Antibiotikaresistenzen – Keime kennen keine Grenzen

Antibiotikaresistenzen – Keime kennen keine Grenzen

Jedes Jahr sterben allein in Deutschland rund 2.400 Menschen an den Folgen von Infektionen mit multiresistenten Erregern. Immer häufiger werden Wirkstoffe gegen multiresistente Bakterien unwirksam oder fehlen ganz. Jeder breite und nicht gezielte Einsatz von Antibiotika fördert die Entstehung von Resistenzen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einem „Post-Antibiotika-Zeitalter“ und das Robert Koch-Institut (RKI) spricht von einer der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit dieser Zeit.

Die Covid-19-Pandemie hat in dramatischer Weise gezeigt, was passieren kann, wenn bei einer Erkrankung Behandlungsmöglichkeiten fehlen und der Bedarf an Therapieoptionen in der Intensivmedizin steigt. Wir sind nicht ausreichend auf Gesundheitskatastrophen dieses Ausmaßes vorbereitet. Aber anders als bei COVID-19 handelt es sich bei AMR (antimicrobial resistance) um eine vorhersehbare und vermeidbare Krise. Wir haben jetzt die Chance, AMR zu bekämpfen, und wir dürfen sie nicht verpassen. Wir müssen im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen jetzt handeln! Damit Routineoperationen nicht zu potenziell gefährlichen Eingriffen werden.


Forschungs- und Entwicklungskosten können nicht gedeckt werden.

Trotz der enormen gesellschaftlichen Risiken gibt es keinen etablierten Markt für neue Antibiotika. In den letzten Jahren haben sich eine Reihe von fokussierten Biotech-Unternehmen aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen, weil es sich nicht rechnet. Das führt zu einem Verlust von wertvollen Ressourcen und Know-how auf diesem Gebiet. Das öffentliche Gesundheitswesen hat infolgedessen einen ungedeckten Bedarf an neuen Antibiotika, doch es fehlt Geld für die Forschung und Antibiotikaentwicklung.

Dies liegt vor allem an der langwieriger, komplexen und kostenintensiven Antibiotikaentwicklung - und nicht zuletzt auch an fehlenden Anreizen zur Entwicklung von Wirkstoffen, die möglichst selten und zeitlich begrenzt zur Anwendung kommen sollen. In den meisten Fällen können die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten nicht annähernd refinanziert werden.

Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Kosten für Reserveantibiotika nicht durch Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) bzw. ein Zusatzentgelt in Krankenhäusern gedeckt sind. Für Reserveantibiotika ist das besonders relevant, denn sie finden in der Regel ausschließlich im Krankenhaus Anwendung. Die pauschalisierten Erstattungsbeträge (Fallpauschalen) orientieren sich aber meist an generischen und kostengünstigeren Breitbandantibiotika. Die Rahmenbedingungen für innovative Antibiotika bleiben schwierig.  


Passende Anreize für die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika schaffen.

Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass marktbasierte politische Reformen notwendig sind, um Marktbedingungen zu schaffen, die nachhaltige Investitionen in die Antibiotika-Forschung und Entwicklung ermöglichen. Die WHO, die Europäische Kommission und viele EU-Mitgliedsländer haben in den letzten Jahren Aktionspläne zur Bekämpfung von Resistenzen aufgesetzt, die vor allem auf einen rationalen Antibiotika-Einsatz zur Eindämmung der Resistenzentwicklung abzielen.  Antibiotic Stewardship ist dabei das leitende Prinzip. Demnach sollen Ärzt:innen Antibiotika im Krankenhaus präzise und verantwortungsvoll einsetzen. Darauf zielt auch die Bundesregierung mit der Antibiotika-Resistenzstrategie ab.

