts von diesen gesellschaftlichen Fortschritten ist selbstverständlich, wie wir heute 100 Jahre später erneut feststellen müssen. Frieden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung sind Errungenschaften, die, wenn auch heute noch nicht von allen, so doch von der Mehrheit geschätzt werden. #wirsindviele, #wirsindmehr und das wird so bleiben. Es bleibt auch so genügend Stoff für Auseinandersetzungen.
Dieser Artikel ist auch auf dem staphblog des Studio angewandte Philosophie veröffentlicht: www.staphtraining.de/staph-blog/100-jahre-frauenwahlrecht-in-deutschland/