Corona-Krise. Bewährungsprobe für Marken.
Für uns alle sind gerade unvorstellbare Zeiten angebrochen. Niemand hätte gedacht, dass es jemals so kommen würde. Wir sind unsicher, entwickeln Existenzängste, befürchten finanzielle Einbußen. Unser tägliches Leben verläuft vollkommen anders.
„... Maßnahmen, die es in unserem Lande so noch nicht gegeben hat.“
Feste, Konzerte, Sportveranstaltungen, Branchentreffen und Networking-Veranstaltungen werden abgesagt. Krankenhäuser, Pflegeheime, Seniorenresidenzen, Geschäfte und Museen schließen. Reisen werden nicht empfohlen. Echte Begegnungen werden weniger.
Für das letzte Märzwochenende hatten sieben Schulkameraden aus meiner Heimatstadt und ich ein Treffen in Hamburg vereinbart. Wir wollten Hamburg erleben und gemeinsam Spass haben. Als in der letzten Woche dann die ersten WhatsApp-Nachrichten in unserer Gruppe eintrudelten, ob wir nicht verschieben sollten, hielt ich das zunächst für übertrieben. Wir würden Wege finden, uns mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Doch täglich veränderte sich die Lage und nun ist klar, ein Treffen in Hamburg – ohne geöffnete Museen, Geschäfte, Kneipen und Restaurants – ist nicht nur spaßbefreit, sondern gefärdet auch unsere Gesundheit.
Eine Welt mit minimalem physischen Kontakt bietet extreme Herausforderungen für Marken und Unternehmen.
Die Krise markiert einen Wendepunkt in unserem Miteinander. Nicht nur in unserem Leben, sondern insbesondere in der Geschäfts- und Markenwelt. Sie ist Stresstest für Überlebensstrategien von Unternehmen. Insofern bietet sie auch eine Chance, Unternehmen und Marken für eine digitale Zukunft zu stärken. Genauso werden Kunden Akzeptanz lernen für eine digitalere Zukunft.
Die markentechnischen Eckpfeiler der Bewältigung der unternehmerischen Herausforderungen sind:
Informieren. Die Kommunikation.
1. interne Mitarbeiter-Kommunikation
Die im Unternehmen verankerten Werte bestimmen sehr genau, wie im Unternehmen miteinander kommuniziert wird. Wie wichtig sind mir meine Mitarbeiter? Werden Mitglieder des Unternehmens als Aushängeschild für das äußere Bild des Unternehmens gesehen? Ist mir die Gesundheit meiner Kollegen wichtig?
Twitter hat sehr schnell agiert und die Mitarbeiter ins Home Office geholt. Andere Unternehmen zögern noch oder haben bis jetzt lange gezögert. In den Supermärkten, Apotheken, Bäckereien, wo Mitarbeiter nah am Kunden im persönlichen Kontakt arbeiten „müssen“, entstehen Ängste. Einerseits können die Kollegen froh sein, dass sie noch arbeiten können und dürfen, andererseits sind sie einem größeren Risiko ausgeliefert als der Arbeitnehmer im Homeoffice. Deshalb ist es wichtig, die Ängste und Bedenken des Teams hinterm Tresen ernst zu nehmen und täglich die Situation neu zu bewerten. Ein morgendliches Stand Up zur aktuellen Situation, zu den Erfahrungen der Belegschaft mit Hamsterkäufen und Beschwerden der Kunden, die Bewertung von Hygienevorschriften im Verkauf und an der Kasse sind jetzt mehr denn je ein gutes Ritual, um Befindlichkeiten und sorgenvollen Gedanken der Mitarbeiter begegnen zu können.
Mitarbeiter müssen z. B. bei Geschäftsschließungen oder Kürzung der Öffnungszeiten in der Gastronomie sehr behutsam und verständnisvoll über die eingeleiteten Maßnahmen, wie Antrag auf Kurzarbeitergeld, notwendige Anwesenheitszeiten und Lohnfortzahlungen informiert werden. In einigen Unternehmen passiert das quasi automatisch, weil das Wertebewusstsein die Unernehmskultur folgerichtig beeinflusst. Bei anderen Unternehmen ist diese kulturelle Verantwortung nicht so streng verankert.
Meine persönliche Beobachtung in Hamburg am Dienstag, dem Tag der behördlichen Anordnung, Geschäfte zu schließen, ist sehr kontrovers. Einige Geschäftsinhaber hatten im Vorfeld ihre Mitarbeiter informiert, so dass die gesamte Belegschaft nicht umsonst erschienen ist. Einige Verantwortliche haben erst am Dienstagmorgen in der Filiale Mitarbeiterversammlungen durchgeführt. Einige Läden waren sogar (verbotenerweise) geöffnet, weil die Botschaft noch nicht zum Fililalteam durchgedrungen ist. Blume 2000 etwa hat noch bis mittags in Hamburg Blumen verkauft. Hmmh, das Unternehmen sitzt in Hamburg, hat es aber leider nicht geschafft seine Mitarbeiter vor Ort über die behördlichen Bestimmungen zu informieren...
2. Kunden-Kommunikation
Wenn die Mitarbeiter informiert sind, können sie auch mit EINER Stimme in Richtung Kunden kommunizieren. Größere Marken, wie Apple oder das Alsterhaus am Jungfernstieg, agieren professionell an den Verkaufstätten. Aushänge an den Eingangstüren informieren auf Basis der behördlichen Anordung sehr empathisch und unaufgeregt. Ebenso auf den Internetseiten, wie hier auf www.alsterhaus.de
Douglas schafft es leider nicht ganz so professionell, die Kunden an der Geschäftstür mit einem Aushang aus der Unternehmenszentrale zu informieren. Die findige Leitung einer Filiale in meiner Nähe hat aber Kontakt zu einer Filiale in Niedersachsen, welche den Hamburgern in meiner Nähe ein Foto ihres Aushangs schickt. Die Filiale in Hamburg hängt einfach das Foto des Aushangs der niedersächsichen Kollegen an die gläserne Tür. Auf diesem Aushang wird auf die Anordnung des „niedersächsichen MP“ verwiesen. Nun denn, die hamburgische Senatskanzlei ordnet ja gleichlautend an. Das Wort des niedersächsischen Ministerpräsidenten gilt auch für Hamburg.
Mein Fitnessstudio schickt einen Newsletter über die Schließung aufgrund der besonderen Lage und der behördlichen Anordung.
Das Restaurant, in dem ich einen Tisch für unseren „Männerabend“ reserviert hatte, ruft mich an, bedankt sich bedauernd für mein Verständnis, dass sie bis auf weiteres schließen müssen und daher die Reservierung stornieren müssen. Sie wollen sogar wieder zurückrufen, wenn es weiter geht und wünschen mir noch viel Gesundheit. Finde ich sehr sympathsich. Die haben gerade sicherlich andere Sorgen. Das aber ist Kundenempathie. Dieses Restaurant werde ich nun sicher nach bestandener Krise häufiger besuchen. Definitv!
Umsetzen. Die beste Kommunikation ist das Machen.
3. interne Workflows und Zusammenarbeit
Jetzt zeigt sich, wo intern Abläufe noch besser organisiert werden können. Im obigen Fall von Douglas hätte ein „Krisen-Komitee“ in der Unternehmenszentrale die interne Information der Filialleitung optimal organisieren können – mit entsprechenden Tools zur Kundenkommunikation vor Ort. Das Corona-Einsatzteam hätte am Anfang der Krise zusammengestellt werden müssen. Es hätte sich agil zur aktuellen Situation beraten und den Kontakt zu behördlichen Quellen halten müssen.
So wandelt sich die innere Achtsamkeit der Marke zur Empathie in Richtung Kunde.
Einige Firmen haben Guidelines für das mobile Office und für Homework zusammengestellt. Schon im Vorfeld, nicht aus Anlass von Corona! Diese Unternehmen sind gut aufgestellt, die Zusammenarbeit des Teams funktioniert friktionslos. Auch die Tools sind vorhanden und die Routinen sind eingeübt.
4. Kunden-Service-Infrastruktur
Noch mal zurück zu meinem Fitness Studio. Das bietet nun zumindest schnell einen kostenlosen Zugang zu einem sonst kostenpflichtigen Portal für Video-Sportkurse an. Im nächsten Schritt wäre doch denkbar, dass Kursleiter über z. B. Facebook Live der sportbegeisterten Community für die Pause im Homeoffice weiterhin Kurse anbieten. So bleibt der Kontakt zu den Kunden bestehen. Die Kunden sehen, dass sie weiterhin Leistung für ihr Geld geboten bekommen.
Das gleiche gilt auch für Tanzstudios. Der Livestream ins Wohnzimmer. Der Kurs wird fortgesetzt, der Tanzlehrer ist weiter präsent und Kunden sind gern gewillt, die Monatspauschale weiter zu bezahlen. Volkshochschulen müssen nun ihre Kurse digitalisieren und Webinare anbieten.
Beratungs- und Planungsleistungen können per Video-Konferenz auch ohne persönlichen Kontakt erfolgen. Ikea muss nicht alle Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Sie könnten durch digitaler Möbelberatung per Chat und Videokonferenz Kunden unterstützen und gleich die Bestellung abwickeln. So wird die Hej-Kultur sehr plastisch mit Handeln untermauert. Das weitere Ausrollen von AR-basierten Planungsmöglichkeiten erleichtert dem Besteller die Entscheidung am Bildschirm. Video- und Foto-Zoom-Funktionen, die die Materialbeschaffenheit von Oberflächen erkennbar und „fühlbar“ zu machen, helfen, auch zuhause im Wohnzimmer den Kauf mit gutem Gewissen abzuschließen. Der Kontakt zur Community und der Austausch mit Nutzern der Möbelstücke helfen, die Kaufentscheidung zu festigen.
Hundai ist bestens gerüstet. Der Autohersteller bietet seinen Kunden einen Online-Showroom mit persönlicher Beratung an. Der wird in diesen Zeiten sicherlich gut frequentiert sein.