Als eines der wenigen großen Pharmaunternehmen ist MSD trotz vieler Hürden noch in der Antibiotikaforschung und -entwicklung aktiv. Deshalb engagieren wir uns auch im AMR-Action Fund, der von zahlreichen forschenden Arzneimittelunternehmen gegründet wurde in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Europäischen Investitionsbank und dem Wellcome Trust. Die Allianz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 zwei bis vier Antibiotika mit neuem Wirkmechanismus zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Dafür will die pharmazeutische Industrie die Finanzierungslücke zwischen Biotechs, die Antibiotika entwickeln, und der Finanzierung der klinischen Entwicklung schließen. Der mit rund 1 Mrd. Euro ausgestattete Fund fördert langfristige Investitionen in die Antibiotikaentwicklung und erleichtert die notwendigen politischen Reformen. Aktuell befindet sich der Fund in der Aufbauphase seiner Arbeit.

 Aber auch die Politik muss handeln. Die Finanzierung über die Krankenhäuser ist essenziell für die Kostendeckung von Antibiotika. Dies gilt es als festes System zu etablieren, damit immer wieder automatisch Gelder für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stehen.


Antibiotikaresistenzen wirksam bekämpfen durch gemeinsames Forschen, zügiges Zulassen und adäquates Vergüten von Reserveantibiotika.

Wir benötigen ein entschiedenes staatliches Handeln, um den Antibiotika-Markt neu zu beleben und sicherzustellen, dass die Antibiotika-Pipeline die Bedürfnisse der Patient:innen erfüllt. Drei Bereiche müssen wir konkret angehen: gemeinsames Forschen, zügiges Zulassen und die Kosten von Reserveantibiotika adäquat vergüten.

👉 Erstens: Wir brauchen mehr Private-Public-Partnerships und Forschungsallianzen. Mit dem AMR Action Fund haben wir ein wirksames privatwirtschaftliches Modell aufgesetzt. Wir brauchen aber zusätzlich verlässliche Kooperationen, die langfristig Bestand haben. Wissenschaft und Industrie müssen gemeinsam agieren, denn die Herausforderung ist für „Einzelkämpfer“ zu groß. Die Weichen dafür stellt auch die Politik! Ein abgestimmtes Vorgehen zwischen Staaten ist unabdingbar und auch die Verbände und Unternehmen müssen eng einbezogen werden, wenn wir am Ende erfolgreich sein wollen. Denn Keime überwinden Landesgrenzen.

👉 Zweitens sollten wir die Zulassungsprozesse und Verfahren beschleunigen unter Gewährleistung aller Sicherheitsvorkehrungen im Einzelfall. Antibiotika durchlaufen dann selbstverständlich weiterhin alle notwendigen Schritte, um sicher und verträglich in die Anwendung zu gelangen.

👉 Drittens: Die Vergütung von Reserveantibiotika im Krankenhaus muss dringend reformiert und an die besonderen Anforderungen von Reserveantibiotika angepasst werden. Ein möglicher Ansatz ist die Schaffung von neuen, aufwandsabhängigen Zusatzentgelten für die Gabe von Reserveantibiotika im Krankenhaus. Dieser Vorschlag der medizinischen Fachgesellschaften wurde bislang aber abgelehnt. Daher ist die automatische Krankenhauserstattung von Reserveantibiotika umso wichtiger.

Wir bei MSD sind uns der besonderen Verantwortung bewusst, die sich aus unserer Rolle als forschendes Pharmaunternehmen ergibt. Deshalb treiben wir weiterhin die Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe im Kampf gegen bakterielle Infektionen voran. Wir wünschen uns aber auch, dass die Politik bestehende Hürden abbaut und mit uns gemeinsam nach passgenauen Lösungen für die Zukunft sucht. Wir brauchen neue Ansätze, die den Wert innovativer Antibiotika anerkennen, den Zugang für Patient:innen verbessern und zusätzliche Investitionen in Forschung und Entwicklung fördern. Die Corona-Pandemie hat uns gelehrt, wie wichtig globale Kooperationen sind. Wir müssen internationaler, enger und multidisziplinär zusammenarbeiten, um eine vermeidbare Krise abzuwenden.


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