Das "Overton Window" und dessen Wirkung in der Schweiz und in den USA

Die amerikanische Journalistin und Polit-Kommentatorin Frida Ghitis gibt in einem Kommentar auf CNN ihrer Sorge um die Entwicklung der republikanischen Partei, aber auch des gesamten amerikanischen politischen Systems, beredten Ausdruck. ( CNN Opinion February 5, 2021 ). Anlass für ihren Warnruf sind die parteiinernen Richtungskämpfe der GOP um zwei Parteimitglieder, die Senatorin Liz Cheney (anti-Trump) und die Abgeordnete Marjorie Tailor Greene (pro-Trump). Dabei erwähnt sie die Bedeutung des "Overton Window" für die Entwicklung der amerikanischen Politik in den letzten Jahren. Ich nehme diese Erwähnung im Folgenden zum Anlass für eine Begriffsklärung.

Das OVERTON WINDOW (Das Overton Fenster) bezeichnet einen Mechanismus der Veränderung der öffentlichen Meinung unter dem Einfluss extremer politischer Positionen.

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DAS OVERTON FENSTER WikiPedia deutsch

Es wurde ursprünglich von Joseph P. Overton (1960-2003) formuliert und fand rasch ein Echo in der zunehmend aggressiver geführten politisch-ideologischen Diskussion in den USA. Das Konzept inspirierte u.a. den Radio- und Fernsehproduzenten, Kommentatir und Propagandisten von Verschwörungstheorien Glenn Beck 2010 zu einem vielgelesenen Roman.

Die Grundidee entspricht einer simplen Dialektik:

Absolut inakzeptable, abstossende, radikale Meinungsäusserungen und Positionen begünstigen über die Zeit eine Verschiebung des Overton Window aus seiner aktuellen Position und ermöglichen die Akzeptanz weniger radikaler Positionen, z.B. mehr oder weniger staatliche Intervention (Regulierung) in die von den Stakeholdern, Agenten und Agitatoren entgegengsetzter Lager in die von ihnen gewünschte Richtung.

In der Schweiz mit ihrem Mehrparteien-System wurde die Verschiebung des Overton Fensters in den letzten drei Jahrzehnten vor allem von der SVP systematisch betrieben. Es wäre aber naiv und falsch, anzunehmen, dass die von der SVP Progaganda benutzten Extremforderungen einzig von der politischen Rechten bespielt würden.

Vielmehr scheint der Mechanismus in der schweizerischen Classe politique verinnnerlicht zu sein, mit dem Effekt, dass das Fenster aussergewöhnlich breit ist. Das Mehrparteien-System sichert strategisch klug agierenden Parteien mit unscharfem Profil wie der CVP/ "Die Mitte" eine Schiedsrichter-Position über die Bandbreite der « Normalität » politischen Denkens und Handelns.

In den USA hingegen, riskiert das hart strukturierte Zweiparteien-System den Rahmen des Overton Fensters sprengen, weil die Vorstellungen von Normalität in der Öffentlichkeit sich nach 4 Jahren Trump so stark in nicht mehr kompatible Sektoren segregiert haben, das ein Bespielen des « Middleground » für beide Traditionsparteien fast nicht mehr möglich ist.


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