Du kommst hier net rein - oder der Stress mit anderen Meinungen
Starten wir mit einem kleinen Test:
Wer hat die Glühbirne erfunden? Na.....? Nein, es war nicht Thomas Alva Edison, sondern ein Tüftler namens Joseph Swan, der im Frühjahr 1879, etwa sechs Monate vor seinem Konkurrenten, die "Erleuchtung" in Newcastle der Weltöffentlichkeit vorstellte.
Nächste Frage: War Napoleon ein kleiner Wurzelzwerg, der ob seiner geringen Körpergröße Minderwertigkeitskomplexe mit blutigen Eroberungen kompensieren wollte? Ja....? Nein! Napoleon zählte mit seinen 1,69 Metern damals tatsächlich zu den vergleichsweise langen Franzosen. Klein gemacht haben den großen Herrscher Frankreichs wohl diejenigen, die mit dem anglo-amerikanischen Maß umrechneten. Das ergibt in der Tat nur 152,4 und ist wirklich von kurzer Statur. Ob diese Umrechnung nach dem falschen Maß versehentlich geschah oder nach dem Motto: kein Zentimeter dem Feind ! - das sei dahingestellt.
Okay, versuchen wir es noch ein letztes Mal: Wurde der Corona-Virus von einer Fledermaus, auf Patient Nummer Eins übertragen...? Nope! Mittlerweile ist eindeutig bewiesen, dass chinesische Forscher auf Geheiß ihres Präsidenten Xi JinPing COVID 19 in einem Gen-Labor gezüchtet haben. Ziel der Regierung in Peking war es, eine Pandemie zu nutzen, um sich im globalen Wirtschaftschaos Marktanteile zu sichern. Das steht in geheimen Abhörprotokollen, die dem Weißen Haus vorliegen und die Präsident Trump in Kürze medienwirksam veröffentlichen will...
Autsch! Haben Sie gerade was gefühlt? Irgendwo da zwischen Magen und Dünndarm? (Wenn nicht, gehören Sie wahrscheinlich zu der Gruppe der Verschwörungstheoretiker und können nun aufhören weiterzulesen - ich habe nur einen Test gemacht!). Was ist passiert? Einfache Antwort: Der Türsteher in ihrem Kopf hat die letzte Antwort nicht reingelassen. Sie entsprach nicht dem, was Sie als Gastgeber im Club ihrer Weltvorstellung begrüßen wollten. DAS wollten Sie nicht hören!
Napoléon ist weniger emotional als das Corona-Virus
Die Antworten auf die Erfindung der Glühbirne und die Körpergröße Napoleons haben Sie hingegen wahrscheinlich mit mehr oder weniger großem Interesse zur Kenntnis genommen, ohne sie auch nur ansatzweise anzuzweifeln. Ja, wahrscheinlich haben Sie sogar gedacht, dass Sie damit beim nächsten Meeting oder Smalltalk vor Freunden und Kollegen ein wenig "klugscheißen" können. Wozu denn die Richtigkeit überprüfen?
Warum ist das aber bei der Corona-Behauptung anders? Warum würden Sie jetzt mit mir in den Ring steigen, um diese absurde Theorie zu bekämpfen? Warum würden Sie so weit gehen, mich als Spinner, Aluhut-Träger oder zumindest als "wirr" zu beschimpfen?
Antwort: Bei emotional aufgeladenen Themen (z.B. Einwanderung, Flüchtlinge, AFD, Trump, Schulsystem, ja auch Bundesligafußball...) definiert sich Ihre Identität aus Ihrer Haltung zu der Materie. Und Ihre Identität verteidigen Sie mit allen Mitteln!
Der Neurowissenschaftler Han Langeslag und seine Kollegin Maren Urner haben wunderbar beschrieben, was mit uns - was in unserem Gehirn - passiert: "Je stärker wir uns gegen Argumente zur Wehr setzen, die unsere Identität bedrohen, desto aktiver sind Gehirnregionen, die für Angstgefühle wichtig sind. Es scheint so, als ob im Gehirn ähnliche Mechanismen angeworfen werden, wenn uns jemand mit dem Messer oder mit Argumenten »bedroht«. Ihr Gegenüber scheint die Welt komplett anders zu sehen als Sie und einfach nichts verstehen zu wollen. Wir reden uns in Rage, die Wangen werden rot, die Hände schwitzen und wir fühlen unser Herz plötzlich schlagen. Vielleicht fühlen Sie sich sogar angeekelt von der Meinung des Diskussionspartners. Diese emotionalen und die damit einhergehenden körperlichen Reaktionen zeigen: Hier geht es ans Eingemachte, um ein Thema, das Teil Ihrer Identität ist – die es zu verteidigen gilt."
Meinungsverschiedenheit als Überlebenskampf
Wir wissen, dass es die erste und wichtigste Aufgabe unseres Gehirns ist, uns zu schützen. Obwohl es nicht mehr darum geht, instinktiv zu handeln, wenn der Bär unangemeldet vor der steinzeitlichen Höhle steht, hat sich an der Arbeit unserer grauen Zellen und der damit verbundenen Folgen wenig geändert. Unser Reptilienhirn schaltet auf "Überlebeskampf" und entscheidet - wie seit Hunderttausend Jahren - zwischen Flucht, Kampf und Erstarrung. Nur, dass wir heute eben nicht mehr aus dem Büro wegrennen, dem Kollegen die Nase blutig hauen oder uns hinter dem Kopierer tot stellen können. Schon gar nicht, wenn es "nur" um Meinungsverschiedenheiten geht.
