Will der "Stern", dass Robert Habeck getötet wird?
Cover: Stern; Bearbeitung: Joscha Thieringer

Will der "Stern", dass Robert Habeck getötet wird?

Mit seinem Cover (Ausgabe 4/2024) sorgt der "Stern" für einen journalistischen Aufreger. "Haben Sie ANGST vor einem Attentat, Herr Habeck?" steht unter einem Foto des ernst dreinblickenden Vizekanzlers. Die Seiten seines Gesichts liegen im Schatten – soll es ein Mugshot wie auf einem Fahndungsfoto sein?

Es ist ein Cover, dass einen neuen Tiefpunkt des "Stern" markiert. Einen journalistischen Tiefpunkt – passend zur Entwicklung der Abozahlen, könnte man sagen.

Aus Worten werden Gedanken werden Taten

Keine drei Kilometer vom Verlagshaus des "Stern" sind am Freitag rund um den Hamburger Jungfernstieg Zehntausende gegen rechts auf die Straße gegangen. Ein wichtiges Zeichen nach den Ereignissen der vergangenen Wochen:

  • dem Erstarken der offen rechtsradikalen AfD;
  • den teilweise von rechts unterwanderten Bauernprotesten mit Galgensymbolen gegen die "Ampel";
  • der Bedrohung von Robert Habeck am Fähranleger von Schlüttsiel, der stellvertretend für die Erfahrungen von Lokalpolitikern steht.

Und was macht der "Stern", während viele seiner Mitarbeiter:innen selbst am Freitag mitprotestierten? Entscheidet sich für ein schäbiges Cover, das Robert Habeck in Verbindung mit den Wörtern "Attentat" und "Angst" bringt.

Aus Worten werden Gedanken werden Taten. Das ist kein Sprichwort, das ist eine belegte Tatsache. Und ein Grund dafür, weshalb der Pressekodex (unter Richtlinie 8.7.) einen zurückhaltenden Umgang bei Selbsttötungen verlangt.

Darauf weisen nicht nur Kriminalforscher:innen hin, sondern darin sind sich zum Glück auch (fast) alle anderen Journalist:innen einig. "Der «Stern» schreibt nun auch noch Anschläge herbei", analysiert der Schweizer Mediendienst "Kleinreport" kopfschüttelnd: "Der neuste «Stern»-Titel ist Sensation pur und könnte in Aufmachung, Design, Bildkonzeption, Hintergrundfotos den Vizekanzler massiv gefährden."

Übermedien-Autor auf Abwegen

Dass auch Medienjournalisten manchmal auf Abwegen unterwegs sind, beweist Michalis Pantelouris in seinem Beitrag für "Übermedien". "Es ist Boulevard. Oder, wie ich es nennen würde: endlich mal wieder 'Stern'!", jubelt er. Sein Fazit zum Cover ist verstörend: "Man muss das nicht mögen, und man muss natürlich den 'Stern' nicht kaufen. Für mich ist es ein Zeichen dafür, dass da noch ein Feuer brennt."

Ja, da brennt ein Feuer – nach diesem vor allem Asche bleiben wird. Und damit will ich diesmal keine Prognose für den "Stern" geben, sondern hinweisen auf die Wirkung für die gesamte Branche, wenn ein Medienjournalist ein solches Cover feiert. Eine unwürdige Analyse für ein unwürdiges Medienprodukt.

"Stern"-Cover als journalistisches Armutszeugnis

Dabei müsste Pantelouris doch eigentlich bestens wissen, dass der Trick, den Chefredakteur Dr. Gregor Peter Schmitz bemüht hat, ein journalistisches Armutszeugnis ist. Alle, die eine journalistische Ausbildung genossen haben, wissen: Ein Interview muss schon besonders schlecht gelaufen sein, wenn ich mich dafür entscheide, eine meiner eigenen Fragen als Überschrift zu wählen.

Natürlich kommt es manchmal vor, dass die Interviewten kein Material für eine schöne Überschrift liefern. Aber wohlgemerkt: Der "Stern" hat Robert Habeck interviewt. Den Vizekanzler. Eine Überschriften-Maschine.

