Delegationsbesuch aus China Reloaded

Delegationsbesuch aus China Reloaded

Mein persönlicher Kommentar

Die Chinesen haben mich überrascht! Oder besser: Überrascht war ich von mir selber, dass die Delegation aus Hebei, die kürzlich zu Gast im Wirtschaftsministerium in Potsdam war, mich überraschen konnte. Mein Shanghai-Aufenthalt ist mehr als 10 Jahre her, meine letzte Teilnahme an einem Empfang einer chinesischen Delegation war 2014. Beides also eine Ewigkeit, gemessen am Fortschritt von chinesischen Infrastruktur- und Digitalisierungsprojekten, die ich in vielen Berichten mehr oder weniger aufmerksam verfolgt habe. Somit konnte es eigentlich keine Überraschung sein, dass brandenburgische Vorzeigeprojekte wie der großflächige Landschaftswandel im Lausitzer Seenland oder unser preisgekröntes touristisches Contentmanagement-System in der Peking umgebenden Provinz Hebei ganz locker getoppt werden (Olympische Winterspiele 2022). Getoppt in Größenordnungen, mit heroischem Film präsentiert, sodass man sich durchaus ein bisschen deklassiert fühlen durfte. Selbst die Übersetzerin hatte offensichtlich Mühe die nahezu absurd hoch anmutenden Milliarden-Zahlen zu übersetzen. Ihr gutes Deutsch ließ vermuten, dass auch sie nach längerem Aufenthalt hier in Deutschland solche Größenordnungen nicht mehr gewohnt ist. Doch es bleibt dabei: Ich hätte das alles ahnen können.

Auch nur auf den ersten Blick überraschend somit der Rat des Delegationsleiters ganz persönlich an mich: „Konzentrieren Sie Ihr internationales Marketing doch voll auf China, und Sie werden richtig erfolgreich sein!“ Er verband das auch gleich mit dem Angebot zur Organisation einer  touristischen Präsentation in Hebei, zu der sämtliche chinesischen Tourismusmitarbeiter eingeladen würden. In meiner Kurzpräsentation hatte ich vorher aber eigentlich neben den dynamisch wachsenden Gästezahlen aus China auch diverse Hemmnisse aufgezeigt: Fehlende Fremdsprachigkeit, Verpflegung, die chinesischen Ansprüchen gerecht wird und – ganz wichtig – fehlende chinesische Zahlungsmöglichkeiten a la Alipay und Co (In Brandenburg tut man sich ja bekanntlich schon mit jeglicher herkömmlichen Form bargeldloser Zahlungsmöglichkeiten schwer). Aber klar, in China würde man diese Hemmnisse wahrscheinlich innerhalb allerkürzester Zeit per Beschluss und Umsetzung abstellen. Die Zahlungsmöglichkeiten würden eingeführt, die Sprache von Menschen gelernt, in deren Alltag der Begriff „Personalmangel“ unbekannt ist, den fremdländischen Ernährungsgewohnheiten wo nötig entsprochen. Im föderal und dezentral organisierten Tourismus bei uns jedoch…

Aber nein, keine Spur von Bedauern. Alles gut so wie es ist.

Mitgenommen habe ich eher folgendes.

Chinesische Delegationen treten heutzutage anders auf als noch vor 5-10 Jahren. Lernbegierde und zurückhaltende Gesichtswahrung werden mittlerweile abgelöst durch klare Formulierungen eigener Vorstellungen und Ideen zu Kooperationsmöglichkeiten, was ich sehr positiv fand.

Die Chinesen haben sich in allen Bereichen erfolgreich Knowhow angeeignet und können aufgrund ihres autokratischen Systems auch solche touristischen Projekte ohne föderalistische und demokratische Hemmnisse in Größenordnungen umsetzen, die bei uns weit kleiner ausfallen und vor allem viel mehr Zeit benötigen.

Der Delegationsbesuch war für mich ein Ansporn! Die von mir tief empfundene Stärke unseres auf Demokratie und Pluralismus beruhenden Systems muss aus chinesischem Blickwinkel ein bisschen wie eine Schwäche wirken. Der Ansporn liegt also klar darin, sich mehr auf diese unsere Stärken zu besinnen und sie chinesisch größer zu denken. Machen wir uns frei von der Blendung durch chinesische Maßstäbe und Geschwindigkeiten. Machen wir uns frei von der Angst, den digital-transformierenden Anschluss zu verlieren und definieren wir stattdessen mutig, in welchen Bereichen wir den Anschluss gar nicht halten wollen (Aktuelles Stichwort „Social Credits“). Gestehen wir uns ein, wo wir den Anschluss aufgrund unseres Systems auch gar nicht halten können. Das setzt Energie frei. Energie dafür, konsequent unser eigenes Zukunftsmodell aus zu gestalten! Und zu einem späteren Zeitpunkt sind dann vielleicht andere überrascht.

P.S.  Das dekorative Gastgeschenk im Bild oben hat mein Sohn Lars mit Freude und trotz Bauanleitung in chinesischen Schriftzeichen in chinesischer Geschwindigkeit zusammengebaut :-). #China #Brandenburg #Tourismus

Kirstin Wenk

Head of Department International Business, European Services at Economic Development Agency Brandenburg

5 Jahre

Hallo Herr Fennemann, beim intensiven Austausch mit China helfen wir gerne. #WFBB #BrandenburggoesChina

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