Homeoffice - Jetzt mal ehrlich
Corona zwingt uns momentan mit guten Gründen in unsere Homeoffices. Abstand halten, Maske tragen ist wichtig, damit wir gemeinsam durch die schwierige Zeit kommen.
Wir alle befinden uns daher schon seit Monaten in unserer virtuellen Traumwelt. Modernes Arbeiten - Virtuelle Teams – Man kann Familie, Sport und Freizeit mit der Arbeit verbinden. Wir sind selbstbestimmt. Wir werden kreativer. Wir verschwenden keine Zeit mehr auf dem Weg ins Büro…..
An dieser Stelle meine ganz persönlichen Erfahrungen nach Monaten des virtuellen Arbeitens: Das ist doch alles ein Wunschdenken. Intensives Homeoffice soll ein Gewinn für unser Berufsleben sein? Ist es nicht!
Der Weg ins Büro war für mich immer die Zeit in der ich mir den Kaffee an der Tankstelle gekauft habe, dann die ersten 2-3 Calls hatte. Stau, Problem? Unsinn, die waren prima. Da konnte man warmlaufen für den Tag. Kam man im Office an, hatte man schon mal „Betriebstemperatur“. Heute? Kamera an, kein Warmup. Abends kein Cooldown mehr auf der Autofahrt, kein Abstand gewinnen zum Office.
Im Office anstrengende Meetings, intensive und manchmal harte Diskussionen. Man sieht den anderen, man kann seine Körpersprache lesen und intuitiv verstehen. Nach dem Meeting noch ein paar Meter über den Flur gehen. Entspannungs Phase. Oft finden hier die wichtigsten Kommunikationen statt. Heute? Kamera aus, nächstes Meeting. Konflikte bleiben im Raum stehen und vergiften Beziehungen. Ok, wir können schneller switchen zwischen Meetings und Themen, aber das hat einen hohen Preis.
Die virtuelle Welt soll kreativ sein? Definitiv nicht. Kreativität findet an Pinwänden statt, man druckt Dokumente aus. Schiebt die von rechts nach links. Gesten, Diskussionen. Man kann Ideen anfassen auf Karten die man an Wände heftet. Man geht danach gemeinsam Essen und spricht weiter. Die Pinwände bleiben stehen, und man arbeitet als Team gemeinsam in dem Raum weiter, der Kopf arbeitet weiter und man ist weiter gemeinsam kreativ. Heute? Kamera aus - nächstes Meeting - Gedankenprozess abgerissen. Das Resultat ist Produktivitätsverlust. Man braucht für eine wirklich gute Kundenpräsentation doppelt so lange, man arbeitet länger. Nur weil man mehr arbeitet ist es nicht besser.
Arbeit und Familie verbinden? Wenn man nach x Stunden Kameraarbeit aufsteht und zur Familie geht ist man doch die ersten 15 Minuten wie ein Alien unterwegs in der realen Welt. Kommunikation ist schwierig. Missverständnisse. Meistens hat man dann für die Familie weniger Worte übrig als früher, weil man wirklich alle Worte vor der Kamera aufgebraucht hat.
Man erreicht seine Mitarbeiter viel schwerer …. Auf der persönlichen Ebene. Wenn der Chef anruft schauen alle positiv in die Kamera, man kann als Führungskraft schwerer Signale wahrnehmen. Man kann seiner Fürsorgepflicht kaum nachkommen. Mitarbeiter brennen unter dem Stress des Homeoffice langsam, aber sicher aus hinter der Kamera. Denn wenn die Kamera aus ist, dann ist da niemand mit dem man einfach mal bei einem Kaffee reden kann. Dann ist man alleine, und dafür sind Menschen einfach nicht gemacht.
Integration von Sport und Freizeit ins Homeoffice? Findet faktisch nicht statt. Die meisten von uns sitzen stundelang vor der Kamera, der Rücken schmerzt, die Kilos gesellen sich zu einem, und die Gesundheit leidet. Man muss sich dazu nur die Statistiken anschauen.
