Keiner verändert sich allein: Auch Führungskräfte nicht.
j. plenio, stocksnap.io

Keiner verändert sich allein: Auch Führungskräfte nicht.

Wer bekannte Führungs- und Beratermedien verfolgt, kann leicht den Eindruck gewinnen: Wenn sich jetzt nur noch die Führungskräfte ändern, brechen die Dämme. Die Transformation geht voran und alles wird gut.

Doch diese Führungskräfte tun das nicht. Sie verändern sich einfach nicht. Oder wenn, dann nicht schnell genug. Wohl auch deshalb wird ihr Widerstand in regelmäßigen Abständen mit Umfragen, Blogbeiträgen und Artikeln weichgeklopft. Im Zweifel geht damit die ultimative Forderung einher: Es geht auch ohne Führungskräfte.

Veränderungen finden immer in sozialen Gefügen statt

Seit die verschiedenen Systemtheorien aufgezeigt haben, dass sich Veränderungen von lebenden Systemen immer in einem Beziehungsgefüge vollziehen, stellt sich doch eine interessante Frage: Was hindert Chefs daran, sich selbst zu verändern?

Meist wird auf diese Frage mit den Klassikern geantwortet: Machterhalt, Narzissmus, Ignoranz, Karriereknick, Unfähigkeit, Überforderung und so weiter. Das sind Gründe, die nahezu alle auf die individuelle Ebene zielen. Auffällig, nicht wahr?

Ich möchte gar nicht ausschließen, dass es bei dem einen oder anderen nicht auch solche Ursachen geben kann. Was beim Finden von Antworten meist aus dem Blick gerät, ist das soziale Umfeld, in dem Führungskräfte agieren - beruflich wie privat.

Nun ist das ja alles weder vollkommen falsch noch richtig. Und auch nicht neu. Vermutlich liegt die Wahrheit - wie so oft - irgendwo dazwischen.

Status verleitet zu Gefügigkeit und Bindung

Ein kurzer Blick zurück. Nahezu alle Unternehmen kommen aus dem Zeitalter der Industriekultur: Vertikale Hierarchien, geprägt durch patriarchale, autoritäre Autorität. Führung gekoppelt mit Status. Artefakte machten diesen Status deutlich, wie beispielsweise ein Titel auf der Visitenkarte, der Firmenwagen, mehr Geld, andere Kleidung ("white collar") oder Einladungen zu exklusiven, gesellschaftlichen Veranstaltungen.

Nicht nur, dass Firmenleitungen oder das Personalwesen diesen Status mehr oder weniger bewusst als Gefügigkeits- und Bindungsinstrument nutzten. Denn wer will schon Annehmlichkeiten wieder hergeben?

Auch Familie und Freunde, neben Nachbarn und Bekannten, nehmen wahr, dass "man es geschafft hat". Im Äußeren ist das häufig sichtbar daran, dass die Familie zum Beispiel mehrmals im Jahr in den Urlaub fährt. Oder, dass alle drei bis vier Jahre ein neues Auto in der Einfahrt steht.

Mit der Zeit werden bei vielen Chefs solche Status-Artefakte identitätsbildend, was nicht selten auch daran zu erkennen ist, dass sie bei ihrer Vorstellung sagen: Ich heiße Max Möhre und bin Leiter XYZ, statt ich bin Max Möhre und arbeite als Leiter XYZ.

Scham als Veränderungsblockade

Führungskräften ist zumeist unbewusst schnell klar: Wenn sie nicht mehr Führungskraft sind beziehungsweise in der Hierarchie absteigen, geht meist auch der Status und Einkommen verloren.

Was wird dann wohl die Ehefrau sagen, wenn sie von den Nachbarn angesprochen wird, wenn der Dienstwagen fehlt? Wenn der Skiurlaub permanent ausfällt? Wie reagieren die Kids, wenn sie nicht mehr mit teuren Markenklamotten herumlaufen und regelmäßig das neueste Smartphone rumschleppen können? Was soll man dem Bekannten beim Grillen erzählen, wenn man nicht mehr Chef ist? Er aber vielleicht noch …

Nicht nur, dass bei Führungskräften durch Veränderungen die Sorge vor dem Druck des sozialen Umfelds entsteht. Auch ein möglicherweise verzerrtes Bild des Selbstwerts, der sich verschränkt hat mit Status und Insignien, bedroht die eigene Identität: ich habe es nicht (mehr) geschafft, habe verloren, bin nichts mehr wert. Das beschämt, das bedroht die Würde.

Gesichtswahrende Ausstiegsprogramme

Auch durch die Forschungen des israelischen Psychologen Uri Weinblatt wissen wir, dass Scham Lernen und Entwicklung blockiert. Scham dient als Schutz vor dem Verlust der Würde. Wenn Scham mit großer Wahrscheinlichkeit Veränderung blockiert, stellt sich die Frage, wie Unternehmen die Würde von Führungskräften, und selbstverständlich auch allen anderen, in der Transformation wahren.

Mit dieser Perspektive auf den Stillstand sind vielleicht nicht mehr nur die Führungskräfte die Doofen, die alles blockieren, sondern sie sind Menschen mit Bedürfnissen, wie alle anderen auch. Wie wäre es, das Thema Scham und Würde - nicht nur, aber auch - bei Führungskräften mitzudenken? Bevor die Öffentlichkeit die immer gleichen und mittlerweile langweilen Simplifizierungen adressiert, warum Chefs sich selbst nicht verändern und an ihren Posten kleben.

Möglicherweise braucht es gesichtswahrende Ausstiegsprogramme, die die Würde schützen und es Menschen möglich macht, sich in ihren sozialen Umfeldern zu verändern. Hilfreich könnte dabei auch sein, sich mit der Haltung der neuen, horizontalen Autorität in der Führung zu beschäftigen. Unter anderem unterlässt diese Führungshaltung des 21. Jahrhunderts konsequent die Beschämung anderer, achtet auf Gewaltfreiheit und die Wahrung der Würde.

Denn: Keiner verändert sich allein. Oder ist das bei Ihnen anders?



Dieser Artikel erschien im September 2018 zuerst bei SpringerProfessional Management.

Literaturtipp: Mit neuer Autorität in Führung, SpringerGabler, 2017

... oder auch als Hörbuch

Claudia Gross

Assistentin Betriebsleitung

6 Jahre

Doch,die gibt es.Die verraten das aber nur,wenn man in kleinem Kreis gemütlich mit lecker Weinchen zusammen sitzt.Dann kommen diese Wahrheiten auf den Tisch.In deren Vita steht dann aber: Unternehmensentwickler😂😂😉

Manuela Hagn

Senior Technical Trainer & Coach at Bertrandt

6 Jahre

Oft ist ja tatsächlich der Wunsch da, das sich etwas ändert, allein die Konsequenz des Handelns fehlt. Und wenn wir genau hinschauen, dann sehen wir auch, warum. Es liegt an der inneren Einstellung. Wer möchte, dass SICH etwas ändert, der sieht sich selbst nicht als Teil oder Mitwirker an der Veränderung. Die Einstellung "ich hätte das gerne anders, aber (in unserem Umfeld) ist das nicht möglich" ist immer noch recht verbreitet. Wer als Führungskraft beispielsweise nicht mehr als archaisch wahrgenommen werden möchte, muss sein eigenes Handeln ändern. Wer sein Handeln ändern möchte, muss erst einmal erkennen, warum er bisher so gehandelt hat, und sich aus diesen Zwängen befreien.

Boris Metlar

CPTO @ comrce group 🖤 Simplify your e-commerce with comrce!

6 Jahre

Man sollte hier auch ganz klar zwischen den eigentlichen Motivationsgründen verschiedener Führungskräfte unterscheiden. Gerade die, die den Job nur aus materiellen Gründen machen, werden in Zukunft Probleme bekomme. Wenn ich meine Motivation nur daraus schöpfe, welchen Firmenwagen ich fahre und wie hoch die Prämie ausfällt, dann knallt es spätestens, wenn die Geschäfte mal einknicken. Und das wird bei vielen Unternehmen bald der Fall sein. In solchen Zeiten braucht man dann aber keine Verwalter sondern Treiber, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, den Blick in die Zukunft gerichtet haben und sich keinen Zacken aus der Krone brechen, weil sie auf Benefits verzichten müssen. Solche Menschen sind authentisch und können Mitarbeiter mitziehen - und das wird der entscheidende Punkt sein. Der Wandel bei Führungskraften wird kommen, zwangsläufig, und zwar so, dass viele plötzlich keine Führungskräfte mehr sein werden.

Claudia Gross

Assistentin Betriebsleitung

6 Jahre

Der Unternehmenswandel ist auf jeden Fall im Gange,aber eine Führungskraft,die nach ihren “Wahrheiten“gefragt wird und darauf antwortet:Kohle und Firmenwagen,verrät doch schon wessen Geistes Kind sie ist.Wie soll so ein “leader“ jemals Verbundenheit mit seinem Team,Aufrichtigkeit und Loyalität implementieren? Schwierig.

Dragan Stanojlovic

Einige Leute sind wie Investitionen , und andere wie die Kosten !

6 Jahre

Viele Vorurteile, mich persönlich stören genau diese Vorurteile! Führungskräfte ändern sich ständig! Das dumme Geschwätz was die Nachbarn sagen oder das soziale Umfeld ist für viele Führungskräfte egal, Selters schmeckt genau wie Champagner, frage ist nur auf was habe ich heute Lust, Gucci ist genau so warm wie H&M je nach dem was gerade oben im Schrank steht , Golf bringt mich zum Ziel genau so wie 7er BMW, also Urteilt nicht danach was ihr sieht sondern was trägt ihr selber zum Unternehmenserfolg bei !

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