Entwickle und nutze ein positives Menschenbild

Entwickle und nutze ein positives Menschenbild

Schauen wir im Umgang mit Menschen nicht oft zu wenig hin und haben dabei nur ein Auge für das Oberflächliche? Geben wir uns genug Mühe, mehr zu sehen, als es auf den ersten Blick scheint? Eine benediktinisch geprägte Haltung führt dazu, darauf zu achten, dass wir im Menschen den sehen, der er sein kann und nicht nur den, den wir jetzt gerade wahrnehmen.

Einen Anwendungsfall, in dem dieser Anspruch vermutlich noch am ehesten gelingt, erleben Eltern von Teenagern (der Autor hat selbst drei erwachsene Kinder). Die Kinder selbst beschreiben diese Phase wohl mit „Die Zeit, in der die Eltern schwierig werden“. Die elterliche Perspektive der gleichen Phase wird beispielsweise in diesem Buchtitel wunderbar bearbeitet: „Und plötzlich sind sie 13 oder: Die Kunst, einen Kaktus zu umarmen“ von David & Claudia Arp und Lilli Schmidt.

In einem Geschäftskontext finden wir die Situation häufiger, wenn es um eine Beförderung einer Person in eine verantwortungsvollere Stelle geht. Sehen wir dabei nur, ob die Person das jetzt und sofort kann, oder können wir auch eine Person sehen, die mit Ihren neuen Aufgaben wachsen wird und die neue Stelle sehr schnell ausfüllen wird?

Benedikt

Die Regel Benedikts sagt: „Führen bedeutet, Menschen dazu aufzufordern, über sich hinauszuwachsen, sie so zu sehen, wie sie gemeint sind und ihnen selbst eine Ahnung von der Größe zu geben, zu der sie berufen sind.“

Die bekannte, 1.500 Jahre alte, unveränderte Regel Benedikts ist nicht nur eine Regel für ein religiöses Leben, sondern hat vielmehr eine friedvolle, funktionierende Gemeinschaft zum Ziel. Im heutigen Sprachgebrauch würden wir so etwas vermutlich eine Satzung oder auch einen Code of Conduct nennen. Bei einer so langen erfolgreichen Anwendung ist diese Regel also – trotz absolut berechtigter Kritik an etlichen aktuellen Fehlstellungen – historisch betrachtet ein ganz großer und gelungener Wurf. Das war sie aber nicht von Anfang an. Sie war der Nachfolger eines zuerst praktizierten und misslungenen Konzeptes. Der erste Versuch Benedikts fußte auf der „Regula Magistri“, der Regel für die Lehrer, der kein positives Menschenbild zugrunde lag, d.h. der Mensch war demnach schwach und schlecht und wenn er wunschgemäß funktionieren soll, muss er eng geführt und ständig kontrolliert werden. Aufgrund der Schwierigkeiten der ersten Gemeinschaft, nach dieser Regel zu leben, überarbeitete Benedikt also diese Regula zu seiner Regel Benedikts - mit einer grundsätzlich anderen Haltung, nämlich mit einem positiven Menschenbild.

Bei einem rein formalen Vergleich der beiden Werke fällt auf, dass die Regula Magistri um über 50% länger ist als die Regel Benedikts. Das ist nachvollziehbar, denn schließlich müssen ja „Ausführungsbestimmungen“ sehr präzise, kleinteilige Anweisungen sein, mit genauen Kontrollvorschriften.

Gerne sei hier der Anstoß zu einer Selbstreflektion gegeben, wie umfangreich die organisatorischen Richtlinien in Ihrem Unternehmen sind. Es gibt nämlich eine umgekehrte Korrelation zwischen Dokumentationstiefe und Vertrauenskultur. Der Autor selbst hat Start-Ups gesehen, noch ohne Umsatz und addiert mit einem Äquivalent von nur zwei Vollzeitmitarbeitern, aber bereits 300 Seiten Text in 20 Richtlinien. Wenn Sie also überbordende Richtlinien erkennen, dann kann das auf eine unterentwickelte Vertrauenskultur hindeuten (oder natürlich auch auf gesetzlich verursachte Regulierungstiefe).

