Das neue Gesundheitsverständnis - Wie Patient:innen ins Zentrum des Gesundheitswesens rücken

Das neue Gesundheitsverständnis - Wie Patient:innen ins Zentrum des Gesundheitswesens rücken

Das vorherrschende traditionelle Gesundheitsverständnis basiert auf einem vernetzten System von Expert:innen — von Pharmaunternehmen bis Landärzt:in — die ausgehend von ihren eigenen Kompetenzen und Zuständigkeiten vornehmlich reaktiv Gesundheitsleistungen bereitstellen. Die Patient:innen selbst waren dabei traditionell in der Rolle der Empfänger:innen am Ende der Wertschöpfungskette, gefangen in hoher Abhängigkeit, geringer eigener Fachkompetenz und fehlender Transparenz. Folglich hat der traditionelle Gesundheitsmarkt ihnen kaum Sichtbarkeit und Einfluss geboten, während die Angebote durch die Expertennetzwerke aus Krankenhäusern, Ärzt:innen, Apotheken, Pharmaunternehmen etc. gestaltet wurden. Mit der Digitalisierung sind nun auch im Gesundheitswesen Trends angekommen, die alle Branchen grundlegend verändern und bisher vorherrschende Paradigmen des Marktes neu ordnen: veränderte Kundenerwartungen, die sich branchenübergreifend übertragen; Technologie und Daten erlauben andere Grade an Transparenz, Personalisierung, Verfügbarkeit von Informationen und Zugang zu Netzwerken, die es ermöglichen, Abhängigkeiten von Autoritäten zu reduzieren. All dies wird zunehmend unterfüttert mit neuen Regularien wie dem § 68b des SBG V, mit dem auch Krankenkassen auf neue Ansprüche reagieren können, da es ihnen eine datenbasierte Ansprache von Kund:innen für Versorgungsinnovationen erlaubt. Zugleich ist das Thema Gesundheit seit einigen Jahren gesellschaftlich zum Trend avanciert, was sich unter anderem im aktuellen EY Future Consumer Index zeigt, in dem von 1.000 befragten Konsument:innen mehr als die Hälfte angab, in den nächsten Jahren bewusster und vorsichtiger mit der eignen körperlichen und mentalen Gesundheit umgehen zu wollen. Das Zukunftsinstitut unterfüttert dies mit den aktuellen Trends im Gesundheitskontext, die neben Sport, Achtsamkeit und Prävention auch die eigene Gesundheitskompetenz umfassen. Dies bestätigt eine im Dezember 2022 von EY durchgeführte Studie: Darin gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, dass für sie Gesundheit mehr bedeutet als die reine Abwesenheit von Krankheit. Vielmehr sehen sie die präventive Arbeit an der eigenen Gesundheit — mit Fokus Körper und Geist — als zentral an.

Patient:innen werden durch die umfassende Zugänglichkeit von Gesundheitsinformationen mündiger und können die eigene Gesundheit wesentlich stärker aktiv beeinflussen. Unterstützt wird dies durch die Vielzahl von Informationen im Internet und in den Social Media, aber auch beispielsweise durch Apps zur Symptomanalyse, die zur Selbstidentifizierung von Krankheiten dienen, Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), die zur selbstgeführten Unterstützung der ärztlichen Behandlung genutzt werden, oder Wearables, die es ermöglichen, die eigenen Gesundheitsdaten zu überwachen. In der EY-Studie gaben 38 Prozent der Befragten an, ein Wearable zu nutzen — davon mehr als die Hälfte im gesundheitlichen Kontext. Mehr als ein Drittel der unter 39-Jährigen nutzt den Angaben zufolge digitale Angebote wie zum Beispiel Apps zur Symptomanalyse, Online-Sprechstunden und Therapien oder DiGAs. Eine sich weiter entwickelnde Flut von Angeboten, die von Start-ups und Tech-Unternehmen an den Markt gebracht werden, treibt diese Entwicklung energisch voran.

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In diesem neuen Gesundheitsverständnis, nach dem Kund:innen statt Expert:innen im Zentrum des Systems stehen, sind die Interpretation von Gesundheit und die jeweiligen Angebote nicht mehr ausschließlich durch medizinischen Fortschritt und Forschung beeinflusst, sondern befinden sich durch Markt- und Gesellschaftstrends in einem ständigen Wandel. Damit ändert sich der Gesundheitsmarkt grundlegend und die Nachfrage bestimmt in einem wesentlich höheren Maß als bisher die Ausrichtung — und wird auch für neue Akteure immer attraktiver. Aus Kundensicht wird das optimierte, personalisierte Erlebnis für die eigene Gesundheit zum entscheidenden Differenzierungskriterium und die neu gewonnene Transparenz und Mündigkeit verleiht den Kund:innen eine neue Macht. Das übt starken Druck auf traditionelle Akteure wie Krankenkassen und Krankenhäuser aus, die traditionell bürokratisch geprägt waren und auch nur geringen Handlungsspielraum haben/hatten, um auf schnelle Marktbewegungen zu reagieren. Für sie gilt es nun, näher an die Versicherten und Patient:innen zu rücken, sie vermehrt als Kund:innen wahrzunehmen, sie mit ihren Herausforderungen und Bedürfnissen besser kennenzulernen und neue passende Angebote und Services zu entwickeln. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die neuen, agilen Akteure aus der Startup-Szene und der Tech-Welt die Kundenschnittstellen im künftigen Gesundheitssystem besetzen — zumindest dort, wo es wirtschaftlich attraktiv ist.  

Bei diesen steigenden Mengen an Informationen und Gesundheitsangeboten fehlt es den Kund:innen jedoch mitunter an der Kompetenz und teilweise auch am Bewusstsein für die Notwendigkeit einer validen Einstufung der jeweiligen Qualität. Daher stellt sich die Frage, wie trotz höherer Mündigkeit und auch gesteigerten Willens der Kund:innen, rund um ihre persönliche Gesundheit aktiv mitzureden und sie zu gestalten, Unterstützung bei der Orientierung in diesem komplexen, undurchsichtigen Umfeld gegeben werden kann.

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Maren Giebing Christian Egle Florian Benthin Fabian Marx Sophie Charlott Krause-Hassenstein

Prof. Dr. Stefan Heinemann

AI with Purpose - Ethical & Business perspectives on developing a successful collaboration between Humans & AI Agents - private & public sectors, focus medicine/healthcare, energy supply & challenging industries +31k🍀

1 Jahr

Bene

Ihno Fokken

Gründer und Geschäftsführer Friesische Freiheit GmbH

1 Jahr

Von den Umfrageergebnissen in den letzten 2 Jahren lässt sich das sehr gut bestätigen. Was aber in der Betrachtungsweise fehlt und auch selten in den zitierten Umfragen abgefragt wird: Wie reagiert das System, von den ich Leistungen beziehe möchte, auf einer steigende Gesundheitskompetenz? Krankenkassen entwickeln sich weiter, aber jede Person, die darauf angewiesen ist, Leistungen vom medizinischen Dienst von Krankenkassen abzurufen, kennt aus der Praxis eher ein im ersten Schritt durch Kostenaspekte restriktive Haltung gegenüber Forderungen. Die erworbene Mündigkeit macht es dann sogar schwerer, mit dieser restriktiven Haltung umzugehen.

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