Bedarfsermittlung im Verkaufsgespräch – Das Handlungsmotiv finden
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Bedarfsermittlung im Verkaufsgespräch – Das Handlungsmotiv finden

Nur wenn Sie ein Meister der Bedarfsermittlung sind, können Sie Ihr ganzes Potenzial als Verkäufer entwickeln. Wenn Kunden etwas entscheiden, dann nur wenn es auch ein Handlungsmotiv gibt. Und dieses zuverlässig zu finden, ist unser Ziel.

Eines ist sicher klar: Wer kein Problem hat, braucht auch keine Lösung. Und wer kein Problem hat, ist selten bereit Geld zu investieren. Also liegt es auf der Hand, zunächst herauszufinden, welches Problem einen Kunden zu einer Handlung – also einer Investition oder einem Kauf – bewegen könnte.

Probleme gibt es nicht – nur Herausforderungen

Vielleicht haben Sie schon den Spruch gehört „Probleme gibt es nicht – nur Herausforderungen“. Es soll sogar Experten geben, die empfehlen, das Problem komplett aus dem Sprachschatz zu entfernen. Sie sagen, dass die Verwendung des Wortes „Problem“ die Gedanken falsch lenkt und man deshalb lieber Worte wie „Chance“ verwenden sollte. Vielleicht haben Sie auch schon gehört, dass im Chinesischen die Schriftzeichen für „Krise“ und „Chance“ die gleichen sind. Davon abgesehen, dass das nicht stimmt, halte ich diese Wortverbote für Unsinn. Sonst müsste man auch Worte wie „Krankheit“ in „Gesundheitsgelegenheit“ umbenennen. Wäre das nicht albern? Und was machen wir mit dem Wort „Unfall“? Also sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich weiterhin die Dinge beim Namen nenne.

Lassen Sie uns akzeptieren, dass das Problem für viele Menschen ein unangenehmes Wort ist. Nicht nur deshalb scheint die einfache Frage „Was haben Sie für ein Problem?“ für unsere Zwecke ungeeignet. Was können wir also fragen, wenn wir herausfinden wollen, welches Motiv unseren Gesprächspartner auf den Gedanken bringen könnte, eine Investition zu tätigen.

Bedarfsermittlung durch Fragen

Ehrliche Fragen sind der beste Weg, wenn man etwas herausfinden will. Das gilt ganz besonders für die Fragen, die ein Problem ergründen sollen. Warum ist das so? Nehmen wir an, ich würde Ihnen eine aus meiner Sicht ganz neutrale und fachlich relevante Frage stellen. Eine Frage, die für mich wichtig ist, um mehr Verständnis aufzubringen. Die Frage lautet „Haben Sie auch Schwierigkeiten mit Fußpilz?“.

Sie merken sofort, dass die Frage aus Sicht des Empfängers ganz leicht als Unterstellung verstanden werden kann. So sachlich sie vom Fragesteller gemeint ist – eine geschlossene Problemfrage kann schnell so verstanden werden: „Sie haben doch bestimmt auch Schwierigkeiten mit Fußpilz, stimmt’s?“ Das gilt selbstverständlich in gleicher Weise auch für jedes geschäftliche Problem. Nehmen wir an, Sie stellen einem Geschäftsführer diese, aus Ihrer Sicht absolut sachlich gemeinte Frage: „Haben Sie auch Schwierigkeiten mit Ihrer bisherigen Anlage?“ Auch wenn es gute Gründe für diese Frage gibt und man ganz sachlich darauf antworten könnte – bei dieser Formulierung ist es eher wahrscheinlich, dass Sie eine rebellische Antwort bekommen. Eine Antwort, die, obwohl tatsächlich einige Probleme bestehen, aus einer Stimmung ähnlich einem trotzigen Kind eher so lauten wird: „Bei uns ist alles prima!“

Dem Beweggrund auf die Spur kommen

Für professionelle Verkäufer ist das klar. Zumindest glauben dies die meisten Profis aus Verkauf und Beratung. Und dann ergibt sich oft eine überraschende Erkenntnis. Wenn ich diesen Punkt mit erfahrenen Verkäufern im Seminar bespreche, erbe ich fast immer ein mitleidiges Lächeln. „Das wissen wir längst. Das ist Stoff aus dem Anfängerkurs“ scheint der Gesichtsausdruck mitleidig sagen zu wollen. Und wenn dann in der Folge im Seminar Praxisübungen anstehen, in denen die gleichen Teilnehmer in Rollenspielen ihre Verkaufsgespräche verbessern wollen, dann zeigt sich, dass es zwar in der Theorie klar ist, aber in der Praxis selten funktioniert.

