Ist die übliche Prozesslandkarte vollständig? Was ist mit dem Geldfuss und dem Purpose?
Die Prozesslandkarte ist ein Selbstbild des Unternehmens. Wenn wir diese ergänzen, kann dies auch unser Selbstverständnis verändern.
Was gehört zu den Kern- und Leistungsprozessen? Der Kundenauftrag beinhaltet: Lieferung gegen Zahlung. Warum taucht dann die Zahlung des Kunden und der Geldfluss nie explizit auf?
Diese Frage stelle ich mir gerade, wenn ich für die Buchhaltung durchspiele, wie deren Rolle in der Prozesslandkarte und ihre Stellung zu den Kernprozessen ist.
Ausgangsbasis ist der Versuch Kurseinheiten zum Thema Digitalisierung an Geschichten anzudocken, um diese greifbarer zu machen. Dazu erstelle ich eine Art von Personas mit ihren Rollen und ihrer Haltung zur Digitalisierung. Jetzt schaue ich, wie daran Elemente aus dem Prozessmanagement andocke.
So hat sich hier folgende Gedankenkette ergeben, die zur Idee einer erweiterten Prozesslandkarte geführt hat
Herr S, Abteilungsleiter Buchhaltung und seine Haltung zur Digitalisierung
Herr S ist ein Abteilungsleiter in einem mittelständischen Unternehmen, der schon seit vielen Jahren in seiner Position tätig ist. Er ist sehr stolz auf die Arbeit, die Sein Team leistet, und auf die Effizienz der Prozesse, die er über die Jahre hinweg entwickelt hat. Herr S ist jedoch gegen jede Veränderung dieser Prozesse und weigert sich, neue Technologien oder Methoden zu implementieren.
Wenn das Thema Prozessveränderungen oder Digitalisierung zur Sprache kommt, argumentiert Herr S oft, dass seine Prozesse gut funktionieren und dass Veränderungen unnötig sind. Er sieht auch keine Notwendigkeit, in neue Technologien zu investieren, da er glaubt, dass die vorhandenen Systeme ausreichend sind.
Herr S ist sehr resistent gegenüber Veränderungen und zeigt wenig Interesse an der Verbesserung der Arbeitsabläufe oder der Mitarbeiterentwicklung. Wenn es um die Einführung neuer Prozesse oder Technologien geht, besteht er oft darauf, dass die alten Methoden besser sind und dass die Mitarbeiter sich an die bestehenden Prozesse halten sollten.
Obwohl Herr S gute Absichten hat und das Beste für ihr Team will, hat er Schwierigkeiten, neue Ideen zu akzeptieren und den Wert von Veränderungen zu erkennen. Seine Haltung kann das Wachstum und die Entwicklung der Abteilung und des Unternehmens beeinträchtigen und könnte dazu führen, dass die Abteilung langfristig nicht wettbewerbsfähig bleibt.
Die Prozesslankarte als erste Übersicht Kategorisierung
Sicher, ein Grundsatz im Prozessmanagement ist, dass jede Prozessdarstellung in ihrer Form und in ihrem Informationsgehalt danach erstellt wird, was dem aktuellen Zweck dienlich ist. Es gilt: So viel Information wie hilfreich, so wenig wie möglich, um übersichtlich zu bleiben.
Die gängige Prozesslandkarte kategorisiert Prozesse, Aufgaben und Tätigkeiten in ihrem Verhältnis zur kundenbezogenen Leistungserbringung als dem Kernprozess des Unternehmens.
In üblichen Prozesslandkarten ist der Kernprozess des Unternehmens die also Bereitstellung des Produktes oder der Dienstleistung. Der Kernprozess kennt dann entsprechend immer nur eine Richtung, und zwar die hin zum Kunde, die dann der Fließrichtung gemäß als „Downstream“ bezeichnet wird.
Das komplette Finanz- und Rechnungswesen wird üblicherweise (lediglich) als Unterstützungsprozess dargestellt.
Wenn ich mir nun überlege, wo und wie nahe die Buchhaltung als Funktion des Finanz- und Rechnungswesen am Kernprozess aktiv ist, fällt mir auf, dass diese Abteilung
Dabei geht es in Summe um nichts weniger als
Warum fehlt in allen üblichen Prozesslandkarten dieser Geldfluss als Standardelement und zwar im Kernprozess?
