"Guten Tag statt Mahlzeit"
Gregor Fauma / Goldegg Verlag

"Guten Tag statt Mahlzeit"

Die Biologie des Grüßens

Jedes Unternehmen entwickelt seine eigene Kultur. Das Grüßen liefert hier einen wesentlichen Beitrag, da es speziell in unseren Kulturkreisen ein Indikator für Status und Rang ist.

So gilt, möchte man den meisten Etikette-Knigges Glauben schenken, die Regel, dass der Niederrangige dem Höherrangigen mit seinem „Guten Morgen“ zuvorkommen muss. Das wurde bei SIEMENS sogar einmal schriftlich festgehalten: Dort wurden Grußpflichten und Grußberechtigungen verteilt, samt den Tageszeiten entsprechenden Grußformeln. An die hatte man sich tunlichst zu halten, samt der Ausnahme, zwischen 11 und 14 Uhr auf der Toilette auf das sich eigentlich gehörende „Mahlzeit“ zu verzichten und durch einen normalen Vormittagsgruß „Guten Tag“ zu ersetzen. War das richtig? Was meint die Biologie dazu?

In diesem Zusammenhang ist es spannend, dass das Grüßen aus Biologensicht genau umgekehrt stattfindet. Es sollte der Höherrangige sein, der die Hand zum Gruß anbietet. Im Hintergrund läuft hier ein evolutionäres Programm ab, jenes der beobachteten Kooperationsbereitschaft vor Dritten! Die wesentliche Eigenschaft einer Führungskraft unter Menschen und anderen Tieren ist es, für Frieden und Ruhe im Team zu sorgen, etwaigen Streit zu schlichten und den Individuen ihre Position und ihren Rang in der Gruppe noch einmal zu verdeutlichen. Eine gute Führungskraft ist folglich in erster Linie der erste Diener seiner Mannschaft. Und dies lässt sich am einfachsten mit dem Zuvorkommen beim Grüßen signalisieren – einem freundlichen Zeichen, das Kooperationsbereitschaft signalisiert.

Wenn eine Führungskraft ein Team hinter eine Idee bekommen möchte, so muss sie das Team zum Kooperieren bringen. Das geht am besten, indem man Tit-for-tat spielt, ein Spieltheorem von Anatol Rapoport, einem Professor für mathematische Biologie in Michigan, später auch Direktor des IHS in Wien (1980-83). Robert Axelrod zeigte 1980/81, dass dessen Strategie Tit-for-tat Kooperation unter eigentlich egoistischen Individuen entstehen lassen kann. Dazu bietet man im ersten Zug Kooperation an und spiegelt in Folge die Antworten des Mitspielers. Arroganz bewirkt Arroganz, Freundlichkeit Freundlichkeit, Nicht-Kooperieren wird sofort bestraft durch ebenso Nicht-Kooperieren. Vorausgesetzt ist stets das nicht absehbare Ende der iterativen Interaktion.

Wie affig wir Menschen immer noch sind, zeigt aber auch die Tatsache, dass so richtige Alphas wie Vorstandsvorsitzende oder Unternehmenseigentümer in Situationen, in denen sie eigentlich mit dem Grüßen zuvorkommen sollten, diesen Gruß an Niederrangige delegieren! Wer vor anderen eine Rede hält, präsentiert oder eine Presseerklärung vorträgt, beginnt in der Regel mit einer Begrüßung der Anwesenden. Wer dieses freundliche Signal jedoch nicht selbst setzen möchte, es unter seinem Wert empfindet, delegiert die Begrüßung an eine Moderation, um dann in Folge grußlos zu übernehmen. Auch hier wieder, es geht um den Status und dessen Demonstration. Es soll kein Zweifel daran bestehen, wer hier die Chefin, der Chef ist.

Grotesk wird das Spiel des Grüßens nach Rang bei Veranstaltungen, wo viele Funktionäre unterschiedlichen Ranges zusammenkommen. Als Reden-Coach und Moderatorenberater wurde ich nicht nur einmal mit der Frage konfrontiert, wie man die Begrüßungen am besten im Rahmen der Veranstaltung verpacke. Üblich wäre, zuerst den Präsidenten zu begrüßen, dann die beiden Landesräte (die Frau zuerst), dann die vier anwesenden Gemeinderäte der weit entfernten Gemeinde, dann jene der gastgebenden Gemeinde, natürlich auch die Funktionärinnen und Funktionäre der Landwirtschaftskammer, streng nach Rang, und dann die Veranstalter, die Helferleins und zuletzt, wenn überhaupt, die Vertreterinnen und Vertreter des politischen Mitbewerbs. Dauer? Gut und gerne zwanzig Minuten – der Wechsel der Grußformeln unterliegt auch hier keinem Zufall, auf Applaus muss gewartet werden, manche Begrüßten möchten sich auch erheben und zeigen …

Ob evolutionstheoretisch, spieltheoretisch oder einfach induktiv aus dem Erlebten hergeleitet: Das Grüßen ist den Menschen zu wichtig, als dass es nicht Regeln und Normen unterliegen würde.

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