Kanzler-Duell: Kandidaten bevorzugen Selbstgespräch | US-Notenbank senkt Zinsen | Italiener scharf auf Commerzbank
Guten Morgen,
für das bessere Verständnis von Politik brauchen wir – in Zeiten wie diesen – nicht Sandra Maischberger, sondern Sigmund Freud. Denn die Spitzenpolitiker der Parteien zeigen deutliche Symptome einer gespaltenen Persönlichkeit.
In der Öffentlichkeit treten sie als Übermenschen auf. Vollgepumpt mit Dopamin trauen sie sich alles zu. Den Weltfrieden. Den Wirtschaftsaufschwung. Und den Wahlsieg ohnehin. Deshalb nennen sie sich auch stolz die Kanzlerkandidaten.
In den Hinterzimmern der Ohnmacht allerdings verschwindet das Über-Ich hinter Dutzenden von Minderwertigkeitskomplexen. Im Grunde gehören diese Protagonisten allesamt nicht ins TV-Studio zum Kanzlerduell von ARD und ZDF, sondern auf die Couch.
Es gibt rote, grüne, schwarze und blaue Minderwertigkeitskomplexe, deren verbindendes Element die Furcht vor dem Auffliegen ist. Sie alle empfinden gegenüber dem Andersdenkenden nicht Respekt, sondern Angst. Deshalb wird in diesen Tagen auf Teufel komm raus geblufft. Je fester die Stimme, desto weicher die Knie.
Alle Beteiligten wissen: Es ist nicht nur wichtig, im Fernsehen aufzutreten. Noch wichtiger sind die vorher ausgehandelten Regeln, nach denen das TV-Ereignis Kanzler-Duell sich vollziehen darf.
Dabei geht es nicht nur um Redezeitbegrenzung, Verleumdungsverbote und die Objektivität der Fragen. Es geht vor allem darum, wer an dieser Debatte teilnehmen darf. Alle Protagonisten favorisieren im Grunde das Selbstgespräch.
Verständlicherweise: Nur in diesem exklusiven Format wird der Gedankenfluss nicht ständig durch fremde Argumente gestört. Wer vor lauter Parteien den Staat nicht mehr sieht, möchte an diesen Sehfehler nicht ständig erinnert werden.
So würde Scholz am liebsten nur mit Scholz sprechen – und akzeptiert allenfalls als Stichwortgeber den „Fritze“ Merz. Dem CDU-Mann wiederum ist es egal, wer unter ihm mitdiskutieren darf. Hauptsache nicht Weidel und Habeck. Die Unzufriedenen sollen schließlich CDU wählen und nicht auf dumme Gedanken kommen.
So sind sich Scholz und Merz denn einig, dass der Ober-Grüne und die AfD-Frontfrau nur nerven und deshalb ausgeladen gehören. Die beiden könnten sich doch in einem Extra-Format bewerben, so die schöne Idee, am besten nachts auf einem der Shoppingkanäle. 180-11-22: Ruf mich an.
Weil das Selbstgespräch zu auffällig wäre und auch nicht nach Demokratie aussieht, haben an dieser Stelle die Talkshow-Königinnen von ARD und ZDF ihren Auftritt. Ihr Dienstauftrag ist klar umrissen: Sie sollen fragen, aber nicht nerven. Sie dürfen vor allem keine Antworten erwarten.
Bevor die Debatte über die Debatte weiter eskaliert, sei hier ein Vorschlag des amerikanischen TV-Journalisten Chris Wallace aufgegriffen. Der hatte im Präsidentschaftswahlkampf 2020 zwischenDonald Trump und Joe Biden die glänzende Idee, auf jegliche Moderation zu verzichten und die Kontrahenten im ansonsten leeren TV-Studio sich selbst zu überlassen.
Der Kerngedanke leuchtet unmittelbar ein: Wer später als Präsident mit Fieslingen und Despoten aller Art ins Geschäft kommen muss, sollte auch in der Lage sein, mit einem demokratischen Kontrahenten ein Vier-Augen-Gespräch zu führen. Es geht in der unmoderierten Gesprächssituation um den Nachweis dessen, was Olaf Scholz die sittliche Reife nennt.
Der Kern vom Kern: Wenn auf der weltpolitischen Bühne die unterschiedlichen Charaktere aufeinanderprallen, sind doch auch kein Chris Wallace und keine Sandra Maischberger zur Stelle. Niemand achtet auf die Redezeitbeschränkung von Putin und keiner ist da, die verbalen Ausrutscher von Kim Jong-un zu ahnden.
So würden auch Alice Weidel, Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck erst im unmoderierten Vierer-Gespräch ihrer Charaktermasken beraubt werden. Die Kontrahenten könnten lustvoll denunzieren oder gesittet kommunizieren, präzise ihre Argumente vortragen oder nach Belieben Charakterattacken auf den Rivalen verüben. Endlich würden wir das Spitzenpersonal der Republik nicht nur sehen und hören, sondern erkennen.
Warum das wichtig ist: Das TV-Studio würde zum Ort der Aufklärung, oder, wenn alles schiefgeht, zum Käfig voller Narren. Auf das der Schriftsteller Botho Strauß widerlegt und nicht vor laufenden Kameras bestätigt würde:
"Ich freute mich auf ein geistiges Duell mit dir, und jetzt sehe ich, dass du unbewaffnet bist. “
Rund eine Million Syrer leben in Deutschland – 80.000 davon arbeiten in Berufen, in denen der Fachkräftemangel besonders groß ist, wie eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) berechnet hat.
Die neuen syrischen Machthaber werben im Ausland bereits dafür, dass ihre Landsmänner und -frauen in ihre Heimat zurückkehren und beim Wiederaufbau unterstützen. Der Anführer der HTS-Miliz, Ahmed al-Charaa, setze besonders auf jenes Humankapital, das unter der Herrschaft von Baschar al-Assad das Land verlassen hatte, hören meine Kollegen aus „Hauptstadt – Das Briefing“ aus Regierungskreisen.
Fachkräfte-Lücke wird größer: „Jede top-integrierte Pflegekraft, die aus der Altenpflege ausscheidet, hinterlässt eine empfindliche Lücke“, warnt die Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Pflege, Isabell Halletz. Auch viele andere Branchen sind betroffen.
Experten, Verbände und Politiker fordern daher bessere Bleibeperspektiven für syrische Fachkräfte. Was genau, lesen Sie in „Hauptstadt – Das Briefing“.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hat den Höllenjob des Jahres 2025. Der Nachfolger von Kevin Kühnert soll die Kanzlerträume des Olaf Scholz erfüllen und den Absturz der SPD von Lars Klingbeil verhindern.
Sein Gegner heißt Merz; sein Herz schlägt dicht bei Habeck: „Ich bin ein Rot-Grüner“, bekannte er auf der Pioneer Two im Gespräch mit Laura Block und Alev Doğan.
Der Wähler in all seiner Wankelmütigkeit ist Miersch zuweilen ein Rätsel:
"Vor vier, fünf Jahren waren alle für Klimaschutz. Abstrakt. Immer, wenn Klimaschutz konkret wird, haben wir ein Riesenproblem. “
Die Ungereimtheiten im SPD-Wahlprogramm kamen auch zur Sprache. So steht im Entwurf zum SPD-Wahlprogramm, dass das obere Prozent steuerlich stärker belastet werden soll, um 95 Prozent der Steuerzahler zu entlasten. Aber wie soll das geschehen? Die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz wolle man herauf-, nicht herabsetzen, sagt Miersch – diese liegt aktuell bei 66.761 Euro. Und auch für die Reichensteuer gelte:
"Wir werden den Reichensteuersatz sicherlich nicht nach unten verschieben. “
Der liegt aktuell bei knapp 278.000 Euro. Wie reich man sein muss, um von der SPD tatsächlich stärker besteuert zu werden, bleibt vorerst ein Mysterium, Miersch verweist eisern auf den SPD-Parteitag im Januar. Gefragt, ab welchem Brutto-Einkommen er denn ganz persönlich Menschen als reich definieren würde, heißt es:
"Ein Jahreseinkommen von 130.000 ist schon ein sehr guter Verdienst. “
Mehr von ihm und seinen beiden Gastgeberinnen hören Sie heute Morgen im Pioneer-Podcast.
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Thomas Brussig, die neben Jenny Erpenbeck markanteste literarische Stimme der Nachwende-DDR, feiert heute seinen 60. Geburtstag. Am 19. Dezember 1964 wurde der Schriftsteller und Drehbuchautor in Ost-Berlin geboren. Im September, kurz vor der Landtagswahl in Brandenburg, sprach Brussig mit The Pioneer über die Seelenlage in den ostdeutschen Bundesländern.
Der Autor schrieb „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ sowie die dazugehörigen Drehbücher. Auch „NVA“ und das Libretto zum Udo Lindenberg Musical „Hinterm Horizont“ stammen aus seiner Feder. Aktuell ist er Stipendiat der „Villa Massimo“ in Rom.
Nach seinem Abitur jobbte er – wegen seiner Unstimmigkeiten mit dem DDR-Regime – zunächst als Hotelportier, Museumspförtner und Tellerwäscher. Erst nach der Wende begann er ein Soziologiestudium, wechselte dann 1993 zur Dramaturgie an die Potsdamer Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Babelsberg.
1995 erschien sein Roman „Helden wie wir“. Mit dem politisch-satirischen Werk über den Antihelden mit dem unhandlichen Namen Klaus Uhltzscht, der den Fall der Mauer erzwingt, schaffte Brussig in Deutschland und international den Durchbruch.
Mit der Mauerkomödie „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ von 1999 ging er erst vergangenes Jahr noch auf Tour in den Vereinigten Staaten. „Ein schönes Buch über eine unschöne Zeit“ beschrieb der Autor es selbst. Brussig beschreibt die DDR liebevoll, ohne dem System zu huldigen. Mit Witz, ohne das Leid zu vergessen. Er kritisiert scharf, ohne das normale Leben kleinzureden.
Jonathan Franzen, der Brussigs Sonnenallee ins Amerikanische übersetzte, schrieb in seiner Einleitung, Brussig erinnere mit seinem Schreiben an eines:
"Selbst wenn der öffentliche Raum zu einem Albtraum wird, können die Menschen privat ihre Menschlichkeit bewahren, albern sein und verzeihen. “
Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in den neuen Tag. Wir lassen uns trotz Weihnachtsendspurt nicht stressen – versprochen. Herzlichst grüßt Sie,
Ihr
Gabor Steingart
The Pioneer
Consulting Sales & Marketing, IT, Fashion & Textiles, Real Estate
1 WocheDie klaren Worte, lieber Herr Steingart, gefallen ungemein. Was die Polit-Akteure anbelangt: Gleiches Recht für alle demokatischen Parteien, die im Bundestag sitzen. Der Wähler hatte seinerzeit gesprochen! In einer Demokratie gibt es keine Bevorzugung, Diskriminierung, Kungelei, Selbstgefälligkeit, Diffamierung, Verunglimpfung oder Machtmissbrauch. Oder sollte sich in der Aufzählung ein Begriff wiederfinden, bei dem wir es nicht so wirklich ernst nehmen? Und was die zu erwartenden Moderatoren anbelangt: Weg mit diesen täglichen Selbstdarsteller*innen der quälenden Talk-Runden in ARD und ZDF, die wir schon so lange dulden müssen, und die in ihrer Selbstgefälligkeit an Moral, Rechthaberei u.a. Unarten kaum mehr zu ertragen sind. Eine Wunschmoderatorin wäre z.B. Susan Link, die nicht nur äußerst intelligent, sondern ausgewogen, neutral, professionell, äußerst souverän, sympathisch sowie beeindruckend kompetent daherkommt. Und das hat nichts mit ihrem Werdegang, startend in Wuppertal, zu tun.