Die Geschichte der Nestwärme
Heizen ist politisch, heizen ist ein Statement und heizen hat sich massiv gewandelt.
Von Andreas Schwander
Wärme ist teuer und wertvoll und anstrengend. Die Grossvater-Weisheit sagt, dass Brennholz fünfmal warm gibt: beim Fällen, beim Transport, beim Scheiten, beim Schichten und beim Heizen. Der grosse Aufwand war deshalb immer schon Richtschnur in Alltag und Kultur. Bettsocken und Schlafmützen gibt’s nur, weil es nachts so kalt wurde, dass an den Fenstern ganze Eisblumengärten erblühten. Himmelbetten wurden mit Tüchern verhüllt, und in Bayern zwängten sich die Leute gemeinsam in Bettschränke, um sich zu wärmen. Der Stellenwert der Wärme in der Zeit vor der unsichtbaren Bodenheizung zeigt sich bei der Firma Perler Ofen in Bern, dem grössten Unternehmen für historische Öfen in Europa. Geschäftsführer Marc Huber beschäftigt Schlosser, Hafner und Kunstmaler. Da gibt es die seltenen Öfen mit Wilhelm Tell und Szenen aus der Schweizer Geschichte, die Von-Roll-Öfen mit gezöpfeltem Gussgestell, Jugendstilöfen aus den USA oder einen Art-déco-Kachelofen. Er war von Anfang an mit elektrischen Heizschlangen ausgerüstet. Die Eleganz der grossen Öfen schätzte das Bürgertum in den 1920er-Jahren noch, aber der Dreck war bereits verzichtbar.
Keine Wärme ohne Russ
In vielen Gebieten der Schweiz hatten Öfen keine Kamine. Der Rauch zog durchs Dach ab und setzte es bisweilen in Brand. In Nordeuropa wurde zudem weiss oder schwarz geheizt. Weiss heizten die Wohlhabenderen, mit einem teuren Kamin, schwarz die Armen. Dabei füllte sich das Haus mit Rauch, sodass sich die Bewohner nur auf Knien unter der Rauchwolke hindurchbewegen konnten.Gute Isolation und Tiere in der Nähe sparen viel Arbeit. Die Wikinger gruben ihre Häuser in den Boden ein, und im russischen fernen Osten, wo die Temperaturen auf –50 Grad fallen können, wurden die Ställe fürs Vieh U-förmig um das einstöckige Wohnhaus mit seinem grossen Ofen herumgebaut und aussen mit immer dickeren Schichten von Mist und Erde isoliert. In Westrussland und Finnland zimmerten sich die Menschen dagegen ihre Holzhäuser aus ineinandergreifenden Holzstämmen und lebten um, auf und in riesigen Öfen aus Ziegelsteinen. Obendrauf wurde geschlafen, drinnen gekocht und Brot gebacken, und oft war der Ofen so gross, dass er auch als Sauna diente.
Heizung und Lüftung
In den Palästen in St. Petersburg gab es ab dem 18. Jahrhundert erste Zentralheizungen mit kombinierter Lüftung. Feuerungen im Keller wärmten die Wände, ähnlich dem römischen Hypokaustum. Neben den Rauchkanälen verliefen Frischluftkanäle zu den Wohnräumen. So strömte kontinuierlich vorgewärmte Frischluft ins Haus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden daraus ausgeklügelte Warmluftheizungen, die unfreiwillig als Haustelefon funktionierten. Durch die Luftkanäle war jedes Wort hörbar, das zwei Stockwerke tiefer gesprochen wurde.
Mit der industriellen Revolution wurde Heizen billiger, doch die Zwänge blieben. Bis in die 1950er- Jahre wurde in der Schweiz noch so gebaut, dass das Kohlefuhrwerk möglichst einfach abladen konnte. Der Fuhrhalter schüttete die Kohle aufs Trottoir, dann wurde sie durch die noch immer vorhandenen Fensterchen auf Strassenniveau in die Kohlekeller geschaufelt. Die Ölheizung, deren Brennstoff über weite Strecken durch Schläuche gepumpt werden konnte, machte auch eine neue Quartierplanung möglich, mit weiten, verkehrsfreien Grünflächen.Noch bis in die 1970er- Jahre wurden in der Schweiz selbst in Wohnblocks nur einzelne Zimmer mit Briketts, Kohle oder Holz in einem gusseisernen «Eskimo»-Ofen beheizt. Diese Heizwelt liegt in den Depots von Perler Ofen. Rund 600 Stück hat Marc Huber an Lager. Es gibt noch so viele Öfen, dass er nur die schönsten kauft. Das gilt auch für die Kochherde. Da gibt es kleine, zierliche mit Messingknäufen und zwei Kochstellen oder auch riesige kohlenbetriebene «Kochmaschinen» aus der Hotellerie. Darin wärmte der durchströmende heisse Rauch mehrere unterschiedlich heisse stählerne Kochfelder. Um die Temperatur zu regulieren, schoben die Köche wie Schachspieler ihre Kupferpfannen von einem Feld aufs andere. Solche Monstren finden immer wieder Liebhaber. Allerdings baut Perler nun Keramikkochfelder ein. Und auch die kleinen Gussöfen und die Bauernkochherde bekommen ein zweites Leben: als Outdoor-Küchen.
Fernwärme galt als «kommunistisch»
Ab etwa 1890 gab es Guss-Heizkörper. Damit konnten ganze Quartiere und auch alte Häuser, in deren Wänden die gemauerten Lüftungs- und Heizkanäle fehlten, nachgerüstet werden. Eines der ersten Fernheiznetze mit Stromerzeugung entstand 1898 in Berlin für die Beelitz-Heilstätten. Populär wurde die Fernheizung vor allem in Skandinavien und Osteuropa. Kalte Krieger in der Schweizer Lokalpolitik lehnten Wärmeverbunde deshalb lange ab, weil «kommunistisch». Ähnlich politisch aufgeladen waren die Anfänge des Wärme-Contractings, bei dem Kunden nur noch die Wärme bezahlen und keine Heizung kaufen. Es ist ein Kind der Anti-AKW-Bewegung der 1980er- Jahre. Die Ingenieure unter den Kaiseraugst-Demonstranten rechneten den Stromkonzernen vor, dass neue Atomkraftwerke überflüssig wären, wenn jede Ölheizung auch Strom erzeugen würde. Einen weiteren Modernisierungsschub gab es ab den 1930er- Jahren mit der Erfindung der geschweissten Heizkörper wie jenen der Schweizer Firma Zehnder in Gränichen. Sie lassen sich aus standardisierten Rohren in unzähligen Grössen- und Leistungsvarianten herstellen. Zehnder produziert täglich Hunderte solcher Heizkörper. Neben den üblichen Röhrenheizkörpern entstehen hier auch Badradiatoren, und wer will, bekommt ganze Radiatoren-Kunstwerke, etwa Radiatoren-Sitzbänke, heizende Treppengeländer oder heizende Skulpturen.
Ohne Lüftung blüht im Bad der Schimmel
Doch der Radiatorenmarkt stagniert. Für Zehnder wird das Geschäft mit den Lüftungen immer wichtiger. Allerdings sind viele heutige Architekten noch weit weg vom Wissen der Palastbauer vor 200 Jahren mit ihren Heiz- und Frischluftkanälen. Für Dominik Hof, Leiter Marketing-Kommunikation bei Zehnder, ist das unverständlich: «Luft ist ein Lebensmittel wie Wasser. Aber sie wird bei der Planung oft vernachlässigt.» Das hat Konsequenzen. Neue oder sanierte Häuser ohne Zu- und Abluftsystem brauchen mehr Energie und sind oft erstaunlich unkomfortabel. Immer kühlt irgendwo ein Kippfenster das Haus ab, in den Bädern blüht der Schimmel, und Abzugshauben erzeugen einen so starken Unterdruck, dass sich Türen nicht mehr öffnen lassen. Moderne Lüftungen vermeiden das alles – mehr noch: Sie entziehen der Abluft Wärme und Feuchtigkeit und geben sie an die staub- und pollengefilterte Zuluft weiter. Allergiker wissen das zu schätzen. Die modernste Zehnder-Lüftung macht aus 22 Grad warmer Abluft auch im Hochwinter 19 Grad warme Zuluft und entlastet die Heizung.
Und wo bleiben Öl und Gas?
Passivhäuser, die mit den Fenstern die Wärme der Sonne einfangen und in Boden und Wänden speichern, brauchen keine Heizung mehr, nur noch eine Lüftung und einen Wassererwärmer, allenfalls in einem Kombigerät. Wärmepumpen haben in der Energiewende Priorität. Auch Pelletfeuerungen, Cheminées und Holzöfen, teilweise mit eingebauter Heiz- und Brauchwasser-Erwärmung, sind eine Lösung. Dagegen werden klassische Ölheizungen wohl bald verboten. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Die Sole-Wasser-Wärmepumpen kühlen den Boden stark ab, wodurch Bäume eingehen können. Luft-Wasser-Wärmepumpen brauchen bei Aussentemperaturen unter unter Null Grad mehr Strom, etwa ein Drittel der mittlerweile verbotenen Elektrospeicheröfen. Gaswärmepumpen basieren zwar auf fossiler Energie, holen aber viel Wärme ebenfalls aus der Umgebungsluft. Mit mehr erneuerbarem Gas im Netz sinkt der fossile Anteil in der Wärme der Gaswärmepumpe aufs Niveau von Kohle- und Gasstrom im Winterstrommix für die elektrische Wärmepumpe. Gleichzeitig entlastet die Gaswärmepumpe das Stromnetz. Selbst Ölheizungen sind nicht nur schlecht – etwa in sonnigen Bergdörfern mit vielen Heiztagen. Bestehende Anlagen lassen sich gut mit thermischen Solaranlagen kombinieren, etwa in wenig genutzten Ferienhäusern. Das Solarsystem heizt das Haus bis etwa 14 Grad, und der Ölbrenner läuft nur selten. Das einzelne Holzscheit gibt heute nicht mehr fünfmal warm, doch Arbeit ist noch immer gefragt – vor allem Denkarbeit.