„Lieber eine falsche Entscheidung als keine Entscheidung!“
Dieses Zitat stammt von einer Führungskraft, die diesen Ausspruch vor einigen Wochen in einem Führungskräftetraining getätigt hat. In diesem Artikel wollen wir beleuchten, ob diese Aussage unter allen Umständen Gültigkeit hat.
Es gibt viele verschiedene Entscheidungssituationen im Alltag einer Führungskraft, und diese erfordern ganz unterschiedliche Entscheidungstechniken. Je nachdem, ob eine Führungskraft in einer hierarchischen Organisation angesiedelt ist oder in einer eher vernetzt arbeitenden Organisation, ist das Thema „Entscheidungen treffen“ ein Privileg für Führungskräfte und Teil ihrer Führungsmacht (hierarchische Organisation) oder eher eine Rolle, die wahrgenommen wird, z. B. in einer Matrix-Organisation oder einer agilen Organisation mit Kompetenzteams.
Beginnen wir mit den Entscheidungen, die wir alle treffen, hundertfach am Tag, meist ohne uns dieser Entscheidungen bewusst zu sein. Wir folgen einem „Schnellverfahren“, dass wir über viele Jahre gelernt haben, sodass wir gar nicht mehr lange über eine einmal getroffene Entscheidung nachdenken. Das beginnt beim Aufstehen: wenn der Wecker läutet und wir auf die Schlummer-Taste drücken, haben wir unbewusst die Entscheidung getroffen, noch fünf Minuten weiterzuschlafen. Wie wir den Kaffee am Morgen trinken, darüber denkt kaum jemand bewusst nach. Wir tun es einfach. Und so lassen sich diese unbewussten Entscheidungen über den gesamten Tag fortsetzen. Robert Cialdini bezeichnet dieses Phänomen als „Comittment“. Wir sollten dankbar sein, dass wir diese Entscheidungsform beherrschen. Nicht auszudenken, alle morgendlichen Entscheidungen wirklich voll bewusst treffen zu müssen. Keine würde pünktlich ins Büro kommen. Für diese Entscheidungskategorien gilt die Aussage unserer Führungskraft eher nicht, da diese Entscheidungen ja nicht bewusst getroffen werden.
Wenden wir uns einer anderen Kategorie von Entscheidungen zu, die eine Führungskraft sicher täglich trifft. Mitarbeiter kommen mit Fragen, und die Führungskraft beantwortet diese Fragen und trifft damit für Themen, die die Mitarbeiter der Führungskraft vorstellen, eine Entscheidung. Sind diese Entscheidungen wirklich wichtige Entscheidungen oder doch eher Entscheidungen, die die Mitarbeiter selbst auch treffen könnten? Unserer Erfahrung nach gehören viele der täglichen kleinen und größeren Entscheidungen der Führungskraft in letztere Kategorie. Dennoch kosten diese Entscheidungen viel Zeit und auch Energie und verstellen dadurch oft den Blick auf die wirklich wichtigen Führungsentscheidungen.
Einer der neuen Führungsgrundsätze, die vor allem in agilen Organisationen als Basis gelten, lautet: „In Zukunft sollen Entscheidungen dort getroffen werden, wo die Spezialisten sitzen.“ Manche Führungskraft in einem hierarchischen Unternehmen hat sich dieses Satz wahrscheinlich auch schon auf der Zunge zergehen lassen und sich den Kopf zerbrochen und gedacht: „Alles schön und gut, aber wie bringe ich das meinen Mitarbeitern bei?“. Oder vielleicht auch: „Und was mache ich dann?“ Diese beiden Fragen zeigen deutlich auf: Um Entscheidungskompetenz auf Mitarbeiterebene zu delegieren, müssen sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte die dazu notwendigen Kompetenzen aufbauen.
Gehen wir dem etwas genauer nach. Was macht eine operative Entscheidung aus?
Üblicherweise sind Entscheidungen, die im Tagesgeschäft getroffen werden, Entscheidungen, die auf mehr oder weniger klaren Kriterien beruhen sollten.
Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter bekommt die Aufgabe, für ein Meeting mit der Geschäftsführung Unterlagen aufzubereiten. Bekommt der Mitarbeiter einen wirklich klaren Auftrag, was die Führungskraft erwartet, kann der Mitarbeiter selbständig arbeiten und alle im Rahmen dieses Auftrags anstehenden Entscheidungen selbst treffen. Je nachdem, wie erfahren der Mitarbeiter ist, weiß er, was die Führungskraft erwartet und wird seine Annahmen „abklopfen“; ein junger Mitarbeiter braucht diese Aspekte eher erklärt.
Am Ende werden beide Mitarbeiter eine Präsentation abgeben, die die volle Zufriedenheit der Führungskraft findet. Eigentlich müsste es dazwischen keine Rückfragen geben, bei denen die Führungskraft eine Entscheidung treffen muss. Zumindest der erfahrene Mitarbeiter sollte selbständig arbeiten können.
Wir bezeichnen diese Entscheidungen als „Kriterien-basierte Entscheidungen“ und glauben, dass diese Entscheidungen die Führungskraft unter normalen Umständen, also mit Mitarbeitern, die ihr Geschäft verstehen, nicht selbst treffen muss. Warum gibt es dann gerade in diesem Themenkreis so viele Meetings in denen der Führungskraft diese Fragestellungen zur Entscheidung vorgelegt werden?
Für uns hängt das damit zusammen, wie klar Aufträge und Ziele formuliert sind. Kennt der Mitarbeiter alle Stakeholder für die Aufgabe, kennt er den relevanten Zweck, den es zu erfüllen gilt und kennt er alle Muss- oder Kann-Kriterien, kann er frei arbeiten. Die einfache Antwort lautet, dass oft Ziele sehr vage formuliert werden, und Mitarbeiter auch nicht nachfragen, wenn sie unklare Aufträge bekommen. Manches Mal möchten Führungskräfte auch nicht die „Kontrolle“ abgeben und halten so ihre Mitarbeiter in einer gewissen Abhängigkeit.
Gilt auch hier: „Besser eine falsche Entscheidung als keine Entscheidung?“ Nein, unserer Meinung nach nicht.
In einem Bereich ist diese Aussage aber garantiert richtig. Betrachten wir die sogenannten unentscheidbaren Entscheidungen.
Es geht um Situationen, die Neuland sind. Es gibt weder Kriterien, auf denen die Entscheidung fußen kann, sondern die Intuition der Führungskraft ist mehr oder weniger die einzige echte Hilfestellung. In solch einem Fall wirken Entscheidungstools nur wenig. Hier könnten einige Prinzipien helfen:
- Innere Mehrheiten: Überlegen Sie, welche inneren Mehrheitsverhältnisse für eine gute Entscheidung bestehen müssten. Ist ein 70-prozