"Er ist ein netter, lieber Junge, aber lieber in die Hauptschule mit ihm."
Von Ahmad Hachicho, Recruitment Manager bei Teach For Austria
Es ist der letzte Montag im Mai und ich bin am Nachmittag an meiner Volksschule. Das bin ich nie. Es hallt jeder Schritt und die Schule fühlt sich verdächtig ruhig an. Nach ganzen vier Jahren an diesem Ort habe ich dieses Gefühl zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal. Denn in einem Monat bekomme ich mein Abschlusszeugnis. Und das ist das Ticket in das nächste Kapitel meines Lebens.
Mein Nachmittagsbesuch dient genau dem Zweck des Übertritts. Es ist nämlich der letzte Elternabend mit Einzelgesprächen. Mein Schicksal für die kommenden Jahre, genauer gesagt für meine Zukunft, wird an diesem Montagnachmittag versiegelt. Nach all den Gesprächen mit der Direktorin, der Werklehrerin und der pädagogischen Assistentin ist das Resultat einheitlich: Er ist ein netter, lieber Junge, aber lieber in die Hauptschule mit ihm. Sein Deutsch ist noch nicht gut genug. Ich weiß, Sie wollen das Gymnasium, aber wenn er in der Hauptschule gut ist, dann kann er ja immer noch wechseln.
Ich kann mich erinnern wie mein Vater geduldig und still zugehört und jedes Mal genickt hat, aber nach den Gesprächen immer meinte: Das Gymnasium wird es sein. Dabei weiß ich gar nicht, ob er das nur zu sich selbst gesagt hat oder mir damit etwas vermitteln wollte. Wieso das laut meinem Vater für mich so wichtig hätte sein sollen, war mir damals nicht klar, wie denn auch, ich war vollkommen abhängig von den Entscheidungen der fremden Erwachsenen, die meinen Eltern und mir immer sagten, wie ich mich zu verhalten habe und was ich tun und lassen soll. Ich kann mich jedoch erinnern, welche letzten Wörter meine Klassenlehrerin meinem Vater im Gespräch mitgegeben hat: Ein Schreiben für das Gymnasium kriegen Sie von mir. Er wird es schwer haben. Er muss daran arbeiten und dann klappt es bestimmt. Und beim letzten Satz hat sie mich angeschaut und seelenruhig angelächelt. Der Name dieser Heldin ist Elisabeth Kulla.
Ich habe im Laufe meiner Schulzeit noch einige weitere Held*innen getroffen: Gertrude Schwarz, Gerald Wolfauer, Kathrin Vogtenhuber und Christian More. Das sind Menschen, die mich als Schüler wahrgenommen, mir in den richtigen Momenten Zuspruch und Motivation geschenkt und die an mich geglaubt haben. Während meiner Schulzeit war ich jedoch ahnungslos. Ich hatte keinen Plan wer mir gegenüber wohlwollend gestimmt war und wer mich eher an meiner Entfaltung bewusst oder unbewusst hindern wollte.
Erkannt habe ich das exakt 18 Jahre später… und das, als ich vor meinem Dienstantritt bei Teach For Austria stand. Ich habe erkannt, dass es alles andere als selbstverständlich war, …
… dass ich ans Gymnasium durfte,
… dass ich Klassenbester der 12. Schulstufe sein durfte,
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… dass ich studieren durfte, und
… dass ich nun selbstbestimmt meinen eigenen Weg gehen, einen Erfolg nach dem anderen ernten und aus jeder Niederlage lernen darf.
Denn erst die Aufnahme in die Organisation Teach For Austria hat mir den Einblick gegeben, welch‘ miserable Position meine Eltern und ich im Bildungssystem Österreichs einnehmen. Denn meine Geschwister hatten mein Glück beispielsweise nicht. Meine jüngere Schwester durfte ungerechtfertigter Weise die Deutsch-Matura mehrmals wiederholen. Ganz zu schweigen von den Erfahrungen, die mein jüngerer Bruder erdulden durfte. Das macht etwas mit einem. Man beginnt zu zweifeln. Wer ist denn schuld daran? Externalisieren möchte man ja schließlich nicht. Die eigenen Kinder und Geschwister gänzlich für das Scheitern verantwortlich zu machen noch weniger. Doch in diesem Fall blicke ich zurück auf diese Erfahrungen und bin dankbar, dass unsere Eltern stets hinter uns standen und stehen werden. Dankbar dafür, dass wir als Kinder einer sozioökonomisch schwach aufgestellten Familie dennoch in den Genuss höherer Bildung kommen durften.
Vor allem bin ich dankbar dafür, Teil einer Bewegung zu sein, die eine Änderung und einen Systemwandel herbeiführen möchte. Als Recruitment Manager bei Teach For Austria übernehme ich die Verantwortung, Fellows zu rekrutieren.
Fellows, die nur eine Mission vor Augen haben: Die Vision 2050. Jedes Kind hat die Chance auf ein gutes Leben – egal wie viel Geld und Bildung seine Eltern haben.
Fellows, die für die Kinder und Schüler*innen Held*innen sind. Denn, wie mir vor inzwischen 20 Jahren meine Lehrerin demonstrierte, braucht es oftmals nur für einen kurzen Augenblick, einen einzigen Menschen, der an einen glaubt. Denn dieser kurze Augenblick kann Wunder bewirken. Wunder, die ich dank meiner Lehrerin, tagtäglich erleben darf.
Und dafür bin ich dankbar. Sehr dankbar.
Founder, Chairman of the Board at Teach For Austria
2 JahreDanke fürs Teilen!
Experte für Veränderungsprozesse | Mit kleinen Veränderungen auf exponentiell effizienten Ergebnissen steuern | Leadership for Change | Entrepreneurship | Pitching | Purpose | Trainer | Speaker | Coach | Berater
2 JahreDanke für die Möglichkeit meine Erfahrungen teilen zu können! 💚 Das ist eine Einladung an alle: Ich bin für einen Austausch stets offen. Egal ob Interesse am Fellowprogramm besteht, oder es einfach ein Austausch von Geschichten ist. Um die Realitäten anderer Menschen zu verstehen, reicht es nicht sich Wissen ÜBER sie anzueignen. Es bedarf einem direkten Austausch, deswegen: bei Fragen über mich und meinen Erfahrungen, kann ich euch hoffentlich die passenden Antworten liefern. 😇 Don't be shy, just ask!
Student Assisant at Tagestierklinik Groß-Enzersdorf
2 JahreDanke, dass du deine Geschichte mit uns teilst Ahmad Hachicho! Es zeigt einmal mehr auf, wie sehr wir Held*innen in unserem Bildungssystem brauchen und Helden wie dich, die diese rekrutieren! 😎
Start-Up Coach | From Vision to Reality | Workshops & Coachings | Incubator Lead | Event- and Project Manager | Community Manager | Passionate about building
2 JahreWow, impactful words Ahmad Hachicho ! Lässt mich gleich an meine Held*innen denken - extrem toll, wie ihr den Schüler*innen durch eure Fellows mehr Möglichkeiten aufzeigt und Unterstützung bietet!