Carpe momentum
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Carpe momentum

Es liegen jetzt Tage und Wochen hinter uns, die sich in fast jeder Hinsicht von allem unterscheiden, was unsere Zeit noch im Februar bzw. Anfang März geprägt hat.

Zu diesem Zeitpunkt, spätestens ab Mitte März sahen wir uns von jetzt auf nachher einem großen roten Stoppschild gegenüber. Es war wie eine Vollbremsung von 100 auf 0. Das tägliche Leben kam von heute auf morgen zum Erliegen. Zuhause bleiben war die Devise. Sich so gut wie möglich in den eigenen vier Wänden einrichten. Sich auf das Nötigste zu reduzieren. Gleichzeitig traf eine herausfordernde Information nach der nächsten ein: schneller, starker Anstieg der Corona-Infizierten, dann der Erkrankungen, dann der Toten. Umstellung auf Kurzarbeit, Kontaktverbot zu Verwandten und Freunden. Wir wurden in kürzester Zeit ungefragt aus unserer Komfortzone katapultiert.

Es blieb nichts anderes übrig, als sich unmittelbar in die neue Situation einzufinden. Immerhin blieb der virtuelle Kanal offen, als Tor in die Welt. Und da entstand Erstaunliches. Die alten Eltern kamen via Webcam zum Abendessen an den Familientisch, über 50.000 Menschen nahmen bereits am ersten Lockdown-Wochenende an einem Hackathon teil und begründeten unzählige Initiativen, unmittelbar in den ersten Tagen "daheim" wurden schon mal wieder Telefonate mit Menschen geführt, zu welchen seit Jahren kaum mehr Kontakt bestand. Trotz aller Distanz entstand in kürzester Zeit Gemeinsames. Plötzlich erlangte das Schicksal eines Nachbarn einmal wieder Bedeutung, die Situation der direkt von Corona Betroffenen nahmen wir mit Empathie wahr und in den schnell beliebt werdenden zoom-Meetings hörten wir uns zu. Ja, wir hörten uns wirklich wieder auf den verschiedenen Ebenen zu. Wir öffneten uns auch Neuem, nahmen an verschiedensten Initiativen teil und erweiterten unsere Perspektiven in vielfältiger Form.

Ich persönlich habe gefühlt in den letzten Wochen mehr über Menschen gelernt, die mir vermeintlich seit Jahren vertraut sind, wie je zuvor. In nur 6 Wochen hatte ich mehr inspirierende Kontakte und Gespräche als bisher womöglich in 2-3 Jahren. Ich habe zum ersten Mal seit vielen Jahren ganz bewusst wieder den Frühling erlebt. Ich hatte berührende Erlebnisse mit mir Fremden. Meine Sichtweise hat sich vielfältig erweitert. Und ich habe bestimmt 10 neue Themen aufgegriffen und gestaltet. Ich habe meine Selbstwirksamkeit erlebt. Gemeinsam mit anderen. Und dabei Kraft, Herzenswärme und Freude erlebt. Ein grandioses Gefühl.

Die Zumutung der Krise führte zu einer Sensing-, in Folge sogar zu einer Co-Sensig-Phase. Mit dem Ergebnis, holistischer wahrzunehmen. Mit dem Kopf und dem Herzen zu hören, zu sehen und zu spüren. Und somit mehr und besser zu verstehen. Und dies obwohl wir unsere Panikzone zu überwinden hatten, um diese Erfahrungen möglich zu machen. Wie mutig war das denn.

In einem meiner Social Solidarity Circle sprachen wir in der letzen Woche auch über unsere Sorge. Und nein, das ist nicht primär die Sorge an CONVID 19 zu erkranken und auch nicht jene, wie wir in dieser Situation wirtschaftlich stabil bleiben. Obwohl das beides natürlich sehr zentrale Themen sind. Vielmehr galt unsere Sorge dem, dass wir jetzt, nach den Lockerungen genauso schnell wieder von 0 auf 100 hochfahren und genau da und so weitermachen, wo wir Mitte März aufgehört haben.

Dass wir vielleicht nicht wirklich etwas gelernt haben. Dass wir einfach zu "Business as usual" zurückkehren. Dass wir das sich jetzt geöffnete Fenster der Möglichkeiten und der Veränderung einfach wieder schließen. Bevor wir den Transformationsprozess tatsächlich bis zum Ende gegangen sind. Bevor das Neue seine ersten Sprossen bzw. zarten Blättchen zeigen konnte.

Jetzt ist das "momentum". Jetzt ist die Zeit, in welcher Veränderung erfolgt. Jetzt ist das Potenzial zum Shift gegeben. Es kann jetzt ganz anders weitergehen - oder wie bisher.

Carpe momentum will sagen, achte diesen Moment jetzt. Blicke nochmals bewusst auf die letzten Wochen mit all ihren Gains and Pains. Mit dem, was an Verständnis und Mitgefühl entstanden ist, an Gemeinschaft und an Hoffnung. Ziehe eine Bilanz. Was hat sich neu gezeigt, was wurde (wieder) entdeckt? Was will jetzt auch zu Ende gehen, weil es eigentlich schon längst zu Ende ist oder nie hätte anfangen sollen? In Stille und alleine geht das nach meiner Erfahrung am besten.

Das wäre eine gute Grundlage, den nächsten Schritt zu tun. Sich bewusst zu entscheiden, was jetzt ansteht - zurück zum "bisher" oder mutig nach vorne ins "möglich".

Letzteres bedingt "loszulassen", sich von mach Bekanntem zu lösen. Vielleicht ohne, dass das Kommende schon sichtbar ist. Das verunsichert zunächst. Das schmerzt vielleicht. Das will auch erst einmal nicht. Es bietet sich jetzt aber an. Mit wenig Gepäck reist es sich leichter. Es betrifft Aufgaben, Tätigkeiten, Arbeitsformen, oberflächliche oder gestörte Beziehungen, verborgene Kompromisse und alte "Leichen", die noch im Keller liegen. Aber auch Bedürfnisse, wie "Sicherheit" oder geschätzte Vorgehensweisen, wie "Planung" oder "Lineares Handeln".

Jetzt ist der Moment, einen Lebens-Frühjahrsputz zu machen. Alte Zöpfe abzuschneiden und Überkommenes konsequent auszusortieren. Sich dabei bewusst zu entscheiden, was auch auf jeden Fall bleiben und einen Platz im Reisegepäck Richtung Zukunft erhalten soll. Dabei wählerisch sein und wirklich nur das erhalten, was unbedingt berücksichtigt werden soll. In der Regel ist das auf der Ebene eigene Werte, Sehnsüchte und Wünsche zu finden.

So wird Platz geschaffen für das, was sich in Kürze zeigen und neu manifestieren will.

Corana macht Dir, neben all dem Leid und Schrecken gerade dieses Geschenk. Nimm es an. Jetzt ist der Moment. Nutze ihn. Nur Mut!


Olaf Keser-Wagner, Evokator

Impulse - Führung - Beratung - Moderation durch Evokation

4 Jahre

Mir ging ind geht es wie dir. Danke für diese Zeilen!

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