IAA 2017: Temporäre Markenwelten und automobile Träume
Die Vorzeichen der IAA 2017 könnten nicht schlechter sein. Nicht nur das Auto generell, der Dieselmotor und deutsche Hersteller stehen im Feuer der Kritik, auch die Absagen renommierter Marken sind bemerkenswert: Aston Martin, Alfa Romeo, Cadillac, DS, Fiat, Infiniti, Mitsubishi, Jeep, Nissan, Peugeot, Rolls-Royce und Volvo. Auch Tesla fehlt. Die brauchen keine Werbung - wie früher Mercedes.
Der allgemeine Eindruck
Die IAA präsentiert sich wieder einmal als Gegenentwurf zur klassischen Werbung: als automobilstes und unmittelbarstes Markenerlebnis! Mittendrin statt nur dabei! Interaktiv, dialogisch, für viele Besucher elektrisierend. Für die Macher dagegen ein Kraftakt und nicht unbedingt immer ein Geschäft.
Sonntags um 11 Uhr herrscht bereits ein enormer Andrang. Das Publikum ist jung und international. In 11 Hallen und im Freigelände die übliche Material-schlacht: jede Menge erotisch geformtes Blech und drum herum State-of-the-Art-Veranstaltungstechnik. Die wichtigste Leistungsschau der Automobil-industrie, glänzend in Szene gesetzt von der Creme deutscher Agenturen, Messebauer und Technik-Dienstleister.
Mein vordergründiges Interesse gilt der Architektur, der Szenographie, der Markeninszenierung und der Innovation unter deutschen (Messe-)Dächern. Die Goldene Zitrone vergebe ich gleich zweimal. Opel und Seat überraschen positiv und es gibt einen Aussteller, der alle und alles überragt.
In der Kathedrale des Automobils
Mein erster Gang führt mich unter die Kuppel - in die komplett umgebaute, fabelhaft ausgeleuchtete Festhalle zu Mercedes-Benz. Von der Grundstruktur unverändert: breit gefächerte Themen, vielseitiges Modellspektrum, geführter Rundgang und die obligatorische Rolltreppe. Leise Hintergrundmusik. Auf den statischen LED-Flächen laufen Mood-Filme, Produkt-Videos und ja, man glaubt es kaum, eine Twitter-Wall. Neu ist die „me convention“, beides für meinen Geschmack eine Anbiederung an den Zeitgeist. Der durchschnittliche Mercedes Käufer ist deutlich über 50 Jahre und goutiert das eher nicht. Auf der verklei-nerten Aktionsfläche werden regelmäßig die neuen Modelle vorgefahren, mit Musik und Videos unterstützt. Mein Eindruck – alles wie gehabt, etwas reduziert, seltsam defensiv.
Tausendfach alles unter einem Dach
Das alte Kaufhof-Motto fällt mir ein als ich die VW-Konzernhalle betrete, wobei das Entree wie der Wareneingang eines Kaufhauses aussieht. Also jetzt 8 Marken unter einem Dach, denn auch Audi mußte in die VW-WG einziehen. Das ist mal ein (negatives) Ausrufezeichen.
Das Potpourri von acht Konzernmarken – Audi, Bentley, Bugatti, Lamborghini, Porsche, SEAT, Skoda und VW - will nicht recht zusammenpassen. Synergie-Effekte sind nicht zu erkennen, denn die Flächen werden einfach nach Proporz aufgeteilt. Mehr nicht. Leuchtende Marken-Logos unter der Decke sind die einzige Orientierung. Nahtlos geht man von Bentley zu Skoda - finde ich schwierig.
Gelungen ist die große Ruhezone auf einer Drehbühne auf der VW-Fläche, Motto „Gemeinsam leben wir den Moment“. SEAT präsentiert sich mit einigen schönen interaktiven Ideen und szenographisch durchdacht. Audi leidet unter der aufgezwungenen Verzwergung, es fehlt buchstäblich das Drehmoment, das früher den eigenen Pavillon ausgezeichnet hatte.
Mixed Emotions
Der Opel-Stand hat eine klare Botschaft, die den neuen Claim „Die Zukunft gehört allen“ und die Heritage der Marke transportiert. Die Mauerwerk-Optik, der Duft von frischen Plätzchen, die grüne Oase für Besucher (lange Tische mit Bänken, darauf interaktive Displays für das Modellprogramm). Das wirkt volksnah und handfest. Auf dem ganzen Messegelände allgegenwärtig: die Opel-Tüte. Der Hit. Analog schlägt digital!
Eine Goldene Zitrone für den Ford-Stand wegen des geringen Bewegungs-raumes zwischen den ausgestellten Fahrzeugen. Die Chinesen zeigen bei WEY, Chery und Borgward, daß sie Automobil-Design können, man darf auf die Preise gespannt sein.
Auf der Aktionsfläche „New Mobility World“ zeigen Hersteller und Zulieferer Innovationen, z.B. wie autonomes Fahren funktioniert. Ein Verweilen lohnt. Ein Schmankerl ist der „Verkehrskindergarten“, eine Kooperation von Hyundai und LEGOLAND, bei dem die Kleinsten einen „Führerschein“ erwerben können. Mini kultiviert seine Pop-Kultur im Loft-Stil. Die zweite Goldene Zitrone geht an Toyota für die klinisch-sterile Ausleuchtung.
Niemand kann BMW die Show stehlen
Wow und nochmal Wow. BMW in Halle 11 verspricht nicht nur „Freude am Fahren“, sondern auch einen phantastischen Messestand und die ultimative Produkt-Show. Wie in den Vorjahren führt eine Fahrbahn durch die abgeteilte Aktionsfläche zur Präsentation der neuen Modelle. Das optisch-akustische Feuerwerk wiederholt sich alle 30 Minuten und zog an diesem Sonntag-nachmittag jeweils rund 600 Menschen in seinen Bann. Der Sound, der Soundtrack, die Lichteffekte, die Video-Clips, die beweglichen LED-Module im Zusammenspiel mit der fahr-dynamischen Vorführung zauberten eine perfekte Multimedia-Show. Chapeau, liebe Kollegen von Meiré+Meiré und Wolf Productions.
WOLF RÜBNER, EventCampus