Ich komme hier zurück auf Darstellungen und Prinzipien aus der Disziplin des Supply Chain Management (SCM). Wenn wir in Dimensionen des SCM denken, also über Stufen der Lieferkette hinweg, dann ist es üblich und erklärte Lehrmeinung, das es darum geht drei Flüsse zu managen
Wie wichtig der Geldfluss ist, das wissen wir alle. Für Firmen ist es der Grund überhaupt aktiv zu werden. Ohne Geldmittel ist die Herstellung der Produkte unmöglich.
Sehr unterschiedlich ist, wann das Geld im Vergleich zum Produkt fließt. Dies hängt zum einen am Geschäftsmodell und zum anderen an den getroffenen und üblichen Zahlungsbedingungen.
Heraus kommt in Summe der Bedarf an Working Capital, als die Summe der Geldmittel, die ein Unternehmen braucht, um das Tagesgeschäft vorzufinanzieren, bis das Geld der Kunden ankommt. Das ist eine unternehmerisch recht relevante Größe und klarer Teil der Wertschöpfung. Deutlich wird die Bedeutung u.a. auch in verhandlungen mit Lieferanten, denn dort ist im Produktpreis auch eingeschlossen, welcher Finanzierungsbedarf besteht, durch die absehbaren Zahlungsbedingungen – also, wer trägt welchen Anteil am Working Capital?
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Warum taucht der Geldfluss also nie als Kernprozess auf?
In einer Prozessdarstellung, die den Kunden als Abnehmer zeigt, wäre es aus meiner Sicht und als Konsequenz der oben beschriebenen Gründe, sehr berechtigt, den Geldfluss mit darszustellen.
Aus weil jeder Prozess etwas transformiert, also gewisse Input-Größen in gewisse Output-Größen umwandelt. Jeder Prozess braucht auch einen Trigger, einen Anlass warum etwas getan wird.
Der Kundenauftrag ist der Trigger für die gesamte Leistungserbringung in der Firma. Jedoch wird der Kundenauftrag nur mit dem Deal angenommen: Produkt gegen Geld.
Konsequenz für eine erweiterte Prozesslandkarte
Die Prozesslandkarte soll die Firma in der Übersicht zeigen und dabei eine grobe Struktur herausarbeiten, wer oder welche Tätigkeit in welchem Zusammenhang zum Kern- bzw. Kundenprozess steht.
Um dieses Bild der eigenen Firma zu vervollständigen scheint es mir plausibel alle relevanten Flüsse aufzuzeigen, also neben der bisherigen Leistungserbringung auch das Geld und die Informationen darzustellen und dies auch, wenn die beiden zuergänzenden Flüsse lediglich schematisch dargestellt werden, denn dann rücken diese eben sprichwörtlich ins Blickfeld.
Ich habe mir kurz überlegt, ob ich den Fluss an Informationen auch gleich (schematisch) ergänzen würde und bin schnell zum Ergebnis gekommen: Natürlich muss dieser Fluss an Informationen auch mit ins Blickfeld, denn genau hier ist die Digitalisierung wirksam, eben mit der Informations- und Kommunikationstechnologie.
Anekdote am Rande: Zurecht hat sich die digitale Datennutzung von der ehemaligen EDV (Elektronischen Daten-Verarbeitung) zur Informations- und Kommunikationstechnologie.
Geschäftsmodell und Geschäftszweck sind weitere Elemente, die die Prozesslandkarte als Selbstdarstellung komplettieren
Wie ich an anderer Stelle betone, ist es aus Sicht der Prozessorientierung sehr hilfreich, wenn wir, also jeder Beteiligte, einen Überblick über den Gesamtprozess haben.
Dazu passt es aus meiner Sicht gut, auf der höchsten Ebene der Prozesslandkarte, das Unternehmen ergänzend mit dem Geschäftsmodell und dem Geschäftszweck (neudeutsch Purpose) zu beschreiben.
Erst so wird diese Darstellung vollständig.
Das Geschäftsmodelle (ggf. mehrere) hängt, wie oben beschrieben, direkt mit dem Geldfluss zusammen und impliziert, wann und wofür bekommt die Firma, das Geld für das eigene Produkt, die eigene Leistung.
Noch eine Stufe übergeordnet ist der Geschäftszweck anzusiedeln, der in der laufenden Diskussion um das Thema Purpose einer Firma hochgehandelt wird. Ich fokussiere mich hier recht pragmatisch auf die Frage „Womit beschäftigen wir uns?“, was ich als Geschäftszweck definiere.
