Du bist total unsympathisch
Die Verteilung an den Tischen hatte sich ganz zufällig ergeben. Mir gegenüber ein Mann um die Vierzig, Business-Casual in grau, eckige Brille, leichte Stirnfalten. Sein Haar kurz geschnitten, sorgfältig gegelt und aus den Hemdenärmeln ragten manikürte Hände, Ehering.
Ich war ein wenig überrascht, denn er machte keinen Hehl daraus, dass er sich nicht mit mir unterhalten wollte. Mehr noch ließ er mich spüren, dass ich ihm total unsympathisch wäre. Woran konnte das nur liegen, ich hatte mir wie alle anderen Gäste die Vorträge angehört, mich aber nicht an der Diskussion beteiligt. Auch konnte ich mich nicht erinnern, ihm vielleicht den Vortritt an der Garderobe genommen oder ihn durch irgendeine andere Handlung oder Geste verärgert zu haben. Nein, vor dem Treffen hier am Tisch hatte ich ihn noch nicht einmal gesehen. Trotzdem reagierte er unübersehbar ablehnend.
Es ist offenbar nicht so, dass diese Apathie irgendeinen konkreten Auslöser haben muss. Meinem eigenen Charakter entsprechend war ich davon ausgegangen, dass jeder Fremde mir erst mal eine Chance gibt, mich in mehr oder weniger positivem Licht darzustellen. Wieweit das über den Abend trägt ergibt sich dann im weiteren Verlauf, aber man könnte erst mal einen guten Eindruck vermitteln.
Aber mein Gegenüber war da anders. Laut Namensschild war er Mitarbeiter einer Firma Blablub-Consulting, ich fragte mich, ob der Name richtig geschrieben war und ob er witzig sein sollte. So sah der Mann gar nicht aus, nach seiner finsteren Miene wollte ich ihn aber auch nicht darauf ansprechen. Ob er auch anderen Menschen gegenüber dermaßen verschlossen agierte? Gerade drehte er sich zu einem Gesprächspartner zu seiner linken Seite, wechselte ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte und machte dann Anstalten aufzustehen.
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Sein Blick fiel wieder auf mich, verdüsterte sich und mit einem gewissen Schwung stieß er den Stuhl zurück, um mit zügigen Schritten in Richtung Buffet zu verschwinden. Was habe ich ihm nur getan, wollte ich mich gerade fragen, als mir klar wurde, dass genau diese Frage hier schlicht verkehrt war. Sie kam aus mir, meiner Erfahrungswelt und meiner inneren Einstellung. Ich konnte ihm ja noch gar nichts getan haben, sein Verhalten konnte also keine Reaktion sein.
Vielleicht erinnerte mein Äußeres ihn an irgendeine verhasste Persönlichkeit, vielleicht eine bestimmte Handbewegung, mein Aftershave, Haltung, Kleidung oder was auch immer. Wenn er wieder auftauchte, das nahm ich mir tapfer vor, dann wollte ich ihn nach dem Grund seines Auftretens fragen. Aber er kam nicht wieder, so unvermittelt wie er plötzlich am Tisch saß, so spurlos war er auch wieder verschwunden.
Ob er mir überhaupt eine Antwort auf meine Frage gegen hätte, grübelte ich noch ein Weilchen. Aber selbst das konnte ich nicht herausfinden, weder an diesem Abend noch später, denn weil es mir keine Ruhe ließ fragte ich den Organisator nach diesem merkwürdigen Fremden von Blablub-Consulting. Doch weder dieser graumelierte Brillenträger noch die von mir zitierte Firma waren bekannt. So bleibt nur die Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die mich spontan unsympathisch finden, ohne dass ich eine Möglichkeit habe, den Auslöser herauszufinden.
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