Die Vertiefungsarbeit: Notwendiges Übel oder Mehrwert

Die Vertiefungsarbeit: Notwendiges Übel oder Mehrwert

Der Startschuss für die diesjährige Vertiefungsarbeit (VA) ist gefallen.

In der Berufsbildung beschäftigen sich die Lernenden im letzten Lehrjahr mit einer VA. Diese ist Bestandteil des Lehrabschlusses (Qualifikationsverfahren).

Zu den Herausforderungen von uns Lehrpersonen gehört es, die Rahmenbedingungen für eine solche Arbeit sauber einzuführen und den Prozess der Lernenden zu begleiten.

Allgemeine Lernziele

  • Lernen, Ziele zu setzen
  • Arbeitsteiliges Vorgehen
  • Übernahme von Verantwortung für das eigene Lernen
  • Zu Ende führen eines Vorhabens
  • Reflektieren der Arbeitsprozesse


Aber ist das alles? 

Wie können wir die Vertiefungsarbeit in den Kontext des lebenslangen Lernens setzen? Wie steht es mit der Nachhaltigkeit einer solchen Arbeitsleistung? Worin besteht der Mehrwert einer VA?

Neben dem vehement geforderten selbstgeführten lebenslangen Lernen wird immer mehr vernetzt-kritisches Denken, Kreativität, Selbstbestimmtheit und Kooperationsfähigkeit vorausgesetzt. Und genau hier greift die VA. 

Der persönliche Bezug zum Thema ergibt oftmals überraschende und kreative Themen: wie die Suche nach einer lange verschwundenen Mutter oder ein eigen gebrautes Bier. So wird die VA zu einer echten nachhaltigen Erfolgsstory und macht das persönliche Portfolio wertvoll.

Fragen stellen ist zentral

Bei der Themenfindung sowie in der anschliessenden Bearbeitung ist es wichtig, dass die richtigen kritischen Fragen gestellt werden. 

Querdenken ist angesagt: Was wäre, wenn ein genmanipuliertes Meerschweinchen CEO wäre (Thema Genmanipulation)? Oder vielleicht etwas naheliegender: Warum stören die herumstehenden e-Trottis in der Stadt, aber nicht die Autos (Thema Mobilität)? Unsere Aufgabe als Lehrperson oder Coach ist es, solche Fragestellungen auszulösen und zuzulassen.

Eine solide Basis für lebenslanges Lernen

Mit der Vertiefungsarbeit werden zwei wichtige Punkte gefördert.

Persönliche Entwicklung, z.B. durch:

  • Anwenden von Methodenkompetenzen (Recherchieren, Social Media, Teamarbeit und vieles mehr)
  • Stolz sein, durchgehalten zu haben und etwas zu Ende gebracht zu haben
  • Eine Planung erstellen und deren Einhaltung
  • Eigene Betroffenheit und Positionierung zum Thema
  • Auseinandersetzung mit sich selbst
  • Erkenntnis der Notwendigkeit der lebenslangen Lernens
  • Kommunikationsfähigkeiten trainieren (Interviews, Umfragen, Besprechungen)

Gesellschaftliches Leben, z.B. durch:

  • Veränderung der Sichtweisen
  • Erkennen von Vorurteilen und damit umgehen
  • Erkennen von Manipulationen und Fake-News
  • Überwinden von Widerständen
  • Reflektion über eigenes Handeln und deren Konsequenzen


Die VA vermittelt das neue Verständnis von Transformations-Kultur: also dem lebenslangen Lernen und der damit ermöglichten selbstbestimmten Lebensgestaltung.


«Herr Bill, für was brauche ich das?»

Die Lernenden starten ihr Portfolio sowie Netzwerk oder erweitern dieses im Idealfall. Der Bierbrauer hatte bereits seinen ersten Pitch (Marktchance), indem er einer Kleinbrauerei sein Produkt präsentierte und damit sein Netzwerk ausbauen konnte.

Die Vertiefungsarbeit ist zudem eine Chance, Grenzen zu testen. In einem Experiment lebte ein volljähriger Lernender eine Woche als Randständiger auf der Strasse. Und ein weitere Lernende verzichtete eine Woche auf ihr Smartphone.

