Die Zukunft der Industriearbeit in Deutschland – ein kleiner Blick hinter den Projekt-Vorhang
Liebe Leserin, lieber Leser,
Eines können wir mit Gewissheit sagen: die Zukunft der Industrie-Arbeit in Deutschland wird nicht aussehen wie auf dem oben dargestellten Bild. Da generative vortrainierte Transformer (GPT) immer auf Daten aus der Vergangenheit zurückgreifen und weder denken noch planen können und auch nicht "kreativ" sind, bedarf es ausführlicherer Prompts, um ein Zukunfts-Image zu kreieren, das näher an möglichen oder wahrscheinlichen Zukünften ist, als eine Mischung zwischen 1950-er Jahre Fiat, Käfer und Škoda. Aber die Fähigkeiten und Grenzen von KI sollen nicht Thema unseres heutigen Newsletters sein, sondern ein kleiner Blick hinter den Vorhang unseres laufenden Projekts.
Seit Januar arbeiten wir bei Themis Foresight an der Studie „Die Zukunft der Industrie-Arbeit in Deutschland“. Carina Stöttner führte bis heute über 30 Interviews mit Innovatorinnen, Industrievertretern, Wissenschaftlerinnen, Gewerkschaftern, Analystinnen, politischen und gesellschaftlichen Akteuren. Ein paar wenige, aber uns dennoch sehr wichtige stehen diese Woche noch an. Das Interessante: Die Expert:innen unseres Expert Panels sind sich zwar zumeist darin einig, dass der heutige Status Quo unzufriedenstellend ist, und die allermeisten befürworten einen Ausbau des Industrie-Standorts EU und damit auch Deutschlands. Doch gibt es in der Frage, wie wir einen Zielzustand erreichen, in der die deutsche Industrie auch in 25 Jahren weiter in der Weltspitze mitspielt, sehr unterschiedliche Auffassungen. Diese sind wichtig, denn der Wettbewerb der Konzepte zeigt, dass unterschiedliche Zukünfte möglich sind, die wir am 18.06. in einem Future Lab bei unserem Projektpartner Südwestmetall in Szenarien gießen werden. Es zeigt auch, dass Fortschritt durch Reibung unterschiedlicher Ideen entsteht.
Diese Reibung beinhaltet auch, dass sich die Teilnehmenden unserer Future Labs gegenseitig herausfordern: Stimmen denn die Annahmen, auf denen unsere heutigen Strategien für Innovation, Produktzyklen, Zielmärkte oder gegen den Fachkräftemangel fußen? Inwieweit oder sollten wir überhaupt BIP-Prognosen für den Wirtschaftsraum EU berücksichtigen? Und wenn ja, mit welcher Grundeinstellung? Akzeptieren wir die Prognosen als Planziel oder wollen wir die sehr niedrig hängende Latte überspringen? Und wenn ja, um wieviel? Und vor Allem, was müsste dann dafür unternommen werden? Gibt es überhaupt den vielzitierten Fachkräftemangel oder gibt es eine schlechte Verteilung von Arbeit und viel zu viele unsinnige Jobs, die bis 2032/2035 verschwunden sein werden? Ist die künstliche Trennung von Kopf- und Handarbeit, von gewerblichen und kaufmännischen Tätigkeiten überhaupt ein Konzept, das dauerhaft und nachhaltig Hightech hervorbringen kann?
Future Labs und Workstreams
Im Verlauf der Erstellung unserer Studie organisieren wir eine Reihe von Workstreams und halböffentlichen Veranstaltungen. Neben unseren Projektpartnern Deutsche Bahn , Südwestmetall und Perthex , engagiert sich unser wissenschaftlicher Beirat dabei, kniffligere Fragen zu erörtern, deren Plausibilität zu prüfen und kritische Ungewissheiten zu formulieren, die für unsere Szenario-Arbeit wichtig sind. Beispielsweise äußerte sich ein Mitglied unseres Expert Panels, dass die Ausrichtung der Automatisierungs-Bestrebungen zukünftig nicht mehr wie im 20. Jahrhundert vorrangig Produktivitätssteigerung sein wird, sondern die Erreichung eines bisher nicht gekannten Grades an Flexibilisierung in der Produktion. In einer solchen Aussage stecken – falls sie sich bewahrheitet – reihenweise Folgen für das Nutzenversprechen eines Unternehmens, Mengengerüste, benötigte Skill-Levels, Beschaffungs- und Ansiedlungs-Strategien.