Ich bin der festen Meinung, dass sich nun virtuelle Beratungs-, Planungs- und Kaufprozesse mit einem deutlich digitalerem Customer Support noch einmal rasanter entwickeln werden. E-Commerce wird einen signifikanten Push in diesen Zeiten bekommen. Die Menschen werden sich daran gewöhnen.
Die Kür: Gesellschaftliche Verantwortung zeigen.
Marken haben nicht nur Produktverantwortung. Sie haben soziale Verantwortung. Sie sind jetzt aufgefordert, mitzuhelfen, die Bevölkerung z. B. über Hygiene- und Präventionsmaßnahmen zu informieren. Marken müssen jetzt Solidarität beweisen. Marken haben nun die Chance, noch näher – auch wenn reale Begegnungen beschränkt werden – mit ihren Kunden zusammenzuwachsen. Der amerikanische Autohersteller Ford kommt seinen Kunden, die ein Auto finanzieren nun in den Kreditkonditionen entgegen.
Budni ruft dazu auf, für ältere Nachbarn einzukaufen. Immerhin, sie schärfen damit das Bewusstsein für das Allgemeinwohl und positionieren sich weiter als der Nachbarschaftsdrogeriemarkt.
Aber noch ein Schritt weiter gedacht: Budni könnte auch selbst und ganz pragmatisch einen telefonischen Bestell- und Bringservice für ältere Mitmenschen in der Nachbarschaft anbieten.
Edeka denkt in diesen Zeiten auch an seine Mitarbeiter.
In diesen schweren Zeiten hält man Zusammen. Jetzt können Marken Empathie, Solidarität und Werteempfinden beweisen. Sie können helfen, ein stärkeres Miteinander zu empfinden, was in diesen Zeiten so wichtig ist. Unternehmen sind als Konglomerat von Experten der Gesellschaft verpflichtet.
Die Chance für das Danach.
Wir werden kreative und digitale Service-Ideen entdecken. Die Service-Kultur in Deutschland wird sich weiter digitalisieren. Es entstehen neue Infrastrukturen zum virtuellen Networken oder als digitaler Messeplatz wie das aus der Coronakrise schnell entstandene industrial-generation.network. Wir werden Agilität und Flexibilität erproben und daran wachsen. Manager werden in dieser Krise zu ungeahnten Machern. Die Renaissance des Haltungsthemas wird weiteren Auftrieb bekommen.
Krise als Wendepunkt heißt immer auch Chance. Das wussten schon die alten Griechen.
Tldr: Stresstest für Marken.
Die Coronakrise ist ungewollt der Stresstest für Marken. In der Coronakrise wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Wir werden erkennen, wie Unternehmen mit der Krise umgehen. Leben Unternehmen ihre Markenstory oder ist diese nur eine Mär? Stehen die Werte nur auf dem Papier oder werden diese gelebt? Ist die Kommunikation im Zeichen von Haltung ernst gemeint oder nur opportunistisches Gelaber?
Die Eckpfeiler des agilen Gestaltungsraumes sind
- interne Mitarbeiterkommunikation
- Kundenkommunikation
- Interne Workflows
- Kunden-Service-Infrastruktur
Das Fundament, auf dem die Eckpfeiler stehen, ist die lebendige Markenvision, die den kulturellen und wertebasierten Kitt für das Agieren nach außen und innen bildet.
Bin ich darauf vorbereitet, schnell meine Mitarbeiter über unseren Umgang mit der Krise und mögliche Behördliche Maßnahmen zu informieren?
Habe ich ein Informationssystem nach innen, und zu den Kunden etabliert?
Zeige ich meinen Mitarbeitern durch mein Handeln, dass alles getan wird, um die Mitarbeiter zu schützen?
Wird alles in die Wege geleitet, um ggf. Kurzarbeitergeld zu beantragen, um Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer zu klären und einen weiteren Betrieb des Unternehmens aufrecht zu erhalten?
Wie kann ich Services digitalisieren oder neue Lieferdienste (für Restaurants) etablieren?
Kann ich schnell auf Online-Versand oder Fahrradauslieferung (Buchhändler um die Ecke) umstellen?
Bin ich darauf vorbereitet, auf Onlinekurse oder virtuelle Beratung umzustellen (das Fitnessstudio)?
Eine Marke, die gut mit der Coronakrise umgeht, zeigt Achtsamkeit nach innen und Empathie nach außen. Hieraus ergibt sich die Agilität zum Handeln. Und Sinnstiftungsvertrauen in das Unternehmen!
Gerade jetzt in der „Coronakrise“ haben Unternehmen die Chance, mit internen und kundenorientierten Services soziale Kompetenz und gleichzeitig überlebenswichtige Business-Strategie zu beweisen.
Die Krise wird die Rückbesinnung auf Haltung und auf gesellschaftliche Sinnstiftung beflügeln.
Dieser Artikel erschien zuerst am 18.03.20 auf www.leadagency.de
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4 JahreEin echter Stresstest für Marken! Danke für die Denkanstöße!