Kurzfristige Gewinnnmaximierung riskiert Zukunft! Was hat das zu tun mit #NewWork, #WOL und #Gesellschaft40?
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
mit seinem Beitrag „Gewinnmaximierung riskiert Zukunft“ und seiner neuen Erfolgsformel und Unwuchtkybernetik hat Dr. Bodo Antonic den Nerv der Zeit getroffen. Innerhalb weniger Tage haben fast 10.000 Leser das Interview zum Thema gelesen. Grund genug für einen Teil II. Hier erläutert Dr. Bodo Antonic was das mit New Work, WOL (Working out Loud) und Gesellschaft 4.0 zu tun hat.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr Team der Competence Site.
Unverhofft kommt oft – 10.000 Leser gegen Gewinnmaximierung?
Sie haben sich unlängst in einem Interview dazu geäußert, warum kurzfristige Gewinnmaximierung Zukunft riskiert. Innerhalb kurzer Zeit schoss dieser Beitrag bei LinkedIn auf fast 10.000 Leser bzw. genauer 10.000 Zugriffe – eher ungewöhnlich für ein Thema jenseits der diversen Hypes. Ist das Ausdruck einer neuen postmateriellen Grundstimmung oder können Sie das auch rational erklären?
Dr. Bodo Antonic
Naja, ob das alles so rational ist, das vermag ich nicht zu sagen. Professor Kruse sprach ja viel von Resonanz und dass Dinge in dichten Netzen auch aus sich heraus entstehen können, so sie Relevanz haben. Zu Ihrer Frage: Woher kommt diese Resonanz, woher die Relevanz des Postmaterialismus, wieso entdecken Menschen andere ökonomische Perspektiven und ihre Spiritualität sogar bis dahin, dass sie irgendwelchen Gurus hinterher rennen?
Erst hatten wir den lieben Gott, also ein ewiges Wesen, dann das ewige Jerusalem bzw. Rom, es kam der Kaiser und zuletzt dieser unsägliche ‚Wahn-Sinnige‘ aus Braunau.
Alle „verstarben“ und hinterließen damit ein Sinn- und Identitätsvakuum. Zu guter Letzt kam der sogenannte Kapitalismus, oft sinnstiftend ummantelt mit Freiheit, Individualität und anderen hohen Werten, in der Realität nichts weiter als ein den blanken Materialismus bedienender Sinnstifter („Wir werden alle reich!“) und – naja – auch dieser müffelt nach den Rückschlägen der Vergangenheit mittlerweile ganz gewaltig.
Sein Leistungsversprechen ist schlichtweg unglaubwürdig geworden und daher wenden sich Menschen nun einem neuen Sinnversprechen zu.
Würden Sie den Kapitalismus denn lieber abschaffen?
Dr. Bodo Antonic
Missverstehen Sie mich nicht! Ich mag den Kapitalismus, so wie ich ihn begreife. Hier geht es aber dann eben nicht um Materialismus, sondern um Organisation von Arbeit bzw. Kooperation, um Mehrwerte und um die Kraft der kreativen Zerstörung, ganz im Sinne Schumpeters.
Dieser Kapitalismus, den ich meine, hat nichts mit der Marx´schen Dialektik zu tun. Er braucht keinen geilen Geiz, keine ich-bin-doch-nicht-blöd-Unkultur. Er braucht nur eine Rückbesinnung auf die drei Säulen Organisation von Kooperation, Mehrwertbildung und kreative Zerstörung, um damit zukunftsfähig zu bleiben, aber vor allem um Menschen und Unternehmen zukunftsfähig zu machen.
Die bisherige Logik bzw. die kurzfristige Gewinnmaximierung, also den QROIs (Anmerkung der Redaktion: QROI, der ROI der Quartale) und das Effizienz-Paradigma haben in VUCA-Zeiten, also in Zeiten der Unruhe und der Umbrüche, zu einer Instabilität bzw. Fragilität, wie es Taleb nennt, geführt.
Abb 1: Ein V-Modell für die Zukunftsfähigkeit in VUCA-Zeiten (Antonic, Felser)
An die Stelle eines kriselnden Kapitalismus und Unternehmen, die nur auf Effizienz&Exploitation setzen, muss etwas anderes treten?
Dr. Bodo Antonic
Kein neues Denken, aber ein Denken, in dem wir uns auf etwas zurückbesinnen, was früher gut war und heute nach wie vor richtig ist: Auf die Nachhaltigkeit. Denken Sie an die Forstwirtschaft.
Bäume brauchen zwischen 100 und 300 Jahren, bis sie erntefähig sind. Was ist da ein Quartal? Firmen wie die BASF, Bayer und Mercedes sind über 100 Jahre alt. Und wieder – was ist da ein Quartal? Nichts!
Nun mag der ein oder andere sagen, dass meine Worte nichts mit der Realität börsennotierter Unternehmen haben. Ja, und diese Menschen haben recht.
Börsenmärkte funktionieren anders. Ursprünglich als Geldbeschaffungsinstrument angedacht, haben sie sich verselbständigt und leben eine Logik, die den Unternehmen bisweilen zum Schaden gereicht.
Manch einer würde sagen, „…aber der Markt will das so!“.
Dr. Bodo Antonic
Ich kenne keinen Herrn Markt, er wurde mir nie vorgestellt, seltsamerweise niemandem anderen auch und doch handeln alle, als ob es ihn gäbe. Seltsam, oder?
Märkte müssen den Menschen dienen, den Unternehmen und nicht umgekehrt.
Ich kann mich nicht rechtfertigend auf den Markt beziehen, ich als Mensch treffe Entscheidungen und übernehme Verantwortung.
Doch zurück zum Ausgangspunkt. Wir brauchen ein Umdenken und das V-Modell bietet uns einen Sinn- und Organisationsrahmen, obwohl es eigentlich nur eine Skizze sein sollte, die verschiedene Teilaspekte des Neudenkens vernetzt. Mit dem V-Modell haben wir eine Beschreibung, die dokumentiert, warum der von uns so genannte ‚klassische‘ (im Sinne von lange etablierte) oder besser eigentlich verirrte Kapitalismus, ganz im Sinne Marx‘, kriseln muss. Die Fixierung auf Effizienz, auf Quartals-Ergebnisse, auf Exploitation im wahrsten und manchmal maximalen Sinne widerspricht dieser Baum-Metapher der Nachhaligkeit und dem bedingten Sinn von Markt.
Durch eine Neu- und Rückbesinnung erfahren wir jedoch einen Lösungsweg Das Ganze ist nichts weiter als ein moralischer und dann ökonomischer Schalter, den wir umlegen müssen.
Wir müssen den Wandel schaffen von der kurzfristigen Gewinn-Orientierung, die nur Analysten und Spekulanten glücklich macht, zum nachhaltigen Erfolg.
Wir müssen den Wandel schaffen von der reinen Effizienz-Logik zu einer Logik neuer Effektivität, die auch neue Jobs schafft, von der Exploitation, die nur auf Silos und Skaleneffekte setzt und die letzte Freiheit raubt, zur Exploration, die Raum für Innovation schafft – und damit von einer fragilen Welt hin zu einer Welt, die im Sinne Talebs Antifragilität anstrebt.
Kurzfristiges Cost-Cutting und ein letztes kurzes Aufblühen schaffen viele, deswegen ist es auch so verführersisch. Wirklich herausfordernd ist die langfristige Sicherung der Zukunftsfähigkeit. Dazu müssen wir nicht nur Unternehmen, sondern auch Menschen befähigen. Und dies geschieht im Elternhaus und in der Schule und Universität, wo Menschen heute eher im Sinne des alten Paradigmas konditioniert werden.
Exploitation vs. Exploration – Erfolgsformel & Unwuchtkybernetik
Um den Spagat von Exploitation versus Exploration, also von altem und neuem Geschäft bzw. von Effizienz und Innovation zu managen, empfehlen Sie eine neue Erfolgsformel jenseits vom reinen ROI und eine neue Unwuchtkybernetik. Sie berufen sich dabei nicht nur auf Osterwalder, sondern vor allem auf Taleb. Können Sie uns beide Konzepte noch einmal skizzieren? Inwieweit wird eine reine ROI- und Effizienz-Fixierung damit für ein Mehr an kurz- und langfristiger Antifragilität aufgehoben?
Dr. Bodo Antonic
Die Erfolgsformel, wenn man das so nennen will, besteht aus zwei Elementen.
Zum einen haben wir das Thema Unwucht-Kybernetik.