Auf unserem letzten Future Lab Anfang März in Berlin trafen sich 30 Vertreter:innen aus Konzern-Vorständen, Strategie- und Innovations-Bereichen, um sogenannte Future Wheels zu entwickeln. Diese einfache Methode ermöglicht es, die Konsequenzen formulierter Zukunfts-Aussagen deutlicher darzustellen. Welche Konsequenzen ersten, zweiten, dritten usw. Grades kann es denn haben, wenn z.B. Industrie-Unternehmen in Deutschland oder Europa nur noch sogenannte Leitwerke besitzen, in denen innoviert wird, die Massenfertigung aber an vielen Standorten in unterschiedlichen Märkten stattfindet? Oder wie sähe eine Arbeitswelt aus, in der es „den Industrie-Arbeiter“ gar nicht mehr gibt und das Bild von Arbeit nicht mehr durch Kragenfarbe oder Bildungsweg bestimmt wird?
Auch leben unsere Future Labs von erstklassigen Impulsen. So schätzten wir uns glücklich, mit dem ehemaligen BDI-Geschäftsführer Dr. Joachim Lang einen Blick in zukünftige Leitplanken einer europäischen Industriepolitik werfen zu können und seine Thesen zu diskutieren. Und den Einschätzungen der Zeit-Journalistin und Migrationsforscherin Vanessa Vu zu lauschen, was die großen Hebel bei der Migration von Fachkräften nach Deutschland sein werden.
Wir haben uns noch nicht abschließend entschieden, wer beim Future Lab im Juni in Stuttgart Impulse setzen wird. Doch hatten wir spannende Tiefeninterviews über die Zukunft von Industrie- und Zunftgewerkschaften und Formen zukünftiger betrieblicher Mitbestimmung bzw. Arbeitskampfes genauso wie konträre Meinungen zur Ausrichtung der Personalarbeit der Zukunft und von Innovation.
Mögliche Szenarien zukünftiger Industrie und Industrie-Arbeit
Hier ist der Ansatz eines Szenarios – wahrscheinlich enthält er sogar Stoff für zwei bis drei Szenarien – an dem im Juni gearbeitet werden kann:
Wir schreiben das Jahr 2045. Der Anlagen- und Maschinenbau hat die deutsche Automobilindustrie überholt und führt mit 5,2% Anteil der Bruttowertschöpfung in Deutschland die Liste der verarbeitenden Gewerbe an. Maßgeblich dafür verantwortlich sind sprunghafte Entwicklungen in der Robotik und profitable Kreislaufwirtschaftsmodelle. Aber zurück zum Anfang: Zunehmende geopolitische Unsicherheiten und wachsende Risiken in den globalen Lieferketten führten in der deutschen Industrie 2025 verstärkt zu Strategien des Re- und Near-Shorings. Durch den hohen industriellen Druck auf politische Entscheidungsträger führte die Bundesregierung erste Maßnahmen ein, um die nationale Unabhängigkeit zu stärken. Ein Schlüsselelement dieser Bemühungen war das Technologie- und Innovationsförderungsgesetz, das darauf abzielte, Anreize für die Twin Transition zu schaffen. Die Entscheidung, Produktionen aus Ländern mit niedrigeren Kosten zurückzuverlagern kombiniert mit einer zunehmend protektionistischen Ausrichtung der EU, führte vorübergehend zu internationalen Spannungen. In den ersten Jahren stiegen die Produktionskosten in Schlüsselindustrien, was sich negativ auf Exporte auswirkte. Diese Situation erhöhte den Druck auf Unternehmen, ihre Effizienz zu steigern. 2030 waren Angehörige der Babyboomer-Generation nur noch selten in Werkshallen zu treffen. Doch trotz des Mangels an Arbeitskräften wurde deutlich, dass durch die Ausmerzung von personellen Ineffizienzen und den Einsatz von KI und Robotik eine Steigerung der Produktivität und enorme Kostensenkung möglich war. Diese Automatisierungswelle zielte vor allem auf Flexibilität und unterschied sich damit grundlegend von der Automatisierung des 20. Jahrhunderts.
