Digitale Gewinner und Verlierer: Was Unternehmen und Politik jetzt leisten müssen.
Sprechen Politiker über Digitalisierung, habe ich oft den Eindruck, sie reden über etwas, das in ferner Zukunft liegt. Was ist da los? Die Digitalisierung ist längst in vollem Gange. Für unser ganzes Land bietet sie Chancen, Produktivität und Innovationskraft nachhaltig zu steigern. Das haben viele bereits erkannt, doch das Handeln wird auf die lange Bank geschoben.
Hier sehe ich eine zentrale Aufgabe für die Politik, aber auch für Unternehmen: Die Digitalisierung vorantreiben, dafür werben und Bedingungen schaffen, um einen guten Platz im digitalen Arbeitsmarkt zu finden – als Arbeitnehmer, als Unternehmen, als Volkswirtschaft insgesamt.
Tätigkeiten werden zunehmend digitalisiert und automatisiert. Automatisierte Prozesse gibt es in der Industrie schon lange, aber auch zunehmend bei höherqualifizierten Tätigkeiten in Büros oder beispielsweise in medizinischen Bereichen. Damit keiner den Anschluss verliert, ist Qualifikation wichtiger denn je. Nur Menschen mit entsprechendem digitalen Know-how werden ihren neuen Platz in der modernen Arbeitswelt finden. Und das Gleiche gilt für die Unternehmen, in denen sie arbeiten.
Must-haves: Qualifizierung und Bildung
Hier stehen Politik und Wirtschaft in gemeinsamer Verantwortung. Die Politik muss Qualifikationsangebote für diejenigen schaffen, die in keinem Beschäftigungsverhältnis stehen. Medienkompetenz zu vermitteln hat hierbei aus meiner Sicht höchste Priorität. Entsprechende Angebote müssen früh starten, um alle zu erreichen. Das bedeutet auch, dass in den Schulen etwas passieren muss. Sie müssen entsprechend ausgestattet werden und auch selbst digitaler arbeiten. Doch die Qualifikation darf nicht nach der Schule aufhören. Lernen geht auch danach weiter und muss vom Staat weiterhin gefördert werden. Ich erwarte hier aber natürlich nicht nur die Bereitschaft sondern den aktiven Einsatz jedes Einzelnen, seinen Beitrag zur Weiterqualifikation zu leisten.
Die Digitalisierung ist unabwendbar. Lassen Sie uns das als große Chance sehen – für mehr Vielfalt, mehr Freiheiten und neue Möglichkeiten der Beteiligung. Deutschland kann wirtschaftlich von dieser Entwicklung profitieren. Voraussetzung dafür ist, dass man sich auf die dafür notwendigen Veränderungen einlässt und keine Kraft mit der Erhaltung der alten Arbeitskultur verschwendet.
Herausforderung: Neue Arbeit
Für mich gehören dazu in Deutschland auch flexiblere Arbeitszeitregelungen und ein zeitgemäßes Arbeitszeitgesetz. Denn Unternehmen treten heute gegen global agierende Wettbewerber aus dem Digitalbusiness an. Eine kluge Modernisierung berücksichtigt die berechtigten Schutzinteressen der Mitarbeiter. Sie bewirkt, dass Unternehmen im Wettbewerb schneller und agiler werden und schafft eine bessere Work-Life-Balance für Mitarbeiter.
Für unsere Mitarbeiter haben wir bei innogy letztes Jahr „digital.me“ gestartet. Damit wollen wir langfristig die digitalen Fähigkeiten unserer Mitarbeiter verbessern. Das Besondere an dem Programm: Wir gehen nicht nach dem Gießkannenprinzip vor, sondern qualifizieren die Mitarbeiter gezielt in den Bereichen, die für ihre tägliche Arbeit wichtig sind. Nach ersten Piloten wollen wir die Initiative jetzt nach und nach im gesamten Unternehmen ausrollen.
Aufgabe der Unternehmen…
Doch seien wir einmal ehrlich: Bei aller Anstrengung werden es nicht alle Menschen so leicht schaffen, den Weg in die neue Arbeitswelt zu finden – aus welchen Gründen auch immer. Hier sehe ich auch die Unternehmen in der Pflicht, einen Beitrag zu leisten, um genau das zu verhindern. Wir bei innogy tun unserer Möglichstes, um gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen. Deshalb gibt es bei uns „Ich pack das!“.
Das Programm richtet sich gezielt an Schüler, die keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Bislang haben 1.178 Schüler mitgemacht. Über 80 Prozent der Teilnehmer haben so eine Lehrstelle gefunden, ein Viertel davon haben wir ausgebildet. Ein toller Erfolg für beide Seiten, finde ich!
