Bootlegging Projekte: Wie Organisationsrebellen Innovationen vorantreiben

Bootlegging Projekte: Wie Organisationsrebellen Innovationen vorantreiben

Viele erfolgreiche Innovationen sind in der Vergangenheit durch den engagierten Einsatz einzelner Mitarbeiter entstanden, die auch gegen den Willen ihrer Vorgesetzten im Verborgenen an ihrer Idee weiter tüftelten – oft mit überragendem Erfolg. Innovationen dieser Art werden als Bootlegging-Projekte bezeichnet.

Was genau ist Bootlegging?

„Bootlegging“ war während der Prohibition die Bezeichnung für Schmuggel und Schwarzhandel. Bootlegging-Projekte zeichnen sich daher vor allem dadurch aus, dass sie im Verborgenen in der frühen Phase eines Innovationsprozesses vorangetrieben werden: 

 

  • Bootlegging bezeichnet F&E-Aktivitäten eines Mitarbeiters, der Innovationsideen ohne formale Legitimation in inoffiziellen, verborgenen Innovationsprojekten umsetzt.
  • Die Initiativen erfolgen ohne Wissen und Einbeziehung der Vorgesetzten, teilweise auch gegen deren direkte Anweisung bzw. unter Umgehung oder Nichtachtung betrieblicher Vorschriften und Regelungen.
  • Es gibt keine offiziell zugewiesen Ressourcen (Zeit, Material, etc.). Die Mitarbeiter besorgen sich die Ressourcen selbst.
  • Bei positiven Resultaten werden die Aktivitäten in das offizielle Innovationsmanagement integriert – sofern das Management überzeugt werden kann.

 

Empirische Untersuchungen zeigen, dass Aktivitäten im Rahmen von Bootlegging gänzlich neue Technologien und die Entwicklung radikal neuer Produkte oder Prozesse hervorbringen – jedoch lediglich zu einem relativ geringen Prozentsatz. Die meisten Aktivitäten adressieren Vorstudien, die als Basis zur Einreichung neuer Projekte für die kommende Planungsperiode durchgeführt werden. Meist handelt es sich dabei um neue Technologien, technische Weiterentwicklungen oder Verbesserungen von Produkten und Prozessen.

 

Was sind die Gründe für U-Boot Projekte? 

Die empirische Analyse „Innovatives Engagement“ von Claudia Michalik zeigt, dass insbesondere nachfolgende Gründe verborgene Projekte fördern:

 

  • Eigeninteresse des Forschers
  • Aufzeigen der Machbarkeit eines innovativen Gedankens
  • Projekt als Ventil für kreative Ideen und Spaß an der Arbeit
  • Zeitüberbrückung zwischen Finanzierungsperioden
  • Schlechte strategische Innovationsplanung und fehlender Antrieb des Unternehmens
  • Mangelnder Freiraum für Kreativität
  • Kommunikationsprobleme zwischen Innovationsträger und mittlerem Management (zu viel Papierkrieg, zu starre und unflexible Innovationsprozesse, Vorlieben des Managements)

  

Beispiele erfolgreicher Bootlegging Projekte

Bootlegging gibt es in jeder Branche und gehört in vielen Unternehmen zur alltäglichen Forschungspraxis. Mitarbeiter der IT-Branche entwickeln ohne Legitimation innovative Software, Chemiker High-Tech-Materialien oder neue Pharma-Wirkstoffe.


Sogar Aspirin ist ein Bootlegging-Produkt. Vor über 100 Jahren synthetisierte der junge Chemiker Felix Hoffmann eine verträglichere Variante der schmerzlindernden Salicylsäure in Eigenregie, da der bitter schmeckende Wirkstoff bei seinem rheumakranken Vater Brechreiz auslöste. Weitere Beispiele sind:

  • Bayer: Nach sieben Jahren ungenehmigter Forschung entdeckte Klaus Grohe den Cipro-Wirkstoff, der heute als synthetisches Antibiotikum Ciprofloxacin als einziges Medikament in den USA für die Behandlung von Milzbranderregern zugelassen ist.
  • Hughes-Aircraft: Der Bau des ersten funktionsfähigen Lasers.
  • Merck: Die Entwicklung von LCD-Anzeigen, mit denen das Unternehmen heute Weltmarktführer ist.
  • Nespresso: Die Original-Nespressokapseln, die seit Jahren milliardenfach verkauft werden.
  • ZEISS: Ein industrietaugliches Simultan-Spektrometer zur Farbanalyse, eine der bedeutendsten Entwicklungen des Unternehmens.
  • Toshiba: Der weltweit erste Massenmarkt-Laptop „T1100“ von Toschiba.
  • Beiersdorf: Das erfolgreiche Deo Black & White war ein U-Boot Projekt, welches vom Vorstand abgelehnt wurde.

 

In U-Boot Projekte fließt viel Geld

Bootlegging-Projekte sind ein zweischneidiges Schwert. Sie können einerseits Innovationen hervorbringen, andererseits werden jedoch auch Zeit und Ressourcen ohne Abstimmung verwendet, die offiziellen Projekten fehlen. Laut Claudia Michaliks Studie fließen bis zu 20 Prozent der F&E-Budgets in Bootlegging-Projekte. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, da Unternehmen U-Boot Projekte ungern öffentlich machen.