Dass er auf die Frage "Haben Sie persönlich Angst vor einem Attentat" nicht "Ja, ich kann vor Angst nachts kaum schlafen" antwortet, war absehbar. Es scheint, als sei seine tatsächliche Antwort ("Ich habe einen professionellen Apparat um mich herum, der es ermöglichen soll, nicht darüber nachzudenken") dem "Stern"-Politikjournalisten Veit Medick und Jan Rosenkranz egal gewesen. Habeck habe während des Interviews "gar nicht wie unter Druck" gewirkt, schreibt Dr. Schmitz sogar in seinem Begleittext zur "Stern"-Ausgabe.

Tja. Ist aber halt keine "geile Zeile", wie es einer meinen ehemaligen Chefredakteure nannte. Dann doch lieber die populistische, gefährliche Frage, die sich die Chefredaktion wohl vorher ausgedacht hat.

Die Frage-als-Überschrift-Methode nutzt die schreckliche Klatschpresse, wenn sie Magazine mit Titeln wie "Kann Schumi wieder laufen?" oder "Lebt Prinzessin Diana doch noch?" auf den Markt bringen.

Will der "Stern" also, dass Blut fließt?

Dass Sie meinen Artikel bis hier gelesen haben, zeigt, dass Sie auf die von mir gewählte Aufmachung – die Überschrift "Will der 'Stern', dass Robert Habeck getötet wird?" kombiniert mit dem "Stern"-Cover und den Blutstropfen – reagiert haben.

Es zeigt, dass eine solche Form wirkt. Wir werden emotional getriggert. Natürlich will die "Stern"-Chefredaktion nicht, dass Robert Habeck getötet wird. Welch absurder Gedanke. Dr. Gregor Peter Schmitz und sein Team wollen emotionalisieren, sie wollen sich gegen die Versenkung in der Bedeutungslosigkeit stemmen. Richtig so!

Boulevard okay, aber man spielt nicht mit den Leben von Politiker:innen. Vielleicht sollte der "Stern" mal wieder kritischer darüber nachdenken, welche Mittel im Kampf um Auflage recht sind.

Für Politiker:innen dürfte nun klar sein: Dem aktuellen "Stern" gibt man besser kein Interview.

Sehr auf den Punkt gebracht, mein Lieber. So schlecht die Politik ist: der Journalismus hat weitestgehend jeden Anstand verloren. Er ist maßgeblich für schlechte Stimmung und schlechtes Miteinander derzeit in unserem Land verantwortlich. Eine hohe CTR oder eine hohe Auflage hat mit einem der wichtigsten Güter des Journalismus nichts zu tun: gesellschaftliche Verantwortung. Die meisten Journalisten und Medienmanager vergessen, welche Verantwortung sie haben. Dankenswerterweise hatten wir hier eine sehr gute Schule, die uns auch moralisch für unsere Karriere und unser Leben geprägt hat. Viele Kollegen sind hier bedauernswert lost.

Gunnar Jans

Head Of Content bei @muenchen.de

11 Monate

Auf den Punkt. Starke Einordnung.

Julia Riße

Management Assistant

11 Monate

Das Problem unserer Zeit ist, dass die Dummheit aufgehört hat, sich zu schämen. #heidikastner

Sebastian Viehmann

Cars & Politics. Deep Insights, Strong Opinions.

11 Monate

Einen "Bild-Titel" und Bauernproteste im Hintergrund zu drapieren und damit zu suggerieren, dort werde zu einem Attentat aufgerufen - wie originell. Hat's der Auflage denn geholfen? Vielleicht hilft ein noch originellerer Titel nächstes Mal, sowas wie "Diktator Trump" - aber halt - der ist ja schon besetzt ;-)

Julian Galinski

Re-Inventing Sports Publishing

11 Monate

Sehr klare, unaufgeregte Einordnung! Auf professioneller Ebene (und zwar nur mit der KPI: Aufmerksamkeit um jeden Preis) lässt sich das Cover wahrscheinlich noch irgendwie rechtfertigen. Auf menschlicher Ebene ist es einfach nur schäbig und dumm.

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