Dies ist eine Kombination aus einer gezielten Unwucht und einer Werteorientierung. Platon hätte das mit dem Wort Mäeutik beschrieben, mit der Kunst des kritischen Hinterfragens. Wir müssen raus aus dem Korsett des „das fragt, denkt und sagt man nicht!“. Wir müssen wieder lernen, die Fragen zu stellen, die uns auf der Zunge liegen. Nicht zu fragen, verhindert Heilung und Lösung, unterbindet Erkenntnis. Fragen ist das kommunikative Instrument schlechthin, mit dem wir Schumpeter zu seinem Recht verhelfen. Fragen zu stellen, bedeutet ja auch ‚in Frage zu stellen‘, das gefundene Gleichgewicht zu stören. Fragen verhindern die selbstgefällige Homöostase und eröffnen einen Unsicherheitsraum, der die Revitalisierung geradezu ansaugt.
Wie geht es denn konkret weiter, wenn wir diese Unwucht in das Unternehmen eingebracht haben? Kann es zu einer Art ‚Über-Unwucht‘ kommen, die nicht mehr beherrschbar wird?
Dr. Bodo Antonic
Haben wir diese Unruhe, wollen aber nicht, dass es uns das System zerreisst.
Wir brauchen ich ein ruhestiftendes Element. Dieses kann ganz eindeutig aus dem Wertesystem eines jeden Unternehmens abgeleitet werden. Die Frage lautet also, lassen Sie mich ein wenig sticheln, nicht wieviel Cash man in diesem Jahr gemacht hat, sondern welche zentralen Werte daraus abzuleiten sind.
Und wieder mögen Sie sagen: Der Antonic, der spinnt. Esoterisches Gedöns. Jedoch, ich insistiere. Wir müssen nur Unternehmen von vorne denken, nicht von hinten. Erst kommt der Input – Werte, Ressourcen et cetera – dann kommt das Ergebnis. Lassen Sie uns die Ursachen-Wirkungs-Beziehung wieder von der richtigen Seite denken.
Geben Sie dem Esel ordentlich Heu, Wasser und Liebe – und die Dukaten kommen von alleine. Wie viel mehr sollten wir wir eine "investiv-altruistische" Handlungsweise gegenüber unseren Mitmenschen leben.
Gerade die (empirische) Verhaltensökonomie wird uns wahrscheinlich in Zukunft noch viel klarer erkennen lassen, wieviel produktiver eine solche Handlungsweise ist, wenn sie zum allgemeinen Prinzip einer Gesellschaft wird. Schon heute scheinen Studien zu belegen, dass Gesellschaften überlegen sind, wenn sie eine solche Kultur auszeichnet, wie sie z.B. in den skandinavischen Ländern zu finden ist.
Nun zum Exploit/Explore-Quotienten. Was genau kann er leisten?
Dr. Bodo Antonic
Er hat in jedem Falle eine recht hohe prädiktive Güte und koppelt auch ganz vortrefflich in eine ambidexträre Organisation zurück. Letztendlich zeigt er ja lediglich auf, dass eine Unternehmung nur auf die Gegenwart setzt oder auch die Zukunft im Auge hat.
Man kann die Zukunft leicht vergessen, wenn das Abschöpfen unseren im Heute lebenden Hirn so verlockend erscheint. Ich kann das Geld heute ausschütten oder investieren. Und dann kann ich das Geld für ganz ganz ganz neue, verrückte Dinge investieren oder in die Dinge, die wir schon kennen und die man ständig weiterpflegen muss. Etwas akademischer ausgedrückt heißt das nach Gälweiler: Ich kann mein Geld in die Sicherung bestehender Gewinnpotenziale stecken, ich kann aber auch mein Geld in den risikobehafteteren Bereich des Entdeckens neuer Gewinnpotenziale investieren.
Somit drückt der Exploit/Explore-Quotient auf fast triviale Weise aus, ob das Management mutig oder ängstlich ist, er zeigt an, ob ein Unternehmen ambidexträr ist, ob das Management beidhändig in der Lage ist, die Bälle in der Luft zu halten – oder – ob das Management nur der Logik des schnellen Gelds, der Einfallslosigkeit und einer fragilen Unternehmenszukunft folgt. Das kann man sicherlich auch mit komplexeren Formeln dokumentieren, aber manchmal ist Einfachheit pädagogisch erfolgreicher.
Wie genau spielen der Quotient und die Unwucht-Kybernetik zusammen?
