Liebe Frau Dr. Acad. Sommer,

Liebe Frau Dr. Acad. Sommer,

 ich leite eine Hochschule und bin mit dem Team im Präsidium und der Zusammenarbeit ganz zufrieden. Bis auf eine Ausnahme! Einer der neuen Vize-Präsidenten ist unorganisiert und bringt seinen Bereich nicht so voran, wie ich mir das vorstelle. Am liebsten hätte ich eine Neubesetzung. Wie lege ich dem Kollegen schonend den Rücktritt nahe?“

– fragt ein Präsident.

 

Liebe_r X,

hier ist wirklich Fingerspitzengefühl gefragt. Und obwohl ich es grundsätzlich richtig gut finde, wenn Führungskräfte Leitplanken setzen und Erwartungen klar kommunizieren, ist mein erster Gedanke, noch einmal einen Schritt zurückzugehen.

Denn: Als Präsident\_in leiten Sie das Präsidium und haben die Vize-Präsident\_innen wahrscheinlich vorgeschlagen. Eine klassische Führungskraft für die anderen Mitglieder im Präsidium sind Sie jedoch nicht. Alle sind in ihre Ämter gewählt und Kraft dieses Votums der akademischen Kollegialorgane in ihren Funktionsrollen unabhängig. Sie müssten entsprechend durch einen Wahlvorgang abgewählt werden. Es ist natürlich möglich, dass Sie den Kollegen zum Rücktritt auffordern. In der Praxis geschieht dies vor allem dann, wenn es zu einem Zerwürfnis oder einem Vertrauensverlust gekommen ist oder wenn ein eklatantes Fehlverhalten vorliegt. Das scheint hier aber nicht der Fall zu sein. Deshalb mein Impuls: Sind wirklich „Hopfen und Malz verloren“? Sie haben mit dem Kollegen offenbar eine gute Vertrauensbasis – das ist sehr viel wert! Eine als unorganisiert empfundene Arbeitsweise ist sicher anstrengend, muss aber nicht in Stein gemeißelt sein. Sie könnten sich fragen, woran genau Sie merken würden, dass der Kollege ein Stück weit besser organisiert ist. Was konkret wünschen Sie sich anders von ihm? Vereinbaren Sie mit ihm Gespräche über die Zusammenarbeit im Präsidium und formulieren Sie Ihre konkreten Veränderungswünsche. Da der Kollege neu im Amt ist, wird er eine konstruktive Rückmeldung zum Ausfüllen seiner Rolle wahrscheinlich zu schätzen wissen. Auch er wird an einer guten und effektiven Zusammenarbeit interessiert sein. Gegebenenfalls könnten Sie in einem solchen Gespräch gemeinsam überlegen, inwiefern er noch stärker in unterstützende Strukturen eingebunden werden kann, etwa durch ein Präsidiumssekretariat oder die Zuarbeit durch Referent_innen. Dieses Vorgehen schlage ich ebenfalls für das Vorantreiben seines Ressorts vor. Was genau wünschen Sie sich da anders? Formulieren Sie zunächst für sich: Welche Ziele haben Sie selbst für dieses Ressort? Welche Meilensteine sehen Sie? Entwickeln Sie auch für sein Ressort eine gemeinsame Strategie und gemeinsame Ziele.

 

Mein Fazit: Bevor Sie dem Kollegen den Rücktritt nahelegen, investieren Sie Zeit und Geduld in den Versuch, den Kollegen in Ihrem Sinne im Amt anzulernen. Sollte dies misslingen, und sollten Sie noch immer den Wunsch haben, dass er zurücktritt, haben Sie für diesen Wunsch mehr Substanz und viele Beispiele, die Ihr Anliegen begründen. Sie beide könnten dann auf den gemeinsamen, leider misslungenen Versuch blicken, die Situation zu verbessern. Ihr Wunsch käme nicht mehr aus heiterem Himmel und ließe sich sicher leichter vermitteln. Behalten Sie im Blick: Er müsste einem Rücktritt zustimmen. Und Sie beide könnten dann gemeinsam einen angemessenen und unbedingt gesichtswahrenden Fahrplan für den etwaigen Rückzug des Kollegen entwickeln.



(C) Dr. Ute Symanski



Dr. Ute Symanski ist seit 2008 Coachin und Hochschulberaterin in Köln und arbeitet mit Hochschulleitungen und Führungspersönlichkeiten im Wissenschaftssystem. Für das Coachingnetz Wissenschaft e.V. berät sie als "Dr. acad. Sommer" die Scientific Community.

Kontakt:

www.futurwir.de

Sciencemanagersforfuture.de

www.coachingnetz-wissenschaft.de


Der Artikel ist erschienen In: DIE ZEIT WISSEN DREI Newsletter vom 04.03.2024.

Als Frau „Dr. acad. Sommer“ berate ich im DIE ZEIT WISSEN DREI Newsletter die Scientific Community zu diversen Fragestellungen rund um die eigene Führungs- und Leitungsrolle im Wissenschaftssystem. „Dr. acad. Sommer“ ist die Coaching-Kolumne des Coachingnetz Wissenschaft e.V. .




Dr. René Merten

Ich führe Projekte zum Erfolg, begleite Veränderungen und entwickle Karrieren in Hochschule und Wissenschaft👍

9 Monate

Dr. Ute Symanski, sehr spannender (und in der Praxis akademischer Selbstverwaltungsämter gar nicht so seltener 😉) Fall! Ich teile den Beratungsansatz voll & ganz und würde noch hinzufügen, dass die Frage der (vermeintlichen) "Unorganisiertheit" des Vizes ja nicht nur bereits auf einer Interpretation beruht, sondern letztlich womöglich nicht entscheidend ist: Vielmehr doch eher, inwiefern dies die kollegiale Zusammenarbeit als Präsidium bzw. die eigene präsidiale Arbeit behindert oder tatsächlich das Resultat daraus zu folgen ist, dass der Vize-Bereich nicht "vorankommt"?! - Sprich: Ist wirklich "Unorganisiertheit" das Hauptproblem hier oder dient dies nur als einfach wahrzunehmender Stellvertreter für Konflikte ganz woanders? Schließlich gelten viele Wissenschaftler:innen als heillos unorganisiert und schaffen Grandioses, im Management wie in der Forschung auch ... 🙂

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