Reisen ….. Zu meinem Beruf als Berater gehört Reisen, und ich liebe Reisen. Mit den Teams im Hotel und im Office sein, an der Cafe Bar diskutieren, und abends beim Essen den Tag ausklingen lassen schafft Mehrwerte im Job. Wenn man dann am Freitag wieder zu Hause ankommt, hat man eine intensive Woche hinter sich, man hat etwas erlebt. Und man hat einen echten Cut zwischen Job und Zuhause.
Am Ende noch eines meiner Highlights in unserer Branche: Manche Beratungsunternehmen beginnen nun Bewerber an Bord zu holen, die nicht mehr reisen müssen. Das kann zum einen nicht gut gehen für diejenigen die sich darauf einlassen, und zum anderen wird es am Ende ganz einfach sein: Diejenigen die beim Kunden vor Ort sind, mit den Menschen beim Kunden sprechen und arbeiten werden mehr Erfolg haben und machen schneller Karriere. Die Enttäuschung bei denen die unter falschen Vorzeichen eingestellt wurden ist vorprogrammiert. Das wird schief gehen, für beide Seiten.
Meine Hoffnung ist daher, dass wir alle bald geimpft sind, das der Homeoffice Terror ein Ende findet, und wir wieder das machen können was uns gut tut: Miteinander, face2face arbeiten und leben, kreativ sein, und sich gegenseitig unterstützen. Und vielleicht erinnern wir uns dann ja alle, wie es war als wir in unserer Traumwelt gefangen waren, und das einstmalst leuchtende Homeoffice langsam zu einem dunklen Verlies für unsere Köpfe und unserer Kreativität wurde. Denn es ist auf längere Sicht ein Risiko für uns, unsere Familien, und zuletzt auch unserer Wirtschaft, denn die lebt in Deutschland immer noch von Kreativität.
Lasst uns das definitiv positiv gelernte dann nutzen um die virtuelle Welt in unsere reale Welt zu integrieren, nicht anders herum.
Head of Business Unit bei NÖ Landesgesundheitsagentur
4 JahreNehme ich in vielen Bereichen genauso wahr. Ich denke, die Mischung macht's aus, denn Home Office bewusst eingesetzt hat unbestritten auch immense Vorteile. Man muss dieses Werkzeug jedoch gewissenhaft und sinnvoll einsetzen (lernen). Mehr als 50% Home Office ist aus meiner Sicht aus den beschriebenen Gründen nicht zielführend.
Integrations- und Testmanager bei Avaloq
4 Jahre👏 so richtig beschrieben, Danke 😊
aixigo - verantwortlich für das Geschäft mit unseren Kunden und Value-Partnern in Deutschland und Österreich, über die vollständige Wertschöpfungskette hinweg.
4 JahreLieber Thomas Rose - großartiger Artikel, der mir in vielem aus der Seele spricht. So absolut bin ich da zwar nicht gepolt. Aber Sie haben da einen starken Punkt. Aber, und das finde ich auch wichtig, das Home Office gar nicht geht, ist auch vom Tisch. Die Mischung wird es bringen. Überhaupt Berater ohne Reisen - wer kommt denn auf sowas? Ich hoffe mit Ihnen, dass wir bald wieder unterwegs sein können.
Owner, GAPHOS Engineering & Media LP - Your BEGA + AUBRILAM + BAULMANN Partner for HUNGARY - Lighting Design, Consulting and Application - PRESS Photograph & Reporting Press - GNS Press International - AIPS Int. Sports
4 JahreIn vieler Hinsicht wahr. Nur, durch die kommende Impfungsgeschichte wird das ganze noch komplizierter, nach dem, was man aus der Sendung Hart aber Fair gestern erfahren haben musste...
Informatiker & Manager in der Finanzwirtschaft ++ Bereichsleitung Datenmanagement bei Berlin Hyp
4 JahreHerrlicher Artikel Thomas! Endlich spricht es einmal jemand aus, genauso ist es. Berater im Home-Office ist wie Tiger im Zoo. Geht irgendwie, ist aber nicht das passende und natürliche Biotop. Wie sagte im Spätsommer jemand so schön: "Nach der Corona-Krise weiß ich gar nicht, wo ich zuerst hingehen soll - zu den Weight Watchers oder zu den Anonymen Alkoholikern." Jetzt im Herbst sollten wir vielleicht noch Chiropraktiker ergänzen ;-)