Empfohlen von LinkedIn
Was würde dieses Szenario für ein Unternehmen in der heutigen Metall- und Elektroindustrie bedeuten? Welche Konsequenzen hätte das für dessen Personal-Planung, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen? Welche Schritte müssten heute eingeleitet werden?
Wie geht es weiter im Projekt?
Neben den fortlaufenden Sessions unseres Steering Committee mit dem wissenschaftlichen Beirat stehen noch vier weitere große Meilensteine an:
- Die Entwicklung von Szenarien für Industrie-Zukünfte in Deutschland im Juni,
- Die Entwicklung eines erstrebenswerten Zukunftsbilds der Industrie-Arbeit in Deutschland im September,
- Die Entwicklung von Ableitungen und Empfehlungen für die strategische Personalplanung von Industrie-Unternehmen und
- Die Veröffentlichung der Studie zum Jahresende.
Schon heute erreichen uns Anfragen aus Unternehmen, wie der Wissenstransfer aus den Studienergebnissen in Unternehmen bewerkstelligt wird. Hier müssen wir um etwas Geduld bitten. Unsere Projektpartner sind zuerst am Zug. Sollten Sie jetzt noch ins Projekt einsteigen wollen, nehmen Sie gern Kontakt mit Carina Stöttner oder Jan Berger über unsere Projektseite auf.
Sollten Sie Interesse an einer Teilnahme am kommenden Future Lab am 18. Juni in Stuttgart haben, melden Sie sich gern hier an. Und sollten Sie Interesse an allen kommenden Future Labs haben, sprechen sie Carina Stöttner oder Jan Berger gern
direkt an.
Wir verbleiben mit herzlichen Grüßen.
Carina Stöttner, Jan Berger
MetaWorX Co-Founder | Next.Work Expert & Biohacker | Future of Work & Personal Performance
7 MonateLieber Jan Berger, es ist uns eine Freude, als metaWorX by PrtX Teil des Teams bei dieser Studie zu sein. Auf die sich daraus ergebenden Zukunftsszenarien sind wir schon sehr gespannt. Als Insider dürfen wir aber schon mal ein klein wenig Spoilern (ohne Wesentliches zu verraten) 😀 - aus Blue Collar und White Collar wird gegebenenfalls ein neuer Collar entstehen 😉. Wie und wo, wird sich in den nächsten Labs ergeben und dann, zur gegebenen Zeit, in der genannten Studie publiziert werden. Wir freuen uns auf die kommenden Sessions.
Geschäftsführer PROFORE, Zukunftsforscher, Keynote-Speaker, Autor, Future Punk
8 MonateSehr netter, wirklich eher kleiner Einblick ins Szenario - mit 19 Prozent vom Gesamttext ist der Einblick ins Szenario wirklich sehr klein, der Rest ist ja schon deutlich Werbung für die Labs. Aber zu Recht, denn es lohnt sich, die Szenarioentwicklung einmal selbst mitzuerleben, oder noch besser: Die Methodik dahinter zu inkorporieren. Mich würde interessieren, wie ihr methodisch mit den aktuellen Wildcards umgeht, wenn ihr eins, "eventuell auch zwei bis drei" Szenarien baut, nämlich Trump, Taiwan, Pandemie 2.0, Eskalation Nahost, Immobilien-Kollaps (800.000 Wohnungen zu wenig, tbc), AfD-Landes-, später -Bundesregierung, etc.?
Don’t compete.Create.🎏 Stand with 🇺🇦🇺🇦
8 MonateSo ist‘s recht- das ist im Geiste von Robert Jungk gedacht, zu dessen Füßen ich die Ehre hatte, in Berlin zu sitzen:“möglichen oder wahrscheinlichen Zukünften ist“…
COO & Co-Founder Feedbacktime® | Futures Navigator • Systems Thinker • Technology Advocate
8 MonateSpannende Ansätze für das Szenario, liebe Carina Stöttner und lieber Jan Berger. Als Maschinenbauerin mit einem Herz für den Anlagenbau finde ich diese Perspektive sehr spannend, aber da gibt es durchaus viel Diskussionsbedarf. Mich wird interessieren, wohin eure Gedanken führen, wenn Deutschland (temporär) weniger aus dem Export ziehen kann. Oder, wofür die Industrie zukünftig "stehen will".