Moderne Führung und Menschenbild

Unsere Menschenbilder, innere Überzeugungen andere Menschen betreffend, sind in der Führungsaufgabe deshalb so wichtig, weil wir unser Führungsverhalten – oft unbewusst - daran anpassen, welche (zutreffenden oder unzutreffenden) Vorstellung wir von unserem Gegenüber haben. Und unser Führungsverhalten hat dann wiederum unterschiedliche Reaktionen zur Folge. Über diesen Mechanismus werden unsere Menschenbilder zu selbsterfüllenden Prophezeiungen, Teufelskreisen oder, wenn wir bewusst genug sind, auch Engelskreisen.

Vielleicht geht es in dieser Frage also gar nicht um richtige oder falsche Menschenbilder – sowieso eine sehr schwierige Kategorisierung – als vielmehr um hilfreiche und kontraproduktive. Hilfreich ist beispielsweise der folgende Aspekt:

Die Empfehlung, ein positives Menschenbild zu entwickeln und zu nutzen, ist auch wissenschaftlich hinreichend begründet. Hier sei verwiesen auf unzählige Untersuchungen zum sogenannten Pygmalion-Effekt, der auf ein Experiment von Robert Rosenthal und Lenore F. Jacobson zurückgeht. Beispielhaft nenne ich hier die Versuchsanordnung aus dem Schulkontext.

Einer Lehrkraft, die eine Klasse neu übernimmt, wird mitgeteilt, dass eine Handvoll Schüler und Schülerinnen in dieser Klasse ganz besonders gut ist. Tatsächlich entsprechen diese Schüler und Schülerinnen aber genau dem Durchschnitt dieser Klasse.

Die Annahme der neuen Lehrkraft über das Leistungsniveau der benannten Gruppe führt aber zu einer anderen Behandlung durch die Lehrkraft. Die benannten Schüler werden z.B. häufiger ins Unterrichtsgespräch einbezogen, sie bekommen häufiger als andere die Gelegenheit, ihre Äußerungen „nachzuschärfen“ und ihre Antworten werden mit einer größeren Toleranzbreite als „auch noch richtig“ bewertet.

Diese andere Behandlung stärkt das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen der benannten Schüler, weil sie endlich eine Lehrkraft erleben, die ihr Potenzial erkennt. Daraufhin verändern sie wiederum ihr Verhalten in die Verhaltensmuster von guten Schülern.

Dieses veränderte Schülerverhalten wird von der neuen Lehrkraft als konsistent wahrgenommen und ihre Annahme über die Qualität dieser Schüler damit bestätigt. Ein Engelskreis.

Acht Monate später zeigen 45% diese Schüler 20 oder mehr IQ-Punkte in Tests als ihre Kontrollgruppe, 20% zeigen sogar mehr 30 IQ-Punkte Zunahme.

Übertragen auf den Geschäftskontext (auch beschrieben von Douglas McGregor in seiner X-Y-Theorie) lassen sich daraus 5 Anregungen formulieren:

1.    Überdenken Sie Ihr Menschenbild

2.    Gehen Sie das Thema bewusst an

3.    Rationalität ist nicht alles

4.    Seien Sie skeptisch bei zu einfachen Typisierungen

5.    Ersetzen Sie Glauben durch Wissen

Unabhängig von eigenen Mitarbeitern gelten diese Anregung selbstredend auch für Kunden, Chefs, Kollegen, Lieferanten, Kooperationspartner, Familienmitglieder oder schlicht für alle Menschen, mit denen Sie zu tun haben.

Anregung 1: Überdenken Sie Ihr Menschenbild.

Wenn Ihr Führungsverhalten nicht die gewünschten Effekte zeigt, hilft es oft wenig, den bisher gewählten Ansatz nur noch konsequenter oder hartnäckiger zu betreiben. Mehr vom Falschen hilft nicht.

Gemäß Pygmalion-Effekt oder X-Y-Theorie: Wenn Sie Sich selbst jeden Tag darin bestärken, wie schlecht Ihre Mitarbeiter und Kollegen sind und diesen das jeden Tag sagen, dann werden die jeden Tag schlechter und zwar so lange, bis sie richtig schlecht sind. Wenn Sie Sich selbst jeden Tag darin bestärken, wie gut Ihre Mitarbeiter und Kollegen sind und diesen das jeden Tag sagen, dann werden die jeden Tag besser und zwar so lange, bis sie richtig gut sind oder zumindest mehr von ihrem Potenzial realisieren.