... und Aufgabe der Politik
Ich weiß, dass viele Firmen Anstrengungen in diese Richtung unternehmen. Aber wir stoßen an Grenzen. Lösungen brauchen wir auch für diejenigen, die abgehängt werden – oder sich einfach nur so fühlen. Für Menschen, deren Aufgaben von digitalen Systemen übernommen werden und die keine anderen Jobs gefunden haben. Was passiert, wenn sich Menschen abgehängt fühlen, zeigt sich in ganz Europa an den Wahlergebnissen extremer Parteien. Letztlich kann das zu einer Frage des sozialen Friedens werden.
Ich sehe, dass die Folgen von Digitalisierung und Automatisierung heftig sein werden. Deshalb möchte ich, dass innogy vorbereitet ist. Ist es die Politik auch?
Wenn es um Arbeit geht, geht es um die Existenz. Umso erstaunlicher, wie wenig die Veränderung der Arbeitswelt die politische Debatte bislang geprägt hat. Wie wir arbeiten werden und was wir dazu brauchen – das sind die Fragen, auf die wir dringend Antworten finden müssen. Sie sollten unser Bildungssystem bestimmen und die Diskussionen darum, welche Investitionen in die Zukunft jetzt nötig sind. Und sie sollten mit Mut, Fantasie und Offenheit für Neues diskutiert werden!
Noch warten wir auf die nächste Bundesregierung. Eine ihrer großen Aufgaben wird sein, eine Spaltung der Gesellschaft in „Gewinner“ und „Verlierer“ der Digitalisierung zu verhindern. Ziel muss sein, dass möglichst viele Menschen einen Platz in der neuen digitalisierten Arbeitswelt finden. Auch wenn es Politik und Wirtschaft viel abverlangt, ist für mich klar: Es geht nur gemeinsam.
Miteinander sprechen ist da immer ein guter Anfang. Wer die künftigen politischen Gesprächspartner sein werden, ist derzeit ungewiss. Aber ich freue mich über jeden, der bereit ist, hierüber den Dialog aufzunehmen und aktiv an Lösungen mitzuarbeiten.
Hoffnungsvoll, Ihr Uwe Tigges
Fachbereich Informatik
7 JahreGuter Beitrag! In anderen Worten gesagt befinden wir uns nicht nur in der Digitalisierung, sondern in einer neuen wirtschaftlichen Revolution. Einer sieht das und andere nicht. Darunter leider zumindest mein IT Business wenn einer das nicht sieht. Ein Smartphone zu bedienen heißt noch lange nicht in der digitalen Welt angekommen zu sein. Ich sehe in der Steiermark max. 20% der Bevölkerung in der Digitalisierung angekommen. Das ist keine Errungenschaft. Man muss die Leute beim Anschluß mehr unterstützen.
Mag. | MBA Digital Transformation and Data Science
7 JahreEin ermutigender Beitrag, herzlichen Dank Herr Tigges!
COO bei Schneidhofer search and connect e.K.
7 JahreIch kann Ihnen in nahezu allen Teilen Ihres Beitrages beipflichten, Herr Tigges! Nur, was stellen Sie sich konkret vor von Seiten der Politik? Einer aktuellen Politik des Stillstands und Verwaltens! Der „Master-Plan“ für unsere Zukunft fehlt, gesellschaftlich wie politisch. Und zu einem Master-Plan gehören eben auch Prioritäten, wozu ich Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, Abstimmungsverhalten in EU-Gremien (...) bspw. nicht zählen würde. Aber dennoch: ebenfalls immer hoffnungsvoll Alexander Huse
Consultant
7 JahreDer Beitrag gefällt mir. Den Anstoß zur Flexibilisierung der Arbeitszeitregelungen und die Initiative von innogy zur Verbesserung der digitalen Fähigkeiten der Mitarbeiter finde ich sehr gut. Beides sollte miteinander verknüpft werden, indem den Mitarbeitern ein Anspruch auf Weiterbildungszeit eingeräumt wird - verbunden mit dem Ziel, diese Zeit auch zur Kompetenzerweiterung auf dem Feld der Digitalisierung zu nutzen. Grundsätzlich wird immer wichtiger, dass digitale Kompetenzen in allen Bevölkerungsschichten Eingang finden.
Meine Mission: Spitzenleistung und Zufriedenheit in allen Hierarchien in der Führungspraxis beweisen
7 JahreSchauen Sie nicht auf die Politik. Die war nie und wird nie vorbereitet sein. Sie reagiert meist nur kurzfristig auf Entwicklungen. Die Politik wird die Welt auch nicht langsamer machen und den internationalen Wettbewerb nicht zurückdrehen. Die Politik gestaltet auch nichts wirklich. Das kann sie gar nicht, denn schlussendlich hat sie wenig Einfluss. Also, packen wir es innerhalb unserer Verantwortung selbst an, die Gestaltungsräume sind groß genug finde ich.