Auslegung von Art. 261 Abs. 1 OR: Mietantritt erforderlich?
In einem gestern (14.11.2018) zugänglich gemachten Urteil vom 15. Mai 2018 (Geschäfts-Nr.: HG160080-O) untersucht das Handelsgericht des Kantons Zürich (Handelsgericht ZH) die in der Lehre umstrittene Frage, ob der Übergang des Mietverhältnisses gemäss Art. 261 Abs. 1 OR auch vom Mietantritt abhängt (oder ob für den erwähnten Übergang des Mietverhältnisses bereits der Abschluss des Mietvertrages ausreicht, unabhängig vom Mietantritt).
Art. 261 Abs. 1 OR lautet folgendermassen: "Veräussert der Vermieter die Sache nach Abschluss des Mietvertrags oder wird sie ihm in einem Schuldbetreibungs- oder Konkursverfahren entzogen, so geht das Mietverhältnis mit dem Eigentum an der Sache auf den Erwerber über."
Im Rechtsstreit, der dem hier diskutierten Urteil zugrunde lag, bestritt die Beklagte ihre Passivlegitimation mit Verweis auf Art. 261 Abs. 1 OR, weil sie die einschlägige Liegenschaft vor Entstehung der eingeklagten mietrechtlichen Forderungen veräussert hatte. Die Klägerin bestritt die Anwendbarkeit von Art. 261 Abs. 1 OR, weil sie vor Entstehung der auf den Mietvertrag gestützten Forderungen den Mietvertrag nicht angetreten hatte, also über das Mietobjekt noch keine Sachherrschaft erlangt hatte.
Nach einer detaillierten Präsentation der einschlägigen (und wie erwähnt konträren) Lehrmeinungen schreitet das Handelsgericht ZH in Erwägung 3.3 des Urteils zu einer detaillierten Auslegung der oben zitierten Bestimmung. Konkret prüfte das Handelsgericht ZH vertieft die klassischen Auslegungselemente Wortlaut, Gesetzgebungshistorie, Zweck (teleologisches Kriterium) sowie Systematik. Mit nach meinem Dafürhalten überzeugenden Argumenten legt das Gericht dar, dass eine entsprechende Auslegung dafür spricht, bezüglich der Wirkung von Art. 261 Abs. 1 OR auf den Abschluss des Mietvertrages abzustellen, nicht auf den Mietantritt. In den Worten des Handelsgerichts ZH (Erwägung 3.3.7):
"Der erfolgte Mietantritt ist keine Voraussetzung von Art. 261 Abs. 1 OR. Der Ver- tragsabschluss genügt – neben den anderen Tatbestandsvoraussetzungen –, um die Rechtsfolgen von Art. 261 Abs. 1 OR auszulösen. Ein anderes Ergebnis lässt die Auslegung von Art. 261 Abs. 1 OR nicht zu."
PHH, Zürich, den 15. November 2018 (www.haberbeck.ch)