 

Nicht immer sind solche Projekte erfolgreich. Problematisch kann es werden, wenn Forscher so von ihrer Idee eingenommen sind, dass sie das Marktpotenzial aus den Augen verlieren. Im Extremfall kann es einem Unternehmen hohe Kosten verursachen, wenn der Mitarbeiter an der Unternehmensstrategie vorbei forscht. Immer mehr Unternehmen nutzen daher inzwischen gezielt die Potenziale der „heimlichen“ Kreativität. Die Legalisierung von Bootlegging Projekten und die Überführung in mitarbeitereigene Projekte bietet hier eine Lösung.

 

Wie Bootlegging in Unternehmen gezielt gefördert wird 

Durch Unternehmen wie Google und 3M fand das Konzept des „Permitted Bootlegging“ Eingang in die Innovationspraxis, um Kreativität und Eigeninitiative der Mitarbeiter in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Entwicklerteams erhalten Freiräume, um an erfolgversprechenden Ideen zu arbeiten und sie aus dem frühen Stadium heraus bis zur Erstellung eines Prototyps zu bringen.

 

Mitarbeiter bei 3M dürfen beispielsweise 15 Prozent der regulären Arbeitszeit in eigene Projekte stecken. Ein legendäres Erfolgsbeispiel dieser Strategie sind die gelben Post-it-Haftzettel. Entwickelt wurden sie von Mitarbeiter und Kirchenchorsänger Art Fry, dem ständig die Lesezeichen aus seinem Gesangbuch flatterten. Als ein Kollege versehentlich einen schlecht haftenden Klebstoff erfunden hatte, war die Idee geboren. Ein anderes erfolgreiches Projekt war die Schneidemaschine für Tape-Band, die später als eine der größten Prozessinnovationen der Firmengeschichte bezeichnet wurde.

 

Bei der AUDI AG haben Bootlegging Projekte ebenfalls eine lange Tradition. In der Vergangenheit haben sie zu bahnbrechenden Innovationen wie dem quattro-Antrieb geführt, der heute in der Hälfte aller Audis verbaut wird. Sehr erfolgreich war auch das Bootlegging-Projekt „Fahrwerk 2020+x“. Ein Team junger Mitarbeiter hatte ein Jahr Zeit, Ideen zum Fahrwerk der Zukunft zu entwickeln. Das Projekt begann mit einem Kick-off-Workshop, umfasste Besuche bei branchenfremden Firmen und setzte sich sehr kritisch mit der Zukunft der Automobilindustrie auseinander. Das Ergebnis waren 185 neue Ideen, 53 Patentanmeldungen, 21 erteilte Patente und 13 Entwicklungen.

 

 

Erfolgsfaktoren für Bootlegging Projekte

Als Teil eines dreieinhalbjährigen Kooperationsprojekts der Universität St.Gallen mit der Technischen Entwicklung von AUDI untersuchten Ulrich Leicht-Deobald und Nina Lins in einer Interviewstudie (20 F&E-Mitarbeiter, 6 Vertreter des TOP-Managements), was U-Boot Innovationsprojekte erfolgreich macht. Für den Erfolg haben sich in der Studie sechs entscheidende Faktoren herauskristallisiert:

 

  1. Geheimhaltung beugt dem Widerstand angrenzender Fachbereiche vor.
  2. Eine spielerische Grundhaltung ermöglicht dem Team volle Konzentration auf das Ziel. Das funktioniert nur, wenn Mitarbeiter von ihren alltäglichen Aufgaben befreit sind.
  3. Freiwilligkeit ist eine Grundvoraussetzung für die erforderliche hohe Motivation.
  4. Diversität der Teamzusammensetzung gewährleistet eine Vielzahl von Perspektiven.
  5. Die Unterstützung durch das Management sichert Eigenständigkeit und Freiräume.
  6. Außergewöhnliche Herausforderungen spornen zu Höchstleistungen an.

 

Erfolgreiches Bootlegging braucht somit eine entsprechende Unternehmenskultur sowie passende strukturelle Rahmenbedingungen. Dazu gehören z.B. Freiheiten bei Aufgabenwahl und Entscheidungsspielraum bei Kooperationspartnern, Incentives und Management Support. Auch die Persönlichkeit des Bootleggers spielt eine entscheidende Rolle. Nicht jeder Mitarbeiter hat eine „Bootlegger-Mentalität“, die sich durch Begeisterungsfähigkeit, Gestaltungskraft und eine gewisse Risikofreude auszeichnet.

 

Fazit: Bootlegging fördert Innovationskultur und schafft Wettbewerbsvorteile

Innovationen scheitern oftmals schon an internen Widerständen, bevor sie überhaupt erprobt werden konnten. Es kann daher sinnvoll sein, Bootlegging Projekte im Unternehmen auf einer legitimen Basis zu ermöglichen. Für das Management ergibt sich daraus der Vorteil, dass ihm wesentlich reifere Ideen präsentiert werden und es nicht mehr aufgrund vager Ideen entscheiden muss, ob die Innovation weiterverfolgt werden soll. U-Boot Projekte tragen außerdem dazu bei, bei kritischen Entwicklungen einen Zeitvorsprung zu erreichen und das Unternehmen als Ganzes innovationsfreundlicher zu gestalten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.lead-innovation.com/blog.

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