Tiefe Verwurzelung einer Null-Fehler-Kultur

Dabei fällt mir auf, dass eine Fehlerkultur nicht wirklich existent ist. Das Misslingen eines Experiments ist bei den Lernenden keine Option, obwohl auch ein solches Scheitern Erkenntnisse bringt und daher auf die Noten keinen Einfluss hat.

Und jetzt Sie: Horror-Trip oder Karriere-Booster?

Welche Erinnerungen haben Sie an die Vertiefungsarbeit? Welche Tipps geben Sie den Lernenden für eine VA mit? Über Ihre Beiträge freue ich mich sehr.


Über den Autor

Beat Bill studierte auf dem zweiten Bildungsweg Jurisprudenz an der Universität Zürich und arbeitete einige Jahre in der Wirtschaft. Er unterrichtet nun seit über 12 Jahren Allgemeinbildung an der Technischen Berufsschule Zürich (TBZ, Abteilung Automobiltechnik) sowie an der Höheren Fachschule TBZ und hält einen Master in Didaktik und Pädagogik.

Christof Glaus

Pädagogischer ICT Supporter

5 Jahre

Grundsätze für eine VA: Eigenes #Wissendokumentieren, #Wissenanschaulichgestalten, sich der #Wissensvernetzung bewusst werden.

Stefan Frey

Nichts ist so genial, wie die Idee deren Zeit gekommen ist

5 Jahre

VA vor allem bei EBA Lernenden ist eine ECHTE HERAUSFORDERUNG für alle Beteiligten. Ich bin ein Verfechter von Portfolios während der gesamten Lehrzeit. Diese Form bringt echte Lernwirkung und ist für alle Lernenden ein Mehrwert.

Marcel Keller

Lernorte sind da, um Lernen zu ermöglichen. #lernenermöglichen

5 Jahre

Selbstständige Vertiefungsarbeiten bieten ganz viel Mehrwert für die Lernenden. Selbständig ein Thema zu bearbeiten und zu einem Schluss zu kommen halte ich für extrem wertvoll. Die Form wie die SVA vorliegt ist meiner Meinung nach aber nicht das Gelbe vom Ei. Ich bin mir auch nicht so sicher, ob, wenn das Ei aufgebrochen, wird ein Superman zum Vorschein kommt. Es könnte auch ein Kuckuck sein. Ich bin Fachlehrer nicht AbUlehrer, habe aber doch etwas Erfahrung mit solchen Arbeiten. Einerseits kriege ich immer wieder in abgeschlossene Arbeiten einen Einblick und andererseits habe ich einige Jahre selbst Lernende ausgebildet. Bei manchen Arbeiten frage ich mich tatsächlich, wer hat die Arbeit gemacht, wer hat sie geschrieben? Wenn ein Lernender während zwei Jahren kaum einen richtigen Deutschen Satz schreiben konnte und das Vernetzen von Themen ein Fremdwort war, wie ist es dann möglich, dass die Arbeit in hochstehendem Deutsch geschrieben wurde und nicht nur verschiedene Themen vernetzt sondern auch noch Quer und um die Ecke gedacht wurde? Könnte es eventuell sein, das die VA den gleichen immanenten Fehler wie Hausaufgaben enthalten, dass Lernende mit einem guten Umfeld im Betrieb und zu Hause bevorteilt werden?

Manuel Fischer

Journalism, Texter, Corporate Publishing, Gebäudetechnik, Logistik, Lebensmittel

5 Jahre

Hoi Beat. Guter Beitrag, der Deine Lernenden und ihr Umfeld hoffentlich motiviert. "LinkedIn" benutze ich noch nicht so lange, hat aber den Vorteil, dass man seine Geschichten einfach verbreiten kann. Also bis demnächst. Habe die Pferde beruflich (no.) nicht gewechselt, drechsle immer noch Sätzli.....

Sabine Carrodano

SENSENERGY energy healing & holistic mentoring

5 Jahre

Sowohl auch und ahnend, dass das größte Übel die Unterlassung wäre :-)

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