Was haben Fotografieren und Bogenschießen gemeinsam? Und, warum sollte mich das interessieren?
Damit du deine Kamera verstehst, muss sie ein Teil deines Armes und die Fortsetzung deiner Gedanken werden.
Bogenschießen und Fotografieren: Gemeinsamkeit? Schießen? Beide Aktivitäten schießen mit einem Ziel und einer Vision vor Augen. Beide haben eine begrenzte Ziel-Fläche, worin der entscheidende Moment festgehalten wird. Die Kamera ist die Verlängerung des Arms, der Bogen ist die Verlängerung des Arms. „Damit du deinen Bogen verstehst, muss er ein Teil deines Armes und die Fortsetzung deiner Gedanken werden.“ So beschreibt es der bekannte Autor Paulo Coelho. Ersetze „Bogen“ durch „Kamera“ und es gilt das gleiche für das Fotografieren.
Warum Bogenschießen? Und ich beziehe mich hier auf Japanisches Bogenschießen aufgrund der Philosophie dahinter. Was soll ich jetzt mit diesem Vergleich, denkst du vielleicht? Hilft mir das weiter? Das Bogenschießen kann auch durch andere Aktivitäten ersetzt werden. Worum es geht, beim Fotografieren, Bogenschießen, im Alltag und bei der Arbeit ist die Herangehensweise und das Denken. Die Autorin dieses Artikels hat viele Jahre Japanisches Bogenschießen (Kyudo) praktiziert, so kam dieser Vergleich in den Sinn, da Bogenschießen sehr viel gemein hat mit der Fotografie. Und nicht nur mit der Fotografie, denn die Lehren lassen sich auf jegliche andere Bereiche übertragen. Der Ablauf, die Zielausrichtung, das Eins-sein und Loslassen, und vor allem die Geisteshaltung dahinter lassen sich auf viele, wenn nicht sämtliche Bereiche des Lebens, übertragen.
Und „wenn man sein Ziel erreicht hat, muss man neu anfangen und dabei immer das nutzen, was man auf dem Weg gelernt hat“, schreibt Paulo Coelho in „Der Weg des Bogens“.
Übung und Intuition
Vor ein paar Tagen fragte bei einem Glas Wein ein Bekannter den Fotografen John McDermott, „wie schaffst du es, das Licht in deinen Bildern SO toll zu erfassen? Irgendwie bekomme ich das nicht hin bei meinen Fotos. Was ist dein Geheimnis?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete John. „Ich weiß es nicht“ – eine Antwort, die schon viele gegeben haben, die in ihrer ausgewählten Disziplin richtig gut sind und nach ihrem Rezept gefragt wurden. Sie haben so lange geübt, immer weiter gemacht, auch wenn es schief ging, Hürden auf dem Weg überwunden, bis ihnen ihr Sport, ihre Fotografie, ihr Handwerk, ihre Tätigkeit in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die Griffe stimmen, das Ziel ist gewählt, der Ablauf läuft unbewusst ab. Und ohne nachzudenken, passiert es dann einfach. Schuss. Und das Ergebnis besticht.
„Ich habe so viel fotografiert, ständig und überall, und jedes Bild trug zur Erweiterung meiner Erfahrungen bei. Ich habe immer wieder ausprobiert und aus Fehlern gelernt. Mittlerweile denke ich, dass es Intuition ist und dass Fotografieren ein Teil meiner Selbst geworden ist, ich kann gar nicht ohne“, versuchte John dem Bekannten sein „Geheimnis“ weiter zu erklären. Das Geheimnis, das Licht „so“ in den Fotos hinzukriegen, liegt vermutlich darin, EINS zu sein mit dem Motiv, deiner Kamera, deiner inneren Haltung, dem vielen Üben. Am Ende verschmilzt alles zu einem Moment. Und der Schuss passiert dann automatisch. Bei der Kamera und beim Bogen. „Der Bogenschütze wird erst lernen, wie wichtig der Bogen, die Haltung, die Sehne und das Ziel sind, nachdem er seine Gesten tausendmal wiederholt hat, ohne Angst, etwas falsch zu machen. (...) Nur durch Übung können Intuition und Bewegung vervollkommnet werden.“
Scheitern und weiter schießen
Dazu fällt auch der bekannte Spruch des berühmten Basketballspielers Michael Jordan ein:
“I've missed more than 9000 shots in my career. I've lost almost 300 games. 26 times, I've been trusted to take the game winning shot and missed. I've failed over and over and over again in my life. And that is why I succeed.”
Das kann man in allen Bereichen sehen, wo du Menschen beobachtest, die in ihrer Tätigkeit (Sport, Fotografie, Handwerk, sonstige Arbeit) eine klasse Leistung vollführen. Basketball und Spieler werden eins. Tanz und Tänzer werden ein und dasselbe. Cristiano Ronaldo und der Ball scheinen magisch miteinander verbunden. Die Arbeit und der Ausführende scheinen im Flow zu sein. Das Bild des Fotografen trifft dich ins Herz.
Wie kommen wir dahin? Und, warum sollte mich das interessieren?
Ist es nicht befriedigend und motivierend, tolle Ergebnisse (Bildergebnisse, Arbeitsergebnisse, sportliche Leistungen) zu erzielen oder sich mit seiner Tätigkeit oder Aktivität erfüllt und „im flow“ (wie es so schön heißt) zu fühlen? Sich zu ärgern oder steckenzubleiben gehört zum Weg dazu, aber mit der richtigen Geisteshaltung und ständigem Üben nähern wir uns stetig dem Ziel.
Geisteshaltung
Was können wir für die Fotografie mitnehmen? Das Japanische Bogenschießen lehrt uns, dass ein „guter Schütze mit einem mittelstarken Bogen weiter schießt als ein geistloser Schütze mit dem stärksten Bogen. Es liegt also nicht am Bogen, sondern an der ‚Geistesgegenwart’, an der Lebendigkeit und Wachheit, mit der der Schütze schießt“ schreibt der Autor Eugen Herrigel. Wenn es mit den Fotos manchmal noch nicht so fluppt, dann liegt das nicht an der Kamera, sondern am Auge, den Gedanken und der Wachheit des Fotografen.
Und daran können wir arbeiten. Jeden Tag können wir an uns selbst, an unserem Mindset, an unseren Gedanken arbeiten. Wie auch Michael Jordan es getan hat, denn in Highschool wurde er aus dem Basketball Team rausgenommen, da er nicht gut genug war. Der später zum Basketball Star avancierte Spieler beschreibt, dass seine Mutter ihm den Glauben eingepflanzt hat, dass die Fähigkeit etwas zu erreichen, mit deinen Gedanken, deiner Geisteshaltung anfängt. “My mother planted the seed that I base my life on, and that is the belief that the ability to achieve starts in your mind.”
Damit du deine Kamera verstehst, muss sie ein Teil deines Armes und die Fortsetzung deiner Gedanken werden.
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Claudia Brose ist Co-Founder und Inhaberin der IF/Academy InspirationFotografie. www.if-academy.net --- Sie beschäftigt sich mit dem Thema: Wie können wir unsere Aufmerksamkeit und bewusste Wahrnehmung trainieren?