Gelähmtes Deutschland und die Zäsur von Wolfsburg
Liebe Leserin, lieber Leser,
sprechen wir über Deutschland. Das hat in dieser Woche zum Beispiel Michael Hampe getan, der Philosophie an der ETH Zürich lehrt, aber in Deutschland wohnt. Sein Gastbeitrag stammt also von einem philosophischen Grenzgänger. Zwar seien Zeitdiagnosen, in die sich Philosophen von Adorno bis Foucault immer gerne stürzen, eine heikle Sache, schreibt Hampe. Erst recht, wenn sie sich nicht auf Daten aus der empirischen Sozialforschung stützten, sondern auf die Wahrnehmung von Mentalitäten und Stimmungen. Doch in seiner Alltagserfahrung entstehe ein Bild, in dem vieles zusammenpasse: „Anfang der Zweitausender bin ich noch problemlos mit der Bahn von Freiburg im Breisgau nach Zürich gefahren, wo ich seit über zwanzig Jahren arbeite. Das geht nicht mehr.“
„Wenn Gäste aus anderen europäischen Ländern, den Vereinigten Staaten oder Asien zu Workshops an meine Hochschule kommen, ist Deutschland ein Nadelöhr für sie.“ „Ich höre im Radio, dass mittelständische Unternehmen aufgeben oder nicht mehr weitergeführt werden, durch eine jüngere Generation, weil der bürokratische Aufwand zu groß geworden sei.“ „Es werden Gesetze beschlossen, etwa zum Recht auf einen Kita-Platz, doch es gibt gar nicht genug Mitarbeiter, um dieses Gesetz auch in die Wirklichkeit umzusetzen.“ Auch der übrige Text ist lesenswert.
Was in Deutschland schiefläuft, kann man derzeit auch beim Volkswagen-Konzern in Wolfsburg erkennen. Im Kommentar unseres Wirtschaftskorrespondenten Christian Müßgens heißt es dazu: „In der aktuellen Form ist Volkswagen nicht überlebensfähig. Konzernchef Oliver Blume braucht für die Sanierung jede Hilfe, die er bekommen kann – auch die der Aktionärsfamilien.“ Warum erschrecken diese Zeilen das Land nicht stärker? Denn es gleicht einer historischen Zäsur, was sich jetzt in Wolfsburg abspielt. Die Arbeitnehmervertreter sprechen von einem „Spardiktat“ und rufen zum Kampf auf, aber die Stammmarke hat mehr als 20.000 Mitarbeiter zu viel an Bord. Ein Viertel bis ein Drittel zu viel Kapazität steckt im Fabriknetz.
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Viele Grüße und Ihnen einen schönen Sonntag
Ihr Carsten Knop
People-centric Award winning C-suite Management Consultant, Editor, Writer.
3 MonateHalten wir mal folgendes fest: VW, auch wenn man sich jetzt verwandelt vom Saulus zum Paulus gibt, hat anstatt an Innovationen zu arbeiten lieber alle Energie in den größten Wirtschaftsbetrug der Deutschen Geschichte gesteckt, wie das einige vielleicht formulieren würden. Hätte man all das, was man in, nennen wir es mal, kreatives Motormanagement investiert hat, also Manpower, Ingenieurskunst, Gelder, in Innovation gesteckt, dann stände VW weltweit heute komplett anders da. Was man hier mit einem gewissen Zeitversatz erntet ist die Quittung für die Hybris eines der Welt entrückten Top-Managements. Denn die durch Gerichte verhängten Strafzahlungen sind nicht das Problem, auch vielleicht nicht einmal der Betrug am Kunden (wenn man sich diese drastische Formulierung zu eigen machen möchte), sondern der Selbstbetrug und das damit einhergehende Schwinden der eigenen Relevanz. Oder wie es meine Oma immer gerne formuliert hat: Hochmut kommt vor dem Fall!
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3 MonateLächerlich. Im Herbst werden wir einen VW typischen Konsens bei den Tarifverhandlungen sehen. Jetzt wurden erst mal Extrempositionen kommuniziert, ohne tatsächliche inhaltliche Diskussionswürdige Punkte. Der BR, bei VW = IG Metall, sollte sich mal selbst hinterfragen, er bestimmt seit Jahrzehnten über sein AR Mandat die strat. Ausrichtung des Konzern und zieht sich jetzt aus der daraus resultierenden Verantwartung?
Fachinformationen (digital publishing report); publiziert Bücher+Magazinartikel (SpringerNature) 🪶📚 prolific NF writer (business information, books, magazines), publishing expert
3 MonateVielleicht ist es zu einfach gedacht, aber bei mir ist angekommen: VW hat sich, anstatt den durch die Klimakrise angestoßenen technologischen Wandel zu umarmen, in moralisch völlig entgrenzter Weise an systematischen technischen Fälschungen beteiligt – • zu Lasten der Kunden, die auf "Made in Germany" vertrauten • zu Lasten des Weltklimas Dass diese auch international deutlich gewordenen Fehler nun VWs Wettbewerbsfähigkeit behindern und vielleicht Zehntausende Mitarbeitende nun E-Autos bauen könnten, anstatt um ihre Arbeitsplätze kämpfen zu müssen – – niemandem von ihnen dürfte dies Spaß machen – – DAS ist das Deprimierende an der deutschen "Verfassung".