Hochmut tut auch selten gut
Anfang letzter Woche, am 25. März, lud Apple ein zur ersten Keynote des Jahres 2019 in das Steve Jobs Theater in Cupertino. Ich mag den Spirit dieser Veranstaltungen, auf denen schon so häufig Innovationen das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben, die unseren Alltag teilweise grundlegend und nachhaltig verändert haben. Und so sind die Livestreams ihrer Keynotes seit vielen Jahren quasi Pflichtveranstaltung für einen ausgewiesenen Apple Fan wie mich, der früher auch schon halbe Nächte vor dem Apple Store verbracht hat. Dass ich den Livestream dieses Mal aus zeitlichen Gründen verpasst habe und ihn mir erst am Tag darauf ansehen konnte, war bereits im Voraus erkennbar nicht wirklich schlimm. Denn es war bekannt, dass weder neue Hardware, noch ein neues OS zu sehen sein werden. Und wie ein Klon von Netflix oder eine Gaming-Plattform aussehen können, und warum Apple zunehmend in Services und Plattform basierte Geschäftsmodelle einsteigt, strapaziert meine Vorstellungskraft auch nicht sonderlich.
Service, Service, Service
Die Veranstaltung verlief also weitestgehend überraschungsfrei. Ebenso wie das, was in den Tagen danach geschah. In der Games-Industrie ist man sich einig, dass Apples Arcade genannte Plattform für Gaming-Abos das Zeug dazu hat, die bestehenden Businessmodelle in Bewegung zu bringen. Publisher und Spieleentwickler setzen sich mit der Ankündigung, seinen Auswirkungen und Chancen auseinander. Ebenso wie es die komplette Industrie aus Filmproduktion und -verwertung tut, die nach Netflix und Amazon Prime Video mit Apple TV+ einen weiteren Akteur in ihrer Industrie begrüßt, der in der Vergangenheit durchaus bewiesen hat, dass er Businessmodelle langfristig zu verändern imstande ist. Ähnlich sieht es in der Finanzwirtschaft aus, die spätestens durch die Keynote von der Einführung von Apple Card erfahren hat, einer eigenen Kreditkarte aus dem Hause Apple.
Diese Ankündigung hat der Finanzwirtschaft weitere Sorgenfalten auf der Stirn der verantwortlichen Manager beschert. Global und national hier bei uns in Deutschland. Denn nach dem Start der Onlinebank N26, bei der deutsche Kunden derzeit täglich 10.000 (!) neue Konten eröffnen, betritt erneut ein neuer Player ihren Markt. Und mit Apple halt nun einmal ein Player, der mit einem moderneren Verständnis für Kunden in der Lage ist, wirklich gute digitale Produkte und Services zu kreieren. Ein Disruptor dem man glaubhaft abnimmt, seit Jahren etablierte (und aus Sicht von Kunden oft als mühsam empfundene) Bankprozesse für seine Kunden auf ein Minimum zu reduzieren.
"Das funktioniert mit Printmedien nicht"
Opener der Keynote am vergangenen Dienstag war allerdings Apples neuer Service News+, was man vereinfacht ein Spotify für Verlage bzw. Zeitungen und Magazine nennen kann. Und hier entwickelte sich dann für mich doch noch eine große Überraschung. Weniger im Produkt an sich, als in der anschließenden Reaktion weiter Teile der Industrie, die so ganz anders ausfiel als bei Banken, Fernsehanstalten oder Games-Developern. Verleger und Verlegerverbände waren sich über ihr Urteil zu Apple News+ schnell einig: „Nicht besonders attraktiv“ urteilten die beiden Verbände der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger BDZV und VDZ bereits am Dienstag unisono.
Eine spontane Live-Umfrage per Handzeichen unter allen Teilnehmern einer Digital Innovator Konferenz des deutschen Zeitschriftenverbandes kam angeblich zu dem Ergebnis, dass kein einziger der anwesenden Magazin-Innovatoren in Apples neuem Service eine Chance für Verlage sehe.
Die Kritik bezog sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: Apple wolle sich mit dem Dienst als Mittelsmann zwischen die Verlage und die Leser schieben, und zudem sei das Preismodell vollkommen inakzeptabel. In den USA summiert sich der Kaufpreis für die Abos aller gut 300 Magazine, die zum Start von Apple News+ in dem Angebot enthalten sind, auf einen Betrag von 8.000 US$ pro Jahr für den Leser. Und diese 300 Magazine bietet Apple nun als Flatrate für gerade einmal 9,99 US$ im Monat an. Da müsse laut der Verbände "ganz grundsätzlich die Frage gestellt werden, wie Hunderte oder in den USA Tausende Redaktionen ihre personal- und technikaufwendige Arbeit künftig finanzieren sollten". Und sehr wahrscheinlich steht diese systemumzäunende Frage noch weit vor derjenigen, wieviele Amerikaner wohl alle diese 300 Magazine jemals zusammen abonniert haben, oder das abseits der Theorie wirklich jemals tun würden.
