Ist Strategiearbeit das Definieren eines Zielpunkts? So einfach ist das in einer dynamischen Welt nicht mehr.
Laut konventionellen Strategieratgebern für Unternehmen sind für deren strategische Ausrichtung Ziele vorzugeben. Früher war das ein reines Zahlenziel. Im Laufe der Jahre wurde daraus ein inhaltliches Ziel. Schließlich galt der Rat: Unternehmen sollten ihre Ziele in zeitliche Zwischenziele herunterbrechen und Maßnahmen aufsetzen, um diese Zwischenziele zu erreichen. Prima. Dann würzen wir das noch mit ein paar #KPI oder kleiden es in ein paar #OKR ein und alles läuft wie am Schnürchen. Oder?
Feste Ziele in einer dynamischen Welt?
Wer kann die Zukunft des eigenen Unternehmens, der Kunden, der Märkte oder gar von Technologien so vorhersagen, dass ein festes Ziel Sinn macht? Wie ist mit Veränderungen umzugehen? Ist es opportun, die Ziele zu verändern? Sind betriebswirtschaftliche Wachstumsziele, die auch noch mit einer inhaltlichen Botschaft verknüpft sind, gesetzt?
Unternehmen tendieren nicht selten zu einer bequemen Beantwortung dieser Fragen: Etikettieren wir das strategische Ziel einfach um und nennen es Purpose oder Nordstern – und alles ist gut. Leider weit gefehlt: Ja, es ist attraktiver dem Unternehmen einen Purpose zu geben, der zum Beispiel in Sachen Identifikation und Kultur Stabilität verleiht. Aber eine Antwort auf die Veränderung gibt der Purpose nur bedingt. Also, was ist zu tun?
Veränderungsfähigkeit ist das Ziel
Zwei Dinge: Erst einmal definieren wir nicht ein (statisches) Ziel, das den Zustand der Welt und damit des Unternehmens in der Zukunft definiert. Stattdessen definieren wir, zu welchem Zeitpunkt wir uns wie schnell verändern wollen. Wir konzentrieren uns auf die Veränderbarkeit und differenzieren dabei Kontext (wo?) und Zeitpunkt (wann?). Mit dieser Definition können wir die Stabilität wahren, die eine strategische Kursänderung benötigt. Wir machen gegenüber den Mitarbeitenden transparent, wo wir was ändern wollen - und vor allen Dingen wo nicht.
Veränderung am Kontext ausrichten
Zum Zweiten brauchen wir nun eine andere Form der Implementierung von Strategiearbeit. Wir müssen die Veränderungsfähigkeit, die wir bereithalten, an der Außen- und Innendynamik des Unternehmens ausrichten. Und das so adaptiv wie möglich. Der Bedarf entscheidet über das Ergebnis der Veränderung, nicht das Zwischenziel. Hier trifft Möglichkeit (Fähigkeit) auf das Momentum. Dazu müssen wir das Momentum sehen und die Veränderung für das Unternehmen nutzen. Eine weitere Änderung gegenüber konventioneller Strategieumsetzung ist, dass wir lernend vorgehen: Der nächste Schritt ist abhängig vom Ergebnis des vorherigen Schritts. Das bedeutet: Aus der unternehmerischen Innensicht ist der nächste Schritt abhängig von der Veränderungsmöglichkeit und marktbedingten Außensicht. Wir hangeln uns somit von einem Ergebnis zum nächsten Ergebnis (und nicht von einem Ziel zum nächsten Ziel).
Purpose als Rahmen der Veränderungsfähigkeit
Jetzt kommt der Purpose wieder ins Spiel: Es braucht ein wenig Orientierung, weil wir das Ergebnis nicht ausschließlich dem Spiel der Marktanforderungen überlassen wollen, sondern den Ergebnisraum verkleinern wollen. Als Unternehmen schränken wir diesen Raum nach bestem Wissen und Gewissen ein, indem wir die Veränderungsfähigkeit dosieren. Denn: Ein Organismus, der sich zu abrupt verändert, kann seine Identität verlieren – und damit die Mitarbeitenden.
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3 Take aways für die Strategiearbeit
Die Maßnahmen sind 1. Mehr ausgerichtet auf Quick Wins (nicht, weil es Management-Hype ist, sondern damit sich die Wirkung schnell einstellt) und 2., aber auch um fast failure zu provozieren. An dieser Stelle kommt der Unternehmensführung die Wahrung des Gleichgewichts zwischen Stabilität in Form von Kultur und Identität (die Stärken des Unternehmens) und Agilität in Form von Veränderungsbereitschaft (die Chancen des Unternehmens) zu. Auch hier: Balance auf der Welle zu halten ist wichtiger als das Kurshalten. 😊
Strategieumsetzung auf eine Formel gebracht
Gehen wir mal davon aus, dass es eine Strategiefunktion f(t) gibt, die mit f(2040) den Zielpunkt liefert, wo das Unternehmen in 2040 stehen möchte. Das Definieren dieser Funktion und das Ergebnis der Zwischenpunkte f(2025), f(2030) usw. entspricht der konventionellen Strategiearbeit. Ich verstehe Strategiearbeit im oben genannten Sinne jedoch mehr als die Definition der 2. Ableitung von f(t,k), abgeleitet nach t. Es entspricht der Veränderungsmöglichkeit zum Zeitpunkt t im Kontext k(t). Jetzt bedeutet Strategieumsetzung das Integrieren über die Zeit und deren Kontexte. In freier mathematischer Anlehnung wäre das:
Wir erreichen 2040, indem wir uns zu jedem Zeitpunkt (beginnend heute, also 2023), entlang der dann gültigen Kontexte bis 2040 verändern – und zwar entlang der Veränderungsmöglichkeiten, die das Unternehmen in Balance halten.
Ausblick: Agilität und Stabilität
Allen, die jetzt abgeschaltet haben oder abschalten möchten, sei das Thema meines nächsten Artikels noch schnell angekündigt: Reicht für den Veränderungsprozess das Paradigma der Resilienz? Wo brauchen wir Antifragilität?
Diejenigen, die mehr über Stabilität vs. Agilität wissen möchten, seien die Arbeiten von Hans-Joachim Dr. Gergs empfohlen. Und wer gern auf den Ursprung der Gedanken zurückgehen will, dem lege ich die Arbeiten von Talcott Parsons nahe, auf die Hans-Joachim aufsetzt.
Lead Business Consultant bei msg
1 JahrVielen Dank für den interessanten Artikel! Absolute Zustimmung... um es mit Oscar Wilde zu sagen: "Wir müssen bereit sein, uns von dem Leben zu lösen, das wir geplant haben, damit wir das Leben finden, das auf uns wartet."
Let‘s make the EUDR work! Founder and CEO Valean Solutions GmbH
1 JahrWieder ein interessanter Artikel, Stephan, wenn auch in einer eher akademischen — und damit menschenfernen — Sprache, die mir nicht so liegt. Ich habe bis zum Ende gelesen und musste bei der Formel nicht wegschauen. Jetzt bin ich gespannt auf Resilienz versus Antifragilität 🧐🙃
CEO/MD at TecPal - SaaS for Smart Kitchen Appliances | IoT Solutions Expert | Strategic Advisor | Coach & Consultant | Asia Specialist | Board Member
1 JahrDr. Christiane Prange 庞坷琳 klingt bekannt? :-)
Partner at Klenk & Hoursch - Beratung für Kommunikation & Public Affairs
1 JahrDanke Stephan, die Balance von Stabilität und Agilität, die Strategiearbeit heute braucht, ist dem Bild des Wellenreitens sehr schön eingefangen.
Lateral Thinker, Attitude Challenger, Unfolding the Future, Strategy@msg
1 JahrStephan, ich hoffe, es ist jetzt mehr Umsetzung drin 😎