Anregung 2: Gehen Sie das Thema bewusst an

Wie bereits geschrieben, verarbeiten wir unsere Menschenbilder oft unbewusst bei der Wahl unserer Führungsverhaltensmuster. Das ist mit ein Grund, warum Albert Einstein sagte: „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“ Seien Sie Sich also dieser Herausforderung bewusst und gestehen Sie Sich selbst eine Meinungsänderung zu. Beobachten Sie Ihre eigenen Gedanken regelmäßig, reflektieren Sie gemeinsam mit anderen.

Anregung 3: Rationalität ist nicht alles

Trennen Sie Sich von der Vorstellung, dass Mitarbeiter in allen Situationen rational (re-) agieren. Sie tun das sehr häufig oder sogar überwiegend nicht. Wenn Sie viele Situationen rekapitulieren, in denen Sie sich denken: „Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum er/sie das so tut“, dann haben Sie häufig hier die Erklärung dafür. Menschen sind zur Rationalität in der Lage, machen aber nicht immer Gebrauch davon, uns selbst eingeschlossen.

Anregung 4: Seien Sie skeptisch bei zu einfachen Typisierungen

Es gibt viele unwissenschaftliche Typisierungen, wovon eine Einteilung des Generals Kurt von Hammerstein-Equord seiner Offiziere in vier Gruppen besonders einfach ist. Er ging davon aus, dass es entweder kluge oder dumme sowie entweder fleißige oder faule Offiziere gibt und dass dabei zwei dieser Eigenschaften (aus jedem Eigenschaftenpaar eine) zusammentreffen. Aus den daraus entstehenden vier Kombinationsmöglichkeiten ergeben sich vier Offizierstypen, die eine unterschiedliche Art von Führung benötigen.

Verdächtig sind auch folgende stereotypen Haltungen, vor denen z.B. auch Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker warnt:

  • „Motivation geht in erster Linie über Geld. Mehr Gehalt führt zu mehr Leistung!“
  • „Frauen/Männer sind bessere Führungskräfte!“
  • „Ältere Mitarbeiter sind nicht mehr lernfähig und deshalb nicht entwickelbar.“

Anregung 5: Ersetzen Sie Glauben durch Wissen

Überprüfen Sie die Bilder, die Sie von Ihren Mitarbeitern haben, durch Fragen und Gespräche. Damit ersetzen Sie nicht nur Annahmen durch Wissen über Ihre Mitarbeiter, sondern erhöhen nebenbei auch noch die Nähe zu den Menschen, was in der Führung in jedem Fall dienlich ist.

Bedeutung für unser Beratungsgeschäft

In unserer Beratung Esteamacon stellt sich natürlich die Frage, wo und wie hier das Benediktinische zum Tragen kommt. Unsere Differenzierung liegt nicht im „Was wir tun“, sondern darin, „Wie wir mit Klienten arbeiten“. Konkret äußert sich das darin, dass wir uns auch selbst an unseren 10 (An-)Gebote für benediktinisch geprägtes Führen orientieren, und das erste heißt eben: Entwickle und nutze ein positives Menschenbild.

Ein positives Menschenbild zu haben ist also keine selbstbetrügerische Wahrnehmung der Realität durch eine rosarote Brille, sondern eine humanistische, liebevolle Gestaltung einer besseren Zukunft.

Wie man sieht, sind die alten Regeln bei einer Übersetzung in eine aktuelle Welt und ihren Sprachraum heute so aktuell wie nie und eine zukunftsgerichtete Orientierung für eine Gesellschaft, in der wir gerne leben wollen.

Eva-Maria Schmalzl

Consultant bei [bu:st] group GmbH

8 Monate

Auch in der Führung wundervoll, wenn die eigene Führungskraft Potenziale in einem sieht, zu denen man sich weiterentwickelt, ohne diese selbst erwartet zu haben. :-)

Bernhard Dr. Schmalzl

Gründer Esteamacon GmbH - Strategieberatung mit Seele

8 Monate

Oft schwer, häufig erfreulich, immer wertvoll

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