Wieviel kosten 23 Minuten Aufmerksamkeit?
Ich finde gerade das Preisargument schon fast belustigend vor dem Hintergrund von Statistiken und der realen Welt draussen jenseits der Pressedruckmaschinen. Streamingdienste wie das neue Apple TV+, Netflix oder Amazon Prime Video richten sich für einen monatlichen Abo Preis in Höhe von 10-14 EUR an Menschen bzw. Familien, die durchschnittlich knapp 4,5 Stunden täglich audiovisuelle Medien wie Fernsehen, Videos und Online-Videos nutzen. Stolze 44 % ihrer gesamten Zeit für Mediennutzung verbringen sie mit dem Anschauen von Fernsehprogrammen, Filmen und Serien. Den Musikdienst von Spotify nutzen weltweit mehr als 160 Mio. Nutzer, von denen 80 Mio. monatlich eine Abogebühr in Höhe von 10-14 Euro bezahlen. Dahinter stehen an Musik, gesprochenen Nachrichten und Informationen interessierte Menschen, die statistisch 4 Stunden pro Tag mit diesen Inhalten verbringen, über Radio, CD oder eben Streaming. Audio steht für 37% der gesamten Zeit, die Menschen mit Mediennutzung verbringen.
Laut derselben Statistiken verbringen Menschen in Deutschland übrigens 23 Minuten am Tag mit der Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften. Das sind 3,6% ihrer Mediennutzung.
Ich selber zahle schon immer freiwillig und gerne meine GEZ Gebühr, empfange mein TV Programm über Entertain, bin seit 2012 Abonnent von Spotify, seit 2014 von Netflix, zahle also insgesamt etwa 60 Euro pro Monat für die Nutzung von TV und Radio. Statistisch und gerundet kosten mich 80 % meiner Mediennutzung 60 Euro im Monat. Für jeden Sender, jedes Format, jeden Moderator, jedes Studio, jeden Blockbuster, jede Dokumentation, jede Nachricht und jeden Podcast, für alles, was ich in Deutschland über die drei Angebotsformen konsumieren kann, zahle ich monatlich 60 Euro.
Die subjektiven Vorstellungen über den Preis
Natürlich darf man jetzt nicht mittels eines einfachen Dreisatzes versuchen zu errechnen, wie hoch der Preis für ein Medienprodukt sein dürfte, dem man statistisch 3,6% seiner Mediennutzung widmet. Aber es kann schon hilfreich und womöglich sogar aufschlussreich sein, seinen eigenen gesunden Menschenverstand oder den des unbeteiligten Nachbarn zu fragen, wieviel einem durchschnittlichen Konsumenten ein Abo-Modell für Medien wohl Wert sein mag, auf das nicht einmal 4 % ihrer Mediennutzungszeit entfällt. Nur für das digitale Abo einer Tageszeitung (SZ Plus, 36,99 Euro) und eines Wochenmagazins (Spiegel+, 19,99 Euro) sind derzeit 57 Euro pro Monat fällig. Dieser Preis (für 23 Minuten) wird beim Konsumenten zwangsläufig im Vergleich stehen zu anderen Abo-Modellen für Medien (für 4 Stunden und mehr). Und dann sind Spotify, Netflix & Co. sogar noch werbefrei, finanzieren sich also nicht noch zusätzlich jenseits des Kaufpreises den die Kunden bezahlen.
Es wäre auch deshalb falsch, den Wert aller gedruckten Medien mit der Netflix-Serie Black Mirror oder dem neuen Album von Stefanie Heinzmann gleichzusetzen, weil manche dieser Medien eine hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen aufgrund ihrer Aufgabe für den öffentlichen Diskurs und zur Meinungsbildung in einer Demokratie. Allen voran Tageszeitungen wie die FAZ, die Zeit und die SZ, in Teilen auch Magazine wie Spiegel oder Cicero. Das Beispiel der New York Times und ihres sehr erfolgreichen Weges, auch digital ein substantielles Abogeschäft aufzubauen ist für die Industrie ermutigend. Es zeigt, dass relevante Medien digital auch singulär bestehen und viele Menschen allein für ihr Angebot einen Abopreis in Höhe von 8-15 US$ pro Monat zu zahlen bereit sind. Aber wie wahrscheinlich ist das für bunte Blätter über Katzen, Wohnzimmerdekorationen und omnipräsente Fernsehmenschen? Etwas differenzierter dürfte die Betrachtung also meines Erachtens schon sein, ob hinter Apple News+ nicht vielleicht doch eine Chance für Verlage in Deutschland steckt.
Die objektiven Fehler in der Argumentation
Neben dem zu geringen Preis führen die Verlegerverbände als weiteres Argument gegen Apple News+ an, dass Verlage keinen Zugriff auf ihre Kunden haben. Dieses Argument ist erst einmal vollkommen nachvollziehbar. Und es ist sogar ein wirklich fundamentales Argument, wenn diese Kundendaten für mehr als nur das Abomarketing eingesetzt werden. Dafür gibt es noch nicht wirklich viele Beispiele, aber geschenkt, selbst eine schlechte Exekution schmälert nicht die strategische Richtigkeit. Also bleiben Kundendaten wichtig und müssen geschützt werden.
Ebenfalls in der vergangenen Woche konnte man lesen, dass die gedruckte Zeitung "Die Welt" ihre weiche Auflage mangels Wirtschaftlichkeit zu reduzieren beabsichtigt. Unter weicher Auflage versteht man kostenlose Exemplare, die in Flugzeugen, Lounges und auf diversen Events verteilt werden, oder ausliegen und mitgenommen werden können. Diese sogenannte weiche Auflage war Ende 2018 bei der "Welt" knapp 80.000 Exemplare groß. Von einer Gesamtauflage in Höhe von 155.600 Exemplaren. Am Kiosk wird die "Welt" täglich etwa 9.000 Mal verkauft. Ich habe das (mit anderen Zeitungen) auch schon getan, wurde aber dabei nie nach meinem Namen gefragt. Etwa 67.000 Kunden haben die "Welt" abonniert, zu genau diesen 67.000 Kunden hat der Verlag eine direkte und DSGVO konforme Kundenbeziehung. Maximal, aber das würde jetzt zu tief gehen.
Die hier exemplarisch verwendeten Zahlen aus einer Branchenmeldung in der vergangenen Woche sind vergleichbar mit den Auflagenstrukturen vieler anderer Zeitungen und Magazine in Deutschland. Vom Verlust welcher Kundendaten sprechen Verlage also genau, wenn sie News+ von Apple pauschal kritisieren?
Disruption lässt sich nicht vermeiden, aber gestalten
Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Etwas differenzierter dürfte die Betrachtung schon sein, ob hinter Apple News+ nicht vielleicht doch eine Chance für Verlage in Deutschland steckt. Dazu muss man sich allerdings eingestehen, dass Disruptionen in der Regel ziemlich tiefgreifend wirken. Disruptoren meinen es in der Regel ernst. Für Medien bedeutet Disruption nicht nur eine Frage des Vertriebsweges bzw. der Darreichungsform. Ansonsten wäre Spotify ein CD-Versender und Netflix eine postalische Videothek.
Disruptionen verändern komplette Geschäftsmodelle. Besser setzen sich auch Verlage damit konsequent auseinander. Bevor ihre Kunden irgendwann über sie urteilen: "Nicht besonders attraktiv".
Don’t compete.Create.🎏 Stand with 🇺🇦🇺🇦
5 JahreSchmerzhaft, ja. Die Plattformkonzernen fressen die restlichen Medien. Wer vor 20 Jahren “Out of Control” (Kevin Kelly, WIRED) gelesen hat, ist nicht wirklich überrascht worden. “Das Beispiel der New York Times und ihres sehr erfolgreichen Weges, auch digital ein substantielles Abogeschäft aufzubauen ist für die Industrie ermutigend. Es zeigt, dass relevante Medien digital auch singulär bestehen”, wie Herr #Bach schreibt, ist nur für die Verlage ermutigend, die sich in ihren Rollen neu erfinden können. Die Regenbogenpresse ist sicher nicht dabei, klar; sie hat bei den LeserInnen immer das “Leben aus zweiter Hand” ( Zitat Robert Jungk) bedient; das können die Medien, die man “soziale” nennt, besser. Wenn sich innen etwas bewegt, sind die KundInnen mit ihrem Marschgepäck der Label Apple, Huawei usw. schon weitergelatscht..