DER PERFEKTE GASTGEBER
Er hätte es tun können. Mal die Hände in den Schoß legen und abwarten. Mal nichts tun. Einfach die Überbrückungshilfe einstreichen und Corona aussitzen. Vielleicht im Schwarzwald, vielleicht aber auch in irgendeinem Luxus-Resort in der Karibik oder der Südsee, in dem man auch in Pandemiezeiten von oben bis unten verwöhnt wird, wenn man mit dem Privatjet anreisen kann.
Nur wäre Meinrad Schmiederer dann eben nicht Meinrad Schmiederer. Der Gastgeber. Der Mann, der einfach mal eine neue Straße, nein: zwei Straßen baute und dabei jeden Tag auf der Baustelle zu sehen war, während andere noch in Schockstarre verharrten.
Jetzt kann man sagen: Meinrad Schmiederer wohnt ja auch im Dollenberg, er hat nichts anderes gemacht als Millionen andere, die Keller und Dachboden aufgeräumt haben, nur ist der Dollenberg halt eine Spur größer. Stimmt. Es ist dennoch beeindruckend, wie viel Schmiederer, seine Familie und sein Team in den vergangenen Jahren bewegt haben und was sie noch vorhaben: Eventhaus, ein Kinderland mit 50-Meter-Rutsche, das gesamte Hotel neu bedacht, neue Saunen, neuer Fitnessraum. Dazu die neue Raucherlounge, das neue Schwimmbad, 18 Zimmer, 7 Suiten und, ach ja, die Bushaltestelle. Was das gekostet hat?
„Sag ich nicht", sagt Meinrad Schmiederer.“ „Wir reden nicht über Geld.“
Lieber verschwindet der Kuckuck-Ehrenpreisträger noch mal schnell an die Bar. Ständchen für einen Stammgast. Der Champagner geht aufs Haus. Ehrensache. Ebenso, dass sich der Chef von 180 Mitarbeitern für seinen Gast Zeit nimmt, zuhört, Anekdoten erzählt. Die Botschaft ist eindeutig: Der Dollenberg ist mehr als ein Hotel. Er ist ein kleines Paradies. Familiär, voller Wärme und Menschlichkeit. Ins Gästebuch hat jemand mal geschrieben:
„So schade, dass man dieses Hotel nicht umarmen kann!“ Wohl wahr!
Ob das stimmt, haben Menschen getestet, die so etwas beruflich machen. Heinz Horrmann zum Beispiel. Über Schmiederers Lebenswerk urteilte er einst: „Dieses Spa ist besser als jede Schwarzwaldklinik. Das für mich nach 2000 Hoteltestungen beste Familienhotel auf dem Kontinent: der Dollenberg.“
Das war natürlich nicht immer so. Denn dieses Hotel gibt es nicht seit siebzehnhundert-schlag-mich-tot, so dass es über Generationen aufgebaut worden wäre, und es ist auch nicht von irgendeinem Mäzen, Gönner, König oder Oligarchen in die Gegend gepflanzt worden. Nein. Meinrad Schmiederer und seine Familie haben in 48 Jahren alles aufgebaut, was man hier so sieht. Eine geliebte Heimat auf Zeit für seither mehr als 1,5 Millionen Gäste. Ein Leuchtturm der Gastlichkeit mit 105 Zimmern und Suiten. Fünf Sterne Superior als Hotelstandard, dazu zwei Michelin-Sterne fürs Gourmetrestaurant Le Pavillon und neulich auch noch der Schwarzwald-Award Kuckuck.
Die Geschichte von Selfmade-Hotelier Meinrad Schmiederer beginnt mit einem schier unerfüllbaren Traum. An irgendeinem Wochenende in den 1960er-Jahren blickte der kleine Meinrad beim Heidelbeersammeln rüber zum Schlosshotel Bühlerhöhe, damals der Place to be für Kaiser und Könige, Schauspieler und Industrielle. „Da wohnt auch mal der Adenauer“, bestätigt die Mutter. „Aber unsereinen lassen sie da nicht rein.“
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Davon träumen, einmal selbst Hoteldirektor zu werden? Dann kann man auch gleich Astronaut werden wollen!