Ich sehe als zweite und trennbare Sphäre vom Purpose auf Ebene einer Firma die Frage „Wie agieren wir?“, diese enthält dann auch mehr die wertorientierten Aspekte von Purpose.
Wird die Frage „Womit beschäftigen wir uns?“ breit formuliert, dann ergibt sich daraus, dass andere, neue Geschäftsmodelle auf einmal ins Selbstbild passen.
Ein Beispiel sind Autokonzerne, die ihr Selbstbild vom Autohersteller wandeln, hin zum Mobilitätsanbieter mit Carsharing und vielem anderen.
Dies ist in der folgenden Darstellung veranschaulicht.
Fazit dieses ersten Teils:
Um für alle Mitarbeiter, die Prozesse weiter einzuordnen, die schon immer in der Prozesslandkarte dargestellt werden und damit die Prozesslandkarte als Selbstbild des Unternehmens zu vervollständigt wird, halte ich es für sinnvoll die bisherige Prozesslandkarte zu ergänzen mit,
Für alle diese Punkte bietet die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten.
Auch hier kommt ein Grundprinzip im Prozessmanagement zum Ausdruck, wir müssen immer mehr systemisch agieren, also Im End-to-End Ansatz immer stärker Disziplinen übergreifend agieren, damit wir uns weiterentwickeln.
In einer prozessorientierten Selbstdarstellung Darstellung weitere Informationen aufzunehmen, damit wir unser Bild einer Firma auf einen Blick vervollständigen entspricht dem voll und ganz.
Experte für Interaktive Managementsysteme | Gründer und CEO der Modell Aachen GmbH (Q.wiki)
1 JahrVielen Dank Dieter Bauer für die spannenden Gedanken. Geldfluss, Informationsfluss und Purpose in der Modellierung mehr Gewicht zu geben scheint mir sehr sinnvoll. Was Sie allerdings in dem Artikel wie auch in der Grafik zeigen ist nach meinem Verständnis keine Prozesslandkarte mehr, sondern eher ein Big Picture. Ein Big Picture zeigt die Gesamtzusammenhänge eines Unternehmens auf und beschränkt sich dabei nicht nur auf Prozesse, sondern quasi beliebiger Wirkzusammenhänge. Ich habe derartige Big Pictures bei BWM und Daimler mit einem sehr großen kommunikativem Nutzen erstellt und kann das sehr empfehlen. Und warum ist das meiner Meinung nach keine Prozesslandschaft? Z.B. weil Geldfluss und Informationsfluss in sich kein (Geschäfts-)Prozess ist und eine Prozesslandkarte (zumindest sehr grob) typischerweise das Zusammenspiel der Geschäftsprozesse abbildet.
Process Management first of all is culture change and continual improvement -- later comes IT, maybe...
1 JahrGrundsätzlich eine gute Idee, nicht nur die Prozessflüsse, sondern auch die Informationsflüsse und Geldflüsse in einer Prozesslandschaft zu zeigen... Und was ist mit den Materialflüssen, Personalflüssen, ...? Hier erscheint für mich die Problematik: Die Landkarte wird überfrachtet, die Information, die ich mit der Landkarte transportieren möchte, werden immer schwerer erfahrbar und das ganze wird zum Wimmelbild. Ich plädiere nach dem "Google Maps - Prinzip" vorzugehen und eine Möglichkeit des Zoomens in die Landkarte vorzusehen. Auf einer Deutschlandkarte möchte ich auch nicht die Straßennamen sehen, auf einem Stadtplan schon! Eine "Haupt-Prozesslandkarte" zeigt die Prozessflüsse vor allem vom Kunden zum Kunden (Ende-zu-Ende Prozesse) darunterliegend findet man verschiedene (Detail-)Prozesslandkarten zum Beispiel mit Geldfluss für Herrn S., mit Materialfluss für den Fertigungsleiter, mit Personalfluss für den Serviceleiter, ... Ein Klick in der Prozesslandschaft mehr und ich bin in den nächsten Detail-Level hineingezoomt... Das würde für mich praktikablen Mehrwert erzeugen und nicht mehr Verwirrung durch mehr Information auf ein und dem selben Level. Das ganze digital filtrierbar für die gewünschte Information.