Digitalisierung? Wen kümmert‘s

Alle Welt spricht vom Smarten Wohnen, von Automation und Autonomie in den eigenen vier Wänden. Doch sind wir gewappnet, wenn Küchengeräte sich untereinander absprechen? Wenn gar Technologie mit dem Alter mitreift. Nehmen wir ein Beispiel. Als medienaffiner Jugendlicher nutzen Sie ein Smartphone zur vollen Gänze. Mit der Zeit kristallisieren sich Vorlieben, Kontakte, digitale Gewohnheiten heraus. Und mit zunehmendem Alter überspringt das Handy komplexe Konfigurationsprozesse, reduziert sich mehr und mehr im Gebrauch und schaltet gewissermaßen um in digitale Demenz. Das klingt provokant. Aber es wäre ein interessanter Ansatz. Wird die Demenz zum digitalen Briefing, sähe der Programmiercode völlig anders aus. Algorithmen erhöhen nicht den Grad der Komplexität, sondern schmälern ihn. Natürlich auf intelligente Art und Weise. Ein bisschen Überforderung darf schon dabei sein. Das hält fit und erweitert die technologische Kompetenz. Übertragen wir den Ansatz von der digitalen Welt auf die Produktebene, wandeln sich Digitalanzeigen in Tastenoberflächen mit Vibrationsfeedback oder gar in Wählscheiben mit spürbarem Fingerhakeln zurück. Wissen Sie noch, wie es sich anfühlte, wenn der Finger, eingehakt in die Wählscheibe den Halbkreis vor und zurück fuhr? Es blieb genug Zeit, die Nummer zu überprüfen, sich gedanklich auf den Anruf vorzubereiten und loszulegen. Gerade das Internet-der-Dinge eignet sich hervorragend, die haptisch-physikalische Welt mit der digitalen zu verbinden. Zur Zeit erarbeiten wir gerade eine Nachbarschaftshilfe auf Basis eines gehackten Amazon Dash Buttons. Das sind die Dinger, die man auf die Waschmaschine klebt und sobald das Waschmittel zuneige geht, per Klingelknopf einen Bestellvorgang bei Amazon auslöst und Waschmittel nachbestellt. Kein Computer wird hochgefahren, kein Browser geöffnet, kein Shop besucht. Geht alles automatisch über das WLAN-Netz. Unsere Nachbarschaftshilfe funktioniert ähnlich. Sie baut auf der digitalen Gemeinschaft auf wie zum Beispiel die Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Das Prinzip ist einfach. Der Klingelknopf wird auf Höhe des Türöffners oder sonstwo platziert. Per Fernzugriff meldet sich der Knopf im WLAN-Netz an. Sollte kein eigenes WLAN vorhanden sein, ist auch eine Kooperation mit einem Provider vor Ort denkbar. Oder die Nachbarn geben ihre WLAN-Netze im Sinne der Nachbarschaftshilfe in Teilen frei. Wird nun der Klingelknopf betätigt, erfolgt ein Signal auf die Handys in der Hausgemeinschaft. Je nach Engagement kann nun ein Brief mitgenommen, ein Marmeladenglas geöffnet oder eine Leuchte ausgetauscht werden. Klingelknopf bleibt Klingelknopf. „Kannst Du mal eben“ erreicht die, die mithelfen wollen. Entweder im eigenen Haus oder ein Haus weiter. Denkt man den Ansatz in die Zukunft, dezentralisiert sich die Pflege mehr und mehr. Altenpflege 2.0 erscheint nicht abwegig. Aber da sind wir noch nicht. Die digitale Nachbarschaftshilfe wäre somit der kleinste, gemeinsame Nenner in Sachen Smartes Wohnen. Damit kann auch der Altbestand ausgestattet werden - ohne dass bauliche Änderungen notwendig sind. Nur das „Klingelmännchen“, den „falschen Alarm“ sollte man sich verkneifen. Aber das kennen wir ja.

Lola Güldenberg

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