Denn „unsereiner“ – das sind die Schmiederers. Alles andere als reiche Leute, aber der einzige Hof ganz hinten im Renchtal mit Weg zur Straße. Also starten die Schmiederers eine Flaschenbierhandlung. Später räumen die Schmiederers ihre gute Stube leer und stellen drei Tische hinein, damit man das Bier auch an Ort und Stelle trinken kann. „Hat nicht lange gedauert“, erinnert sich Meinrad Schmiederer rückblickend. „Dann hat man uns wegen Schwarzgastronomie verpfiffen und angezeigt. 1963 aber bekamen meine Eltern dann doch noch ihre Konzession.“
Meinrad Schmiederer schafft es derweil tatsächlich auf die Bühlerhöhe. Allerdings durch den Personaleingang. Um Hoteldirektor zu werden, hat er schon eine Kochlehre hinter sich und setzt dann noch eine Ausbildung zum Hotelkaufmann drauf. „Bei Günther Haderecker“, sagt Schmiederer. „Als wir dann auf dem Dollenberg die erste größere Hochzeit ausrichten durften, habe ich ihn angerufen und er hat mir Geschirr geliehen. Ich bin dankbar bis heute!“
In den 1970ern geht es schon steil bergauf. Denn der Dollenberg hat Besonderes zu bieten – auch weil der Chef schmuggelt. „Naja, wir sind halt nach Paris“, erzählt Schmiederer. „Nach Rungis, zum Großmarkt. Foie Gras, frische Hummer, Geflügel.“ Im VW Variant 1600 – dem Vorgänger vom Passat – kutschierte der Hotelier seine heiße Ware in den Schwarzwald. „Heute ist ja alles jederzeit verfügbar und nichts wirklich besonders. Damals aber musste man sich schon selbst auf den Weg machen, wenn man so etwas auf der Karte haben wollte.“
Immerhin war Schmiederer als Rungis-Fahrer in guter Gesellschaft. Um „bedingungslose Qualität und Frische“ bildete sich in München die Interessengemeinschaft Neue Köche, deren Gründungsmitglieder Eckart Witzigmann, Otto Koch und Hans-Peter Wodarz Fahrgemeinschaften zu den Markthallen von Paris organisierten.
In all den Jahren wird auf dem Dollenberg immer wieder gebaut und erweitert. Mehr Zimmer, mehr Komfort, mehr Gäste. Der Hotelpark misst sieben Hektar, es gibt einen eigenen Weinberg (250 Stöcke Grauburgunder auf gut 800 Metern, auch so ein Rekord), einen eigenen Hubschrauberlandeplatz, die eigene Brennerei, eine Hütte für urige Erlebnisse und mit St. Anna eine eigene Kapelle.
Instagrammable! Awesome! Und dann die vielen kleinen Details! Herrlich, wie Sommelier Christophe Meyer (gerade erst als Sommelier des Jahres 2022 ausgezeichnet) im Fünf-Gang-Menü von Küchenchef Martin Herrmann erst einen Wein aus Papua-Neuguinea einstreut und dann auch noch mit einer Rhabarber- Spätlese aus dem Elsass überrascht. Dass es mit Sabine Ritter dann auch noch eine eigene Käse-Sommelière gibt: Man kriegt den Mund kaum zu, so selig umfängt einen die hier gelebte Gastfreundschaft.
Die Bühlerhöhe ist längst geschlossen, der Dollenberg zur ersten Adresse im weiten Umkreis geworden. Für Touristiker gehört Meinrad Schmiederer daher heute in eine Riege mit Roland und Jürgen Mack oder Roland Burtsche. Alles große Gastgeber. Selfmade- Menschen, die dafür brennen, anderen Menschen Freude zu bereiten. Die ganze Familie hilft dabei mit. Meinrad und seine Frau Birgit, Tochter Isabelle, Schwester Ulrike und ihr Mann, der Zwei-Sterne-Koch Martin Herrmann, den Meinrad Schmiederer einst selbst ausbildete. Das allein wäre eine Geschichte für sich.
Genau so wie die Story von den gastrointeressierten indischen Quereinsteigern, die einst über ein Austauschprogramm in den Schwarzwald kamen und am Ende fast alle im Dollenberg landeten. Ebenso wie die Geschichte von der Kapelle auf dem Berg und dem späten Elternglück von Birgit und Meinrad oder auch die von seiner Passion fürs Schnapsbrennen: Welcher andere deutsche Hotelier würde auch mit 71 noch morgens in aller Frühe aufstehen, um Kirsch und Mirabelle zu brennen? Eigenhändig! Und eben nicht nur fürs Foto – sondern aus vollster Überzeugung, mit Spaß dabei und den Händen bis zum Ellenbogen in der Maische.