Warum weichen selbst langjährig erfahrene Profis von dem ab, was sie sich vornehmen? Warum stellen sie geschlossene Fragen, obwohl sie doch wissen, dass es keine gute Idee ist? Was geht hier schief? Nun, ich denke es ist der Gewöhnungseffekt. Wenn Menschen in vielen Gesprächen mit ähnlichen Kunden immer wieder die gleichen Problem-Szenarien genannt bekommen, dann ändert sich ihre Erwartung. Sie gehen in die Gespräche hinein und denken „Das ist doch jetzt sicher wieder dieses Problem…“ Und das dürfte auch meistens stimmen. Jeder Berater, der seit vielen Jahren in seiner Branche erfolgreich unterwegs ist, wird wohl feststellen, dass die Anzahl der typischen Probleme sehr klein ist. Man findet immer die gleichen Probleme mit ganz geringen Variationen. Kein Wunder also, dass Verkäufer dazu tendieren, die Abkürzung zu nehmen. Die schnellste Möglichkeit ist schließlich dem Kunden sinngemäß zu sagen: „So wie ich das sehe, ist das Ihr Problem, stimmt’s?“

Haben Sie die Lösung oder sind Sie selbst das Problem?

Allerdings führt diese Abkürzung nicht zum Erfolg. Die Erklärung dafür ist ganz leicht an einem Beispiel erklärt. Stellen Sie sich vor, Sie haben sich beim Sport verletzt. Sagen wir am Knie. Erst dachten Sie, es heilt von alleine. Aber jetzt, nach ein paar Wochen vergeblichen Behandlungsversuchen aus der Hausapotheke, sehen Sie ein, dass Sie professionelle Hilfe brauchen. Durch Zufall sprechen Sie mit einem alten Freund. Er sagt, dass er einen Kniespezialisten vor Ort kennt, der weltweiten Expertenruf genießt. Man bekommt dort Termine nur nach vielen Monaten Wartezeit – aber weil Ihr alter Freund mit diesem Kniespezialisten schon zusammen im Kindergarten war, kann er Ihnen schon übermorgen einen Termin beschaffen.

Gerne nehmen Sie an und warten zwei Tage später in der Praxis, dass Sie drankommen. Als Sie aufgerufen werden, humpeln Sie zum Behandlungszimmer, klopfen an und treten ein. Sie machen ein paar Schritte auf den hinter seinem Schreibtisch wartenden Professor zu, der Sie und Ihren humpelnden Gang aufmerksam beobachtet. Kaum, dass Sie drei Schritte gegangen sind, sagt der Arzt: „Wunderbar. Ich sehe gleich, was Ihnen fehlt.“ Währenddessen kritzelt er auf einem Rezeptblock, hält Ihnen das fertige Rezept vor die Nase und sagt freundlich lächelnd: „Danke, dass Sie hier waren. Das können Sie sich unten in der Apotheke holen. Bitte drei mal am Tag einreiben, dann müsste bald alles gut sein…“

Genie oder Scharlatan?

Was denken Sie jetzt wohl über diesen Arzt? Halten Sie ihn für einen Experten oder gar eine Koryphäe auf dem Gebiet der Knieverletzungen? Wohl kaum. Aber weshalb nicht? Schließlich sind Sie vermutlich selbst kein Knie-Experte und kaum in der Lage, seine Kompetenz zu beurteilen. Vielleicht konnte er alleine anhand Ihres Humpelns das Leiden erkennen. Ein echter Super-Spezialist eben. Naja – nicht wirklich. Eher ein Scharlatan? Weil er Sie nicht wirklich untersucht hat, sprechen Sie ihm die Kompetenz ab – ohne dass Sie das wirklich einschätzen können.

Was wäre gewesen, wenn der Arzt das Rezept heimlich schon während Ihres Ganges zur Behandlungsliege geschrieben hätte. Dann hätte er sich 10 Minuten Zeit genommen, um Ihr Knie zu betasten, ein paar Bewegungen damit zu machen, und Ihnen einige Fragen zur Verletzung und Ihren Beschwerden gestellt. Und erst dann hätte er Ihnen das Rezept mit den gleichen Worten ausgehändigt. Was dächten Sie jetzt von ihm?

Ich denke, diese kleine Geschichte macht deutlich, dass die Kompetenzanmutung von Experten nicht durch schnelle Diagnose, sondern durch ausreichende Anamnese gestärkt wird. Bezogen auf den Geschäftskundenvertrieb heißt das, dass frühzeitige Lösungsvorschläge kaum hilfreich sind. Auch wenn Sie als Experte für die Probleme des Kunden sofort erkennen, wie es gelöst werden kann, sollten Sie sich viel Zeit nehmen, um das Problem zu hinterfragen und genau zu verstehen. Wenn Sie die verlockende Abkürzung nehmen, schaden Sie sich und Ihrem Ruf als Problemlöser. Und gerade erfahrene Berater tappen besonders oft in diese Falle, denn sie sind ja in der Lage, Kundenprobleme spontan zu erkennen.

Bauplan für Problemfragen

Und wie sollte eine gute Problemfrage aufgebaut sein? Wie stellt man Fragen, die ein Gesprächspartner gerne beantworten wird? Sie können sich ganz leicht die passenden Fragen zusammenstellen, wenn Sie diesem einfachen Bauplan folgen: 1. Thema aus Kundensicht plastisch machen und 2. offene ehrliche Frage kundengerecht stellen. Hier hören Sie ein paar Beispiele:

„Angenommen, wir sprechen über die Optimierung Ihrer Ausgangsfrachten – was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten drei Prioritäten?“
„Wenn Sie jetzt an die Leistungsfähigkeit Ihrer Vertriebsmannschaft denken, insbesondere im internationalen Leistungsvergleich – was liegt Ihnen persönlich am Herzen?“
„Stellen wir uns vor, es geht um die Frage, wie Sie den Krankenstand im Unternehmen im Sinne der Mitarbeiter und des Unternehmens senken können – welche Überschriften erscheinen vor Ihrem inneren Auge?“

Das Prinzip ist sicher schon klar geworden. Lassen Sie uns die beiden Bestandteile noch etwas genauer betrachten und den zweiten Teil um den Aspekt „Emotion“ erweitern.

Fokus – Fakten – Emotion

Der erste Teil soll den Blick des Gesprächspartners auf das Thema lenken. Dabei hilft es, wenn Sie seine Perspektive berücksichtigen. Also nicht „es geht um Ausgangsfrachten“, sondern „Ihre Ausgangsfrachten“.  Um die Phantasie zu beflügeln lohnt es sich „bewusstseinserweiternde Formulierungen“ zu verwenden. Deshalb mag ich Formulierungen, wie „Angenommen…“, „Stellen wir uns vor…“, „Wenn Sie an … denken…“.

Der zweite Teil ist eine offene Frage, auf die Sie wirklich eine Antwort gebrauchen können. Variieren Sie zwischen rational geprägten Fragen und emotional, intuitiv geprägten Fragen. Rational geprägte Fragen richten sich nach den Prioritäten, Auflistungen und Argumenten. Emotionale Faktoren sind eher Befindlichkeiten, Gefühle und Sichtweisen. Wenn Sie hier besonders wirksame Fragen stellen wollen, haben Sie vorher erkannt, welche Wahrnehmungskanäle der Kunde bevorzugt.

Der visuelle Typ wird eher etwas sehen oder es ist ihm „nicht klar“. Der akustische Typ hört oder es „klingt nicht gut“. Haptische Menschen spüren oder es ist „nicht rund“. Und olfaktorische bzw. geschmacksgeprägte Typen finden, dass etwas „stinkt“. Wenn Sie die Prägung Ihres Gesprächspartners erkannt haben, können Sie ihn alleine durch die passende Formulierung der Frage besser erreichen.

Achten Sie darauf, dass Sie nicht nur eine Problemfrage stellen, sondern mehrere. Stürzen Sie sich nicht auf das erste Problem, das der Kunde nennt, denn es ist fast nie das wichtigste. Notieren Sie sich das gesagte, wiederholen Sie es kurz und stellen Sie dann weitere Fragen. „Ich habe mir notiert … ist ein problematischer Aspekt. Und darüber hinaus – was noch…?“ Sammeln Sie auf diese Art einige Aspekte des Problems, bis Sie ein wirklich gutes Verständnis entwickelt haben.

Wie zu jedem Blogbeitrag meiner Schwerpunktthemen, gibt es auch zu diesem Artikel wieder ein hilfreiches Arbeitsblatt.

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