Aber erstmal Entwarnung: Der Türsteher in Ihrem Gehirn macht im Alltag einen guten Job! Er schützt Sie und lässt sie in Ruhe leben. Kritisch wird es eben nur dann, wenn Sie in Diskussionen und Verhandlungen - oder beim Konsumieren von Nachrichten - körperlich merken, dass das Adrenalin und Cortisol anfängt zu rauschen. Das ist auf Dauer nicht nur ungesund, sondern wird Sie in Ihrer Kommunikationsfähigkeit negativ beeinträchtigen.
Empfehlungen:
Emotionales Distancing
Es gilt zum Eigenschutz die Erkenntnis, dass eine andere Meinung nicht deshalb schon ein Angriff auf die eigene Identität darstellt, weil das Thema von Ihnen(!) emotional eingeordnet wird! Aber wenn ich mich doch in meiner Person und Haltung angegriffen fühle? Vielleicht helfen diese Paraden: "Was du sagst, finde ich interessant, aber wie du es sagst, bringt die Diskussion nicht weiter!" Oder: "Ich verstehe deine Kritik, aber ich verstehe nicht, warum du mich persönlich angreifst!" Und nein, niemand verpflichtet Sie, sich am Online-Diskurs über die letzte Trump-Pressekonferenz zu beteiligen. Es ist Ihre(!) bewusste Entscheidung, das zu tun...oder zu lassen.
Aus der Emotionsfalle
Wir müssen uns einen breiten synaptischen "Highway" bauen zwischen den Bereichen im Gehirn, die für Emotionen und Gefühle verantwortlich sind und der Region, in der nüchtern, sachlich Lösungsvorschläge erarbeitet werden (Neurowissenschaftler mögen mir die Vereinfachung für das komplexe Zusammenspiel von Limbischem System und Neocortex verzeihen.) Hier gibt es verschiedene Methoden wie BrainGym aus der Edu-Kinesthetik, Meditation, Atemübung (z.B.Wim Hof Methode) und vor allem das Wiederholen kontrollierter Stress-Situationen in einer sicheren "Laboratmosphäre". Karsten Schröder, ehemaliges Mitglied der GSG9 und heute Sicherheitsberater und Coach: "Natürlich pumpt auch bei uns in heiklen Situationen das Adrenalin und wir haben Stress. Aber durch ziegmaliges Wiederholen, Drill und Einstudieren von Situationen, nutzen wir genau diesen Schub, um noch schneller zu guten Lösungen zu kommen." Das funktioniert auch in Kommunikationstrainings :-)
Kampf/Flucht/Erstarrungsmodus erkennen
Wenn wir in den Kampf-Flucht-Erstarrungsmodus schalten, wird Argumentationsaustausch und Informationsaufnahme unmöglich. Es kann keiner gewinnen! Jeder sieht schlecht aus! Der wahre Gegner ist nie der Gesprächspartner mit anderer Meinung, sondern der Kampf-Flucht-Erstarrungsmodus an sich. Diese Haltung kann ebenfalls mit o.g. Emotionsfallen-Trainings und durch Wiederholen kritischer Kommunikationsaufgaben überwunden werden.
Wo tut's besonders weh??
Jeder hat einen Schwachpunkt. Und wenn jemand unseren findet - egal ob ohne Absicht, mit einem verirrten Pfeil oder weil er hofft, uns weh zu tun - wird es noch schwerer, ruhig und besonnen zu bleiben. Das gilt auch bei unserem Medienkonsum. Besonders empfindlich reagieren Menschen auf einen vermeintlichen Angriff auf ihr eigenes Wertesystem. Einem Menschen, der sich besonders mit dem Wert "Ehrlichkeit" identifiziert, wird bei einer Rede Trumps eher schlecht, als jemandem, der dem Wort "Ehrgeiz" erst ein Gesicht verleiht. Nehmen Sie sich Zeit und denken Sie über Ihre Trigger nach. Allein zu wissen, wo Sie verwundbar sind, wird Ihnen helfen, die Kontrolle zu behalten, wenn Sie sich angegriffen fühlen.
Keine Absichten unterstellen
Bei emotionalen Themen und gegenteiligen Ansichten verlieren wir den Sinn dafür, dass wir die Intentionen anderer Menschen nicht kennen können - nur unsere eigenen. Wir müssen mit einer ungeheurenVieldeutigkeit klarkommen. Wenn wir wissen, dass jemand AFD-Funktionär ist, werden wir anders auf das reagieren, was er behauptet, als wenn es sich um einen linksalternativen Aktivisten handelt. Selbst, wenn das Gesagte absolut identisch ist. Tipp für ein eskalierendes Streitgespräch ist eine Pause mit Ansage: "Wenn wir so miteinander sprechen, merke ich, dass ich noch immer nicht ganz verstehe, wie Sie zu dem Thema stehen." Vorgeben, etwas nicht zu wissen, kann eine wirkungsvolle Strategie sein, um das Gespräch wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
Blickwinkel ändern
Eine wirksame Methode, Angst vor unliebsamen Nachrichten, unangenehmen Diskussionen und stressigen Auseinandersetzungen abzubauen, sind Rollenspiele. Sei es im Team, in der Familie, in der Universität oder in anderen Gruppensituationen. Die Rollen zu tauschen und so aus der Sicht des »Anderen« für die Gegenposition zu argumentieren, kann Einsicht und Nachsicht fördern.
Fast immer gibt es dabei eine Überraschung: Wer spielerisch in die Rolle des vermeintlichen A...lochs schlüpft, hat in der Diskussion oft die schlagkräftigeren Argumente :-)