Fußball als Produkt: warum es eine europäische Superliga braucht
Robert Katzki / stocksnap.io

Fußball als Produkt: warum es eine europäische Superliga braucht

Bayern München ist in dieser Saison zum achten Mal in Folge deutscher Meister der Fußball-Bundesliga geworden. Nach der Corona-Pause bisher ungeschlagen, war auch in diesem Jahr an Spannung in der Bundesliga nicht zu denken. Obgleich sich Bayern-Fans über diese Dominanz freuen mögen, offenbart das Ganze ein tiefgreifendes systemisches Problem: Das Produkt “Fußball” funktioniert dann am besten, wenn beide Teams einer Begegnung ein ähnliches (im Idealfall hohes) Leistungsniveau haben. Das aktuelle System hat in seiner Beschaffenheit mit nationalen Ligen und zusätzlichem internationalem Wettbewerb keine nachhaltige Perspektive. Die Produktqualität auf nationaler Ebene leidet maßgeblich. Es braucht deshalb eine europäische Superliga.

Das Produkt “Fußball”

Unternehmen wie Bayern München oder Borussia Dortmund bieten im Kern das “Fußballspiel” als Unterhaltungsprodukt an. Mit einer zentralen Besonderheit: Im Gegensatz zu anderen Unternehmen, kann die Beschaffenheit des Produkts nicht zu 100% kontrolliert werden. 

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Beispiel: Wenn ein Schokoladenhersteller eine neue Schokolade auf den Markt bringt, dann kontrolliert das Unternehmen sowohl die Produktion, als auch Vertrieb und Marketing. Die Qualität des Produkts kann vollständig beeinflusst und kontrolliert werden und die Schokolade schmeckt unabhängig von Zeit und Ort gleich. Lediglich der Geschmack des Konsumenten entscheidet über den Verkaufserfolg.

Das Produkt “Fußballspiel” funktioniert hingegen nur dann, wenn es einen Gegner gibt, gegen den das Spiel ausgetragen werden kann. Eine wöchentlich wiederkehrende TV-Übertragung von Trainingsspielen vom FC Bayern München wäre vermutlich für den Zuschauer wenig erquickend. Es liegt dementsprechend auf der Hand: je attraktiver, spielstärker und ebenbürtiger der Gegner, desto besser das finale Produkt. Erst aus der Relation zu einem anderen Unternehmen entsteht das Produkt für den Konsumenten.

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Je höher Summe der Qualität der einzelnen Vereine, desto besser die Liga. Je geringer der Abstand zwischen der Qualität der einzelnen Vereine, desto mehr spannende Partien.

Wie besonders die Situation ist, verdeutlicht sich am Beispiel des Schokoladenherstellers: Angenommen es gäbe 18 Schokoladenhersteller in Deutschland. Durch eine nationale Verordnung muss sich die Industrie so organisieren, dass jedes Unternehmen mit den jeweils 17 anderen Herstellern je eine Schokolade auf den Markt bringen muss. Die Qualität der Schokolade hängt also nicht mehr ausschließlich von den Fähigkeiten des einzelnen Schokoladenherstellers ab, sondern vielmehr von der Qualität der Kooperation des jeweiligen Hersteller-Paares. Insbesondere für den bis dato besten Hersteller von Schokoladen könnte das Ganze problematisch werden, da er die Produktqualität nicht mehr zu 100% beeinflussen kann.

Der FC Bayern München hat in dieser Saison bisher 33 Spiele in der Bundesliga absolviert, 25 Siege stehen dabei zu Buche. Wie viele Spiele waren davon wirklich spannend? Es besteht in dieser Situation eigentlich ein natürlicher, systemischer Anreiz für den Verein, Wege zu suchen, um gegen bessere Gegner zu spielen. Das Ziel: Steigerung der Produktqualität des Fußballspiels für die eigenen Zuschauer und neutralen Fans. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Stärkere nationale Gegner, oder häufigere Begegnungen mit internationalen Top-Teams.

National: Das Produkt “Fußball” im Liga-Kontext

Da das Produkt “Fußballspiel” nur funktioniert, wenn die Vereine auch entsprechend attraktive Gegner haben, gegen die Spiele ausgetragen werden, gibt es in Deutschland die DFL Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL), die den Spielbetrieb organisiert und auch die Vermarktung übernimmt.

In dieser Woche wurden die TV-Gelder für die Spielzeiten 2021/22 - 2024/25 vergeben und brachten Erlöse von insgesamt 4,4 Milliarden Euro. Auch wenn dieser Wert im Vergleich zur letzten Auktion leicht zurückging, verdeutlicht das finanzielle Volumen durchaus, welche kommerzielle Relevanz das Fußballgeschäft mittlerweile erreicht hat.

Im Gegensatz zu einem einzelnen Verein, kann die DFL als Liga das Produkt “Fußballspiel” umfangreicher kontrollieren. Der Anreiz der DFL müsste es also sein, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Produktqualität der im Rahmen der Liga ausgetragenen Fußballspiele zu erhöhen. Wenn die Vereine auf einem ähnlich hohen Niveau agieren, steigt die Spannung der einzelnen Spiele. 

Der Verteilungsschlüssel der TV-Gelder sorgt jedoch aktuell nicht dafür, dass die Produktqualität (Spannung der einzelnen Spiele, Ausgeglichenheit, etc.) steigt. Ein Großteil der Einnahmen wird gemäß der tabellarischen Platzierung der letzten fünf Spielzeiten vergeben.

Dass ein Verein acht Mal hintereinander Meister wird, spricht aus Produktsicht eher dafür, dass die Liga-Verantwortlichen einen schlechten Job gemacht haben: denn das Produkt “Fußballspiel” hat nicht an Qualität gewonnen, sondern verloren.

Im Zuge der just erfolgten Ausschreibung der TV-Rechte ist auch wieder die Diskussion um den Verteilerschlüssel entbrannt. Zwei Aussagen von Vereinen aus der unteren Tabellenhälfte zeigen auf (natürlich nicht ohne Eigeninteresse), dass die aktuelle Verteilung der TV-Gelder die Produktqualität der Fußballspiele in der Bundesliga nachhaltig schädigt:

  • "Insofern sollte diese neue Entwicklung auch ein Anlass sein, im Sinne des Wettbewerbs in der Bundesliga über eine fairere Verteilung der Medienerlöse zu diskutieren." (Lehmann, 1. FSV Mainz 05)
  • "Wir sprechen seit Jahren davon, dass die Schere zwischen den Vereinen immer weiter auseinandergeht, unternehmen aber nichts dagegen" (Röttgermann, Fortuna Düsseldorf)

Vertreter von Bayern München und Borussia Dortmund sehen dies naturgemäß anders:

  • "In Deutschland gibt es eine sehr solidarische, ausgewogene Verteilung der TV-Gelder" (Rummenigge / FC Bayern München) 
  • "Ich bin der Meinung, dass der Status quo richtig ist. Wenn man versucht, die Zugpferde der Liga zu schwächen, dann schwächt man die ganze Liga" (Watzke / Borussia Dortmund)

Warum kann die DFL hier als als Produktverantwortliche also keinen kohärenten Ansatz präsentieren, um die Attraktivität der Liga durch eine sinnvolle Verteilung der TV-Gelder zu steigern? 

Das Produkt “Fußball” international / europäisch

Mit Bayern München und Borussia Dortmund nahmen zwei deutsche Teams in den letzten Jahren mit großer Regelmäßigkeit an der UEFA Champions League teil, einem Wettbewerb der jeweils besten Mannschaften der europäischen Top-Ligen.

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Eine Liga, ausschließlich mit Top-Vereinen, kann selbstverständlich ein besseres Produkt (höheres Niveau, geringer Qualitätsunterschied der Teams) bieten.

Naturgemäß ist das Produkt “Fußball” auf dieser länderübergreifenden Ebene besser, folglich auch die damit verbundenen TV-Einnahmen für die teilnehmenden Vereine. Für sie entsteht so eine Zwangsläufigkeit der internationalen Teilnahme, weil ansonsten ein offensichtliche “Produktverbesserung” nicht durchgeführt werden kann. Der Mechanismus ist klar: Internationaler Wettbewerb, mehr TV-Gelder, besseres Team, höhere Chance auf Wiederqualifikation für den internationalen Wettbewerb, etc.

Zurück zur Schokoladenhersteller-Analogie: Wenn wir national alle 18 Schokoladenhersteller zwingen, mit den jeweils 17 anderen Herstellern eine Schokolade zu produzieren, kann kein Hersteller mehr über die Qualität der Schokolade allein bestimmen. Wenn es aber in dieser Gruppe den besten Schokoladenherstellern erlaubt wird, international mit den jeweils besten Schokoladenherstellern ebenfalls eine Schokolade auf den Markt zu bringen, dann wird die resultierende Schokoladenqualität zwar auch schwankend sein. Aber wahrscheinlich auf höherem Niveau. Um dem Endkonsumenten zumindest die negativen Ausreißer zu ersparen, besteht ein deutlicher Anreiz für die nationalen Top-Schokoladenhersteller, nur noch in Kooperation mit anderen internationalen Schokoladenherstellern zu produzieren. Gleichzeitig wird auch ein Konsument, der sehr hochwertige Schokolade wertschätzt, eher diese Schokoladen präferieren, was wiederum dazu beiträgt dass die international kooperierenden Schokoladenhersteller höhere Erlöse erzielen.

Im Fußball ermöglicht es die höhere Produktqualität der “Champions League” teilnehmenden Teams signifikante zusätzliche Einnahmen zu generieren, welche gleichzeitig die nationale Wettbewerbsfähigkeit überdurchschnittlich steigern.

Eine Verteilung der nationalen TV-Gelder kann in diesem Kontext nur noch erschwert zu einem attraktiven nationalen Ligabetrieb beitragen (Relation von TV-Geldern international vs. TV-Gelder national). Gleichzeitig entsteht eine Dynamik, in der die international agierenden Vereine den nationalen Wettbewerb nur noch als “notwendiges Übel” betrachten. 

Aus einer Produktlogik heraus gesprochen hat jeder Verein das ausschließliche Interesse, sich mit den besten Vereinen zu messen, um die Produktqualität zu steigern. In dem Moment, wo ein nationaler Verteilungsmechanismus versuchen würde, den nationalen Wettbewerb zu fördern, würde dies den Interessen der aktuellen Top-Vereine, auf internationaler Ebene ihr Produkt zu verbessern, widersprechen.

Durch die Präsenz einer internationalen Liga hat also gleichsam auch die DFL nicht mehr 100% Kontrolle über Produkt. 

Denn - alleinstehend - wäre ihr Ziel wohl die Herstellung größtmöglicher Konkurrenz, um spannende Spiele für den Zuschauer zu generieren. Ein Mechanismus der dies in aller Schärfe umsetzen würde, wäre die logische Konsequenz: je schlechter die Platzierung in der Saison, desto mehr TV-Gelder im Anschluss. 

Dies ist jedoch nicht umsetzbar, da die hiervon negativ betroffenen Top-Teams aufgrund von einer bereits existierenden Abhängigkeit von internationalen TV-Geldern kein Interesse an nationaler Konkurrenz haben. Das reale Drohpotential in dieser Situation: Keine weitere Teilnahme an der nationalen Liga. Wie real dieses Szenario ist, zeigt dass man auf DFL-Ebene sehenden Auges einen schleichenden Rückgang der Produktqualität akzeptiert.

Das Produkt “Fußball” und die Zukunft

Unternehmen, welche die Möglichkeit dazu haben, ihr Produkt zu verbessern und absehbar die Erlös- und Gewinnsituation zu verbessern, werden dies tun. Es wäre aus unternehmerischer Sicht gar fahrlässig diese Möglichkeiten nicht wahrzunehmen. 

Die Natur des Produkts “Fußballspiel” ermöglicht eine maßgebliche Produktverbesserung nur, sofern bessere (ebenbürtige) Gegner für regelmäßige Begegnungen gefunden werden. Was passiert also in dieser Situation, in der die DFL (wie oben aufgezeigt) nicht mehr über die notwendigen Mechanismen zur Stärkung des nationalen Wettbewerbs verfügt?

Der Status Quo zementiert sich, auf nationaler Ebene gibt es einen schleichenden Rückgang der Produktqualität (wie in den letzten Jahren bereits geschehen). Die Liga hat kein schlagkräftiges Instrumentarium, um diesem entgegen zu wirken. Sportlicher Wettbewerb findet lediglich auf europäischer Ebene statt, auch hier werden jedoch stets überwiegend dieselben Teams vertreten sein.

In dem Moment wo sich die Bedeutungslosigkeit der nationalen Ligen (= stets gleiche Meister, lediglich Qualifikationsvehikel für den sportlichen relevanten internationalen Wettbewerb) manifestiert stellt sich aus Produktsicht (in diesem Fall: Perspektive der DFL) die Frage: Warum sollte ein Produkt, über welches ich nicht die 100%ige Kontrolle habe und bei dem ich einen schleichenden Rückgang der Produktqualität beobachte, weiter am Markt bleiben?

Faktisch hat der “freie Markt” eigentlich bereits geregelt, dass die wirkliche sportliche und wirtschaftlich relevante Konkurrenz in der Champions League vonstatten geht. Abseits vom Selbsterhaltungstrieb etablierter Institutionen und etwas Fußballromantik gibt es also keinen Grund, das System in seiner aktuellen, dysfunktionalen Art und Weise aufrechtzuerhalten.

Besser wäre es, die aktuelle kapitalistische Dynamik des europäischen Fußballs in ihrer Realität zu erkennen und zu akzeptieren und daraus Maßnahmen abzuleiten, die ein schlagkräftiges Produkt sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene garantieren.

Dazu gibt es einen Weg: Wenn sich eine europäische Liga (bspw. eine Super-Liga, analog zur Champions League) dauerhaft von den nationalen Ligen entkoppelt, könnte der Teufelskreis gestoppt werden. Denn eine solche Liga könnte interne Mechanismen etablieren, die für hinreichend Wettbewerb sorgen.

Zudem strahlen die höheren Einnahmen der dort vertretenen Vereine nicht negativ auf die Wettbewerbsdynamik auf nationaler Ebene ab (da diese Vereine dort nicht mehr mitspielen). 

Die verbleibenden nationalen Vereine würden fortan nur noch auf nationaler Ebene antreten und könnten ihrerseits ebenfalls den Fokus auf Wettbewerbsstärkung in der Liga legen. Die Zielgruppe ist in diesem Moment nicht der Fan, der den technisch und taktisch brillianten Hochglanzfußball sucht, sondern ein Fan der den sportlichen Wettstreit als solchen ohne großen Zirkus attraktiv findet.

Auch hier eine (holprige) Schokoladenhersteller-Analogie: die nationalen Schokoladenhersteller sollten sich in dem skizzierten Szenario auf die Optimierung ihrer Ko-Produktionsprozesse konzentrieren, um hier in einem stark kooperativen Ansatz möglichst gute Produkte für den nationalen Markt herauszubringen. Die (ausgewählten) Top-Produzenten, welche internationale Ambitionen haben und diese mit anderen europäischen Schokoladenherstellern verfolgen, könnten dies ebenfalls tun, aber gleichsam eine andere (möglicherweise finanziell besser ausgestattete) Zielgruppe bedienen.

Die Tatsache, dass ein zutiefst kapitalistisch geprägtes System wie die USA ihren Profisport in entkoppelten “Profiligen” (NBA, NFL, NHL, etc.) organisiert, sollte hier ein Fingerzeig sein. Das System garantiert dort Wettbewerb und (weitgehende) Chancengleichheit und somit eine hohe Produktqualität. In den 90er Jahren waren die Chicago Bulls mit Michael Jordan, Scottie Pippen und Denis Rodman im Basketball das beherrschende Team. Haben sie in dieser Zeit den Ligatitel acht Mal in Folge gewonnen, wie jüngst der FC Bayern München in der Bundesliga? Nein, mehr als drei Titel in Folge schaffte das Team nicht.

Gelungenes Debüt, Niels! Interessante Sichtweise und Analogie.

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