Die Tricks in der Politikersprache

Die Tricks in der Politikersprache

„Das Defizit geht zurück.“ Klingt super! „Wir machen Schulden.“ Klingt miserabel! Dabei bedeuten beide Sätze exakt dasselbe. Wenn Politiker ihre Worte wählen, ist Vorsicht geboten.

Im Grunde ist alles in Butter. „Il deficit cala“, versichern in Italien seit Jahren die jeweils Regierenden – egal welcher politischen Couleur – mit Blick auf den Staatshaushalt. Das Defizit sinkt also, und die Politiker sagen damit nichts Unwahres. 2016 betrug Italiens Haushaltsdefizit laut Statistikinstitut Istat 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), 2017 2,3 Prozent (mehr als ursprünglich mit Brüssel vereinbart, aber das ist eine andere Geschichte), und für 2018 sind 1,6 Prozent angepeilt, die aller Wahrscheinlichkeit wieder nach oben revidiert werden müssen – aber auch das ist eine andere Geschichte.

Die Regierenden verbreiten die frohe Botschaft, und die allermeisten Journalisten beten sie brav nach. Die Bürger sind beruhigt und freuen sich in diesen Wochen entsprechend, wenn endlich mal eine Regierung Schluss macht mit dem ewigen Sparen und stattdessen weniger Steuern („flat tax“) und frühere Pensionierungen („quota 100“) in Aussicht stellt. Wozu auch immer nur sparen, wenn das Defizit eh sinkt?

Flexibilität ist ein schönes Wort. Aber ein tückisches.

Ja, warum denn? Weil das Defizit zwar sinkt, aber der Schuldenberg wächst! „Das Defizit sinkt“ bedeutet: Italien macht heuer etwas weniger neue Staatsschulden als im vergangenen Jahr, aber eben doch neue Schulden! 2016 baute der italienische Staat neue Schulden in der Höhe von 2,5 Prozent des BIP (= 40.000 Millionen Euro), 2017 von 2,3 Prozent des BIP (= 37.000 Millionen Euro), 2018 werden es mindestens 1,6 Prozent (= 26.000 Millionen Euro) sein. Oder wohl mehr.

Denn Wirtschaftsminister Giovanni Tria will genauso wie die heimlichen Regierungschefs Matteo Salvini und Luigi Di Maio mit der EU-Kommission „più flessibilità“, also mehr Flexibilität bei der Haushaltsplanung verhandeln. „Mehr Flexibilität“ klingt genauso beruhigend wie das sinkende Defizit. Flexibilität ist gut, außer natürlich am Arbeitsplatz. Dabei bedeutet „mehr Flexibilität“ nichts anderes, als dass die Regierung 2018 und darüber hinaus mehr neue Schulden machen möchte als die erwähnten 26.000 Millionen, um die im Wahlkampf versprochenen Segnungen finanzieren zu können. Sollen doch die Regierungen von morgen die Suppe auslöffeln! „Heute flexibel, morgen penibel“ könnte man in Abwandlung an Richard Theiners Raumordnungskonzept sagen.

Sparer sind die Braven, Investoren die Bösen. Aber wo liegt der Unterschied?

Worte sind mächtig. Und sie sind niemals neutral. Das zeigte sich auch, als darüber diskutiert wurde, wer bei Bankenpleiten schützenswert ist. Als auf Wunsch der EU der famose Bail-in kam, also die Beteiligung der Bankaktionäre an der Sanierung von kriselnden Bankhäusern anstelle des Steuerzahlers, gingen die Meinungen über die Sinnhaftigkeit auseinander. Man könne das den armen Sparern doch nicht antun, meinten Kritiker. Und den Investoren? Denen schon! Ergo: Sparer können nix dafür, Investoren haben sich die Sache selber eingebrockt. Dabei ist bis jeder Sparer auch ein Investor, sobald er Aktien kauft und möchte, dass sein Erspartes Früchte trägt anstatt auf dem Bankkonto schleichend zu schrumpfen. Vielleicht in kleinerem Stil. Aber wo liegt die Geldgrenze zwischen Sparer und Investor?

Apropos schrumpfen. Wenn die Inflation sinkt, dann heißt das noch lange nicht, dass die Preise sinken. Sie steigen nur weniger stark.

Sprache korrekt zu verwenden, das ist ein Auftrag an uns Journalisten. Denn von den Politikern dürfen wir es uns nicht erwarten.

Christian Pfeifer

(Dieser Beitrag entstammt der Südtiroler Wirtschaftszeitung SWZ vom 10. August 2018.)


Selma Mahlknecht

Geschichtenerzählerin und Drama-Queen

6 Jahre

Präzision in der Sprache ist wichtig für Schreibende, aber zunehmend auch wichtig für Lesende - diese Feinheiten zu bemerken, ist ein Teil der Selbstermächtigung zum wahrhaft mündigen Bürger. Insofern ist es umso bedenklicher, wenn die Lesegeduld und -fähigkeit vieler Menschen über Ultra-Kurztexte nicht mehr hinausgeht. 

Peter Gfader

Silo Thinking Breaker and Guest Lecturer

6 Jahre

Danke. Super Artikel. Sprache und Begriffe können sehr viel Unklarheit bringen.  Hoffentlich nehmen sich den Artikel alle Medien zu Herzen...

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