Es wird in letzter Zeit viel über Führung gesprochen. Deutschland solle mehr Führung in der Welt übernehmen. Wir brauchten mehr weibliche Führungskräfte. Auch in diesem Podcast reden wir viel über Führung. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Was macht gute Führung aus? Wie ändert sie sich im Moment? Gemeinsam haben Ute Böhringer-Mai und Marcus Schaper ihre Gedanken niedergeschrieben, der Versuch einer Definition in dieser begleitenden Kolumne.
Die Ebenen der Führung
Führen, also das zweck- und zielgerichtete Denken und Handeln, kann auf verschiedenen Ebenen wirksam werden: für mich selbst (leading self), für andere wie das eigene Team oder die eigene Firma (leading others), oder für größere Gruppen von Menschen, die möglicherweise nicht bekannt sind und indirekt geführt werden. Dieses können größere Unternehmen sein, ganze Industrien, Länder oder sogar die Welt, z.B. wenn es um Impulse zum Klimaschutz geht (leading the company, the industry, the country, the world). Auf jeder dieser Ebenen bedeutet Führung etwas anderes, erfordert anderes Denken, andere Strategien, eine andere Art der Zusammenarbeit.
Was bedeutet gute Führung?
Je nach Ebene, in der Führung wirksam werden soll, bedeutet es etwas anderes:
- Für einen selbst (leading self): Im Einklang mit seinen eigenen Werten, Bedürfnissen, Vorstellungen, Kenntnissen und Kompetenzen arbeiten zu können und damit wirksam und glücklich zu sein. Dafür bedarf es des aktiven Hineinhorchens in sich selbst, ein großes Maß an Selbstreflexion, um zu erkennen, welche Bedürfnisse vorhanden sind und wie sie erfüllt werden können
- Für die Mitarbeiter (leading others): Menschenorientierte Führung bedeutet, den anderen Wertschätzung und auch Orientierung zu geben, vor allem durch aktives Zuhören, Motivation, Ermutigung, Befähigung, Vertrauensaufbau, Möglichkeiten der persönliche Weiterentwicklung, Anerkennung der Leistung, der Arbeitsergebnisse, des Beitrages. Es gilt, Stärken zu fördern, ein Team aufzubauen und Talente zu entwickeln. Die Führungskraft setzt den Rahmen, ermöglicht selbstbestimmtes Arbeiten und schenkt Vertrauen. Sie gibt eine Vision vor, unterstützt und inspiriert. Sie ist Ansprechparter:in, Vorbild, Sparringspartner:in und Coach:in für das Team und die Kolleg:innen gleichermaßen.
- Für das Unternehmen (leading the company/industry/world): Zielerreichung und damit Beitrag zum Erfolg eines Unternehmens, einer Industrie oder Beitrag zu einem globalen Ziel, z.B. den von den Vereinten Nationen definierten Zielen des nachhaltigen Wachstums. Dabei sollte die Zielerreichung eines Unternehmens immer im Einklang mit den übergeordneten Zielen der Industrie oder globalen Zielen stehen.
Wodurch zeichnet sich wirksame Führung aus
Mitunter ist es gar nicht einfach, eine wirksame Führung zu erkennen. Das ist aber wichtig, um sie wertzuschätzen und auch den eigenen Führungsstil immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Auf der Ebene der Unternehmen könnten folgende Indikatoren helfen:
- Begeisternde Unternehmenskultur: mit wie viel Energie kommen Menschen zur Arbeit, wie wertschätzend und unterstützend ist die Zusammenarbeit, v.a. zwischen Abteilungen, wie sprechen Menschen über ihre Arbeit im Unternehmen?
- Gelebte Unternehmenswerte: stehen die Unternehmenswerte nicht nur auf dem Papier; kann man aufgrund der Werte erwünschtes von unerwünschtem Verhalten differenzieren und bemerkt man diesen Unterschied auch im wahrnehmbaren Verhalten der Führungskräfte und der Mitarbeitenden?
- Eine vergleichbar niedrige Fluktuation und ein niedriger Krankenstand im Unternehmen
- Hohe Innovationskraft: gelingt es regelmäßig und kommerziell erfolgreich, neue Produktvarianten auf den Markt zu bringen, neue Produktklassen zu etablieren oder gar neue Geschäftsfelder für das Unternehmen zu entwickeln?
- Hohe Produktivität und gute Unternehmensergebnisse: erfüllt oder übererfüllt das Unternehmen die selbst gesteckten Ziele, empfinden die Mitarbeiter ihre Arbeit als wertstiftend und erkennen ihren Beitrag zur Produktivität?
- Positive Bewertungen auf externen Mitarbeiterbewertungs-Plattformen wie z.B. Kununu oder Glass Ceiling
- Funktionierende Mitarbeiterentwicklung: es fällt leicht, intern talentierte Mitarbeiter zu identifizieren und weiterzuentwickeln oder extern neue Mitarbeiter zu finden, das Onboarding gibt Neueinstellungen schnell Orientierung und ein gutes Gemeinschaftsgefühl. Die Weiterbildung wird als zielgerichtet und von den Mitarbeitenden als wertvoll angesehen. Die Trennung von Mitarbeitenden geschieht respektvoll. Was an gutem Offboarding zu erkennen ist, idealerweise mit nahtlosem Übergang in etablierte Alumni-Netzwerke.
In jedem Fall ist es ratsam, die Wirksamkeit von Führung stetig durch Feedback in alle Richtungen zu überprüfen und mit allen Mitarbeitern daran zu arbeiten, sie Schritt für Schritt zu verbessern.
Führung heute und morgen
Führung verändert sich, wird vielfältiger. War es vor 30 Jahren noch ausreichend, inhaltliche Vorgaben zu machen und den Mitarbeitern ab und zu auf die Schulter zu klopfen und einmal im Jahr ein Mitarbeitergespräch durchzuführen, gehört heute viel mehr zu guter Führung, anderes gerät eher in den Hintergrund.
Wo befinden wir uns gerade, was sind die aktuellen Trends? Eine Bestandsaufnahme:
- Führung beginnt heute früher als noch vor zwanzig Jahren, denn Mitarbeitende erhalten heute früher die Chance, in Führung zu gehen
- Führungskräfte aus unterschiedlichen Generationen arbeiten gemeinsam an der Zukunft eines Unternehmens. Die generationenübergreifende Zusammenarbeit und die Nutzung von Talenten aller Altersklassen bringt die besten Ergebnisse
- Diversität und Inklusion sind zunehmend wichtige Elemente von Führung. Dabei bedeutet Diversität, die Zusammensetzung von Teams bewusst vielfältiger zu gestalten, Inklusion ist das aktive Managen dieser Vielfalt zum gegenseitigen Nutzen
- Führung im Tandem (dual leadership), wo sich mehrere Personen eine Führungsposition teilen, ist ein Trend. Auch die Aufteilung von Führungsaufgaben auf mehrere Rollen fällt darunter, wie sie z.B. beim agilen Arbeiten zwischen Scrum Master und Product Owner geschieht
- Führung in Teilzeit wird möglicher und erfordert gleichzeitig neue Fähigkeiten von Führungskräften, wie z. B. sehr gute Delegations- und Eskalationsmechanismen und eine vertrauensorientierte Arbeitsweise
- Ein “Command & Control“ Führungsstil funktioniert nicht mehr. Ein coachender, unterstützender und demokratischer Führungsstil dagegen findet Zustimmung bei der Mehrheit der Mitarbeitenden
- Führung ist auch keine Hierarchiefrage mehr, sondern findet zunehmend in flachen Strukturen oder sogar ganz ohne Hierarchie statt
- Fachliche Führung bleibt wichtig, tritt jedoch gegenüber anderen Dimensionen eher in den Hintergrund. Auch das reine Entscheiden ist weniger wichtig als Führungskraft.
Nichtsdestotrotz gibt es Situationen, die klares und entschlossenes Handeln durch die Führungskraft erfordern, in vielen Situationen ist es jedoch wichtiger, die Mitarbeitenden auf eine transformatorische Reise mitzunehmen. Hier bleibt es wichtig, die Klaviatur verschiedener Führungsstile zu stärken und den jeweils für sich passendsten zu nutzen.
Möchtest Du in Führung gehen?
Anders als früher, als Führungskraft zu werden, Ausdruck und Auszeichnung langjähriger guter Leistung darstellte, und zwar unabhängig von der Eignung zur Mitarbeiterführung, ist es heute wichtig, vor allem die innere Haltung zur Führung und die Eignung als Führungskraft zu prüfen.
Dabei hilft es, sich ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen:
- Warum willst Du in Führung gehen? Was motiviert Dich, was sind Deine Beweggründe?
- Ist es Dein eigener Wunsch oder wird eine Position an Dich herangetragen?
- Was willst Du als Führungskraft bewirken, gestalten, initiieren?
- Willst Du mit Menschen arbeiten oder Dich lieber fachspezifisch weiterentwickeln; in letzterem Fall ist ggf. eine Expertenlaufbahn sinnvoller?
Dann stellt sich die Frage, was Du als Führungskraft benötigst, welche Führungseigenschaften wichtig sind. Hier wieder eine (sicher nicht vollständige) Liste wichtiger Merkmale:
- Schnelle Auffassungsgabe und Interesse an der Branche, der Industrie, des neuen beruflichen Umfelds
- Interesse an der Arbeit mit Menschen: „Man muss Menschen mögen.“ Als Führungskraft macht es Dir Freude, mit Menschen zu arbeiten und diese weiterzuentwickeln
- Menschenkenntnis, d. h. ich kann Stärken und Schwächen von Menschen gut einschätzen; (auch meine eigenen), Empathie und Reflexionsfähigkeit (ich kann eigene und fremde Gefühle vorurteilsfrei lesen und weiß, woher sie stammen),
- Offenheit, d.h. ich kann offen über Probleme sprechen, auch über mich, Motivations- und Inspirationsgabe (ich sehe, dass andere nach Interaktionen mit mir mit mehr Energie an Themen und Projekte herangehen oder neue Ideen entwickeln, ich führe transparent und teile Wissen)
- Fähigkeit, Vertrauen zu gewinnen und anderen vertrauen zu können
- Talente entdecken und nutzen, in anderen wie sich selbst und diese entsprechend fördern und fordern
- Vielfalt im Team aktiv fördern (siehe Thema Inklusion)
- Stärken stärken; offenes wertschätzendes Feedback geben, das die Stärken betont und darlegt, wie sie noch mehr genutzt werden können
- Konfliktfähigkeit, Lösungsorientierung, Werte-Orientierung, die allesamt helfen, in schwierigen Situationen zu vermitteln und Lösungen zu finden
- Unternehmerische Sichtweise, strategische Kompetenzen, Fähigkeit zur Priorisierung und zur Selbstführung
Nun geht es an die Frage, wie Deine Führungsqualitäten sichtbar und nutzbar gemacht werden können. Hier ein paar Ideen (siehe hierzu auch die Kolumne zu Episode 4, “Wie wachse ich als Führungskraft”):
- Schaffe Dir Netzwerke, suche nach Förderern, unterstützenden Vorgesetzte und Verbündeten im Unternehmen und extern
- Nutze kleine Führungsaufgaben, um Deine Fähigkeiten auszuprobieren und erste Führungserfahrungen zu sammeln
- Tausche Dich mit Gleichgesinnten aus, suche Mentoren und Coaches für Deine Entwicklung
- Führe Dich selbst: Entwickle Dich fachlich und persönlich weiter, lass Dich nicht von Misserfolgen entmutigen (Resilienz), sorge für Dich (Arbeitszeiten und Stresslevel) und suche Ausgleich für ein gleichermaßen erfülltes berufliches und privates Leben
- Habe Mut und gehe überschaubare Risiken ein, bewege Dich außerhalb Deiner Komfortzone. Dort findet die meiste Entwicklung statt!
Wie so häufig im Leben, gibt es kein Rezept, wie man gut und sicher Führungskraft wird. Und am Ende gehört auch immer Glück und das richtige Timing dazu.
Dazu kommt, dass nicht jeder Lebensweg geradlinig verläuft. Und dies gilt vor allem auch für Führungswege. Meist sind es gerade die Richtungswechsel und unvorhergesehenen Situationen, die neue Türen aufstoßen und Chancen ermöglichen, zum Beispiel:
- Projekt- vs. Linienführung; meist ist es einfacher, zunächst in Projekten Führungsaufgaben zu übernehmen und dann gesamthaft
- Firmen- und Branchenwechsel helfen manchmal, einen passenderen Job, eine adäquatere Unternehmenskultur, ein besseres Arbeitsumfeld für sich selbst zu finden. Sie erweitern den Horizont und die Erfahrungswerte durch die unterschiedlichen Unternehmenskulturen immens
- Führung ist vielfältig in Bezug auf Arbeitsweisen: angestellt arbeiten, Unternehmen gründen, selbstständig arbeiten, angestellt und selbstständig arbeiten
- Internationale (Berufs)erfahrung hilft, sich interkulturell weiterzubilden, sensibilisiert für Unterschiede und ermöglicht Wissenstransfer über das eigenen Land hinaus.
- Führungserfahrung in unterschiedlichen Bereichen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, auch Führung in ehrenamtlichen Funktionen ermöglicht neue Perspektiven und verbreitert das Wissen- und Erfahrungsspektrum
Die Arbeit als Führungskraft
Als Führungskraft genießt man Sichtbarkeit, ob man will oder nicht und nimmt damit eine Vorbildfunktion ein. Die Führungskraft bietet Orientierung, gibt den Stil und die Art der Zusammenarbeit vor, definiert den Rahmen, die Spielregeln und gibt das Ziel vor. Dadurch ist man automatisch Vorbild und damit in der Verantwortung, sich darüber im Klaren zu sein.
In der täglichen Arbeit bedeutet das einen Wechsel in der Haltung, im Denken und im Handeln. Hier ein paar Effekte, die Führungsarbeit anders machen als Sacharbeit:
- Es ist eine Arbeit mit Menschen, das heißt, sich viel Zeit dafür zu nehmen und dies einzuplanen. Je größer der Verantwortungsbereich einer Führungskraft wird, desto stärker tritt die Führungsleistung in den Vordergrund
- Verantwortung übernehmen, in Zeiten von VUKA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) nicht einfach, jedoch notwendig und wichtiger Bestandteil der Arbeit einer Führungskraft
- Gestaltungsmöglichkeiten erkennen und Gestaltungsauftrag nutzen bzw. erweitern, damit das Team optimal arbeiten kann
- Jederzeit sichtbar einen Beitrag leisten wollen und müssen, um die Unternehmensziele zu erreichen
- Sich immer wieder hinterfragen, eine kontinuierliche Lern- und Veränderungsbereitschaft zeigen; Lernen kann auch in kleinen Dosen und mit teaminternen Experimenten gelingen
- Konflikte gibt es auf allen Ebenen: Zielkonflikte, Prozesskonflikte, Interessenkonflikte. Das ist normal und sollte aktiv von der Führungskraft angegangen werden. Dazu ist ein guter Mix aus Kompromissfähigkeit und Durchsetzungsvermögen gefragt. Manchmal hilft es, sich Allianzen aus Gleichgesinnten anzuschließen, um Ziele zu erreichen, manchmal hilft es auch, etwas Zeit ins Land ziehen zu lassen und teamintern schon einmal Dinge auszuprobieren
- Kalkuliert ins Risiko gehen, Fehler machen und daraus lernen gehört zum täglichen (!) Führungsjob dazu
Frauen in Führung
Dieser Podcast handelt von Female Leadership. Da darf ein Blick auf Frauen in Führung nicht fehlen.
Es ist ein Faktum der heutigen Zeit, dass es immer noch einen niedrigen Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland gibt, obwohl Frauen ein sehr gutes Ausbildungsniveau mit besseren Abschlüssen nachweisen können und auch die Art und Weise der Führung durch Frauen oft mit emotionaler Intelligenz und hoher Menschlichkeit in Verbindung gebracht wird. Bei sich verändernden Rahmenbedingungen mit einem stärkeren Fokus auf den Mensch in der Wirtschaft eine wichtige Führungseigenschaft.
Nachdem jahrelang freiwillige Selbstverpflichtungen nicht den gewünschten Effekt für mehr Frauen in Führung gebracht haben, benötigen wir einen anderen Weg, um die kritische Masse von etwa einem Drittel Frauen in Führungspositionen zu erreichen und in absehbarer Zeit Parität zu erreichen. Daher sind gesetzliche Regelungen für den Wandel wichtig.
Wenngleich Gesetze nicht unsere grundsätzliche Haltung und die vorhandenen Rollenbilder verändern. Es gibt immer noch unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen in Führung, die wir überwinden müssen. Auch die tradierten Rollenbilder, dass Frauen für die Kinder zuständig sind, müssen der Vergangenheit angehören. Hier sind wir alle gefordert, unsere Voreingenommenheit (biases) zu hinterfragen und gemeinsam neue Sichten und Wege zu finden.
Im Sinne einer stärkeren Wirtschaft für alle, die alle Talente nutzt und Chancengerechtigkeit ermöglicht, müssen Männer aktiv Frauen unterstützen, fördern und in Führungspositionen befördern.
Gerade in Zeiten, in denen wir uns eine höhere eigene wirtschaftliche Unabhängigkeit als Land wünschen und gleichzeitig mit vielen Herausforderungen konfrontiert sind, können wir es uns nicht leisten, auf die Hälfte unseres Potenzials in Deutschland zu verzichten.
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1 JahrEs war mir eine Freude, lieber Marcus diese Kolumne für #KulturWandleDich zum Thema #Führung mit Dir gemeinsam zu verfassen.