Dr. Bodo Antonic
Und genau das ist quasi der unsichtbare dritte Punkt. Beide verstärken sich, da beide die heute bestehende und zugleich kriselnde Form des Kapitalismus in Frage stellen respektive dessen Krise aufnehmen, verstärken, aber auch zugleich eine Lösung für einen modernen Kapitalismus darstellen. Unwucht-Kybernetik und der Quotient stellen in Frage und verstärken sich in ihrer mäeutischen Kraft. Schumpeter würde sich freuen.
Unwucht-Kybernetik und die Erfolgsformel eines balancierten Exploit-Explore-Ansatzes stellen eine rein auf Abschöpfung ausgerichtete, moralisch UND ökonomisch fragwürdige Form des Kapitalismus auf den Prüfstand und weisen uns den Weg in einen ökonomisch nachhaltigen und zugleich sinnaufgeladenen Kapitalismus.
Vielleicht bin ich ja ein wenig versessen auf alles, was in Frage stellt. Dennoch glaube ich, dass genau dies als Ausdruck all dessen verstanden werden kann, was uns als Alltagserfahrung umgibt. Aber das ständige Kommen und Gehen, das Entstehen und Vergehen, welches der Mensch in seiner Ökosphäre nachempfinden kann, spiegelt sich im V-Modell. Tod und Leben, Wolfsches und Pauwlessches Gesetz, alles lebt und kann nur leben, wenn es in Frage gestellt wird, sich in partieller Inbalance befindet und damit agil ist - ganz jenseits der Diskussion, was agil wirklich, wirklich ist ;-).
Motivation von New Work, WOL und Co durch das V-Modell
Ihrer Meinung nach erklärt die Krise des alten Paradigmas auch die Popularität von Ansätzen wie New Work, WOL & Co. Inwiefern hat die Bürogestaltung etwas mit einem kriselnden oder zukunftsfähigen Kapitalismus zu tun?
Dr. Bodo Antonic
Unternehmen spüren intuitiv oder durch klare Analyse, dass sie andere Plattformen für eine zukunftsfähige Wertschöpfung brauchen. Menschen möchten sich austauschen, insbesondere Kopf- bzw. Wissensarbeiter – und diese nehmen im Zeitalter der Digitalisierung schlichtweg zu. Menschen wollen wahrgenommen werden, wollen sich zeigen – vor allem, wenn sie vor kurzem einer von fünf Milliarden und morgen von acht Milliarden sind. Wir wollen keine Ameisen sein und werden uns von Tag zu Tag bewusster, dass wir es dennoch irgendwie sind. Daher kommt Arbeit als Möglichkeit der Sichtbarwerdung eine besondere Bedeutung, eine sinnstiftende Bedeutung zu.
Und offene Räumlichkeiten fördern dies?
Dr. Bodo Antonic
Na klar.
Wie soll ein beweglicher Geist in einer engen Schachtel namens Büro entfaltet werden? Wie soll der zur Kreativität angeregt werden? Geist will fliegen, will entfesselt werden und eben nicht in kommunikativen Ketten verrotten.
Doch dazu braucht es Austausch und dieser kann nur in offenen Räumlichkeiten entstehen, in die die Ideen quasi hineindiffundieren. Können Sie nicht atmen, können Sie nicht denken, so einfach ist das. Ich warne jedoch an einer Stelle. Nur offene Räume sind nach meinem Dafürhalten nicht gut. Der erwachsene Mensch braucht Intimität, erst durch die Abgrenzung entsteht erwachsenes Ich, entsteht Identität und Intimität.
Man sieht das ganz toll bei jungen Menschen, die sich entwickeln. Auf ihrem Weg zum erwachsenen Ich beginnen sie sich zu genieren, drehen sich um beim Ausziehen der Badebekleidung, sagen Nein zu den Blicken ihrer Umgebung. Zudem braucht Geist auch Ruhe, um erfolgreich denken zu können. Wir brauchen also eine gute Kombination aus offenem Raum, Netzwerken und Ruhe.
Freiheit und Unwucht-Kybernetik
Wo kann man Sie treffen, wen man mehr erfahren möchte …
Dr. Bodo Antonic
U.a. freue ich mich auf den Austausch beim Pre-Opening der Zukunft Personal – HR Macht Next Act – am 18.9. und anschließend den IOM Summit am 20.9.2017. Ansonsten kann man mich immer anmailen oder anrufen, meine Kontaktdaten findet jeder im Netz.
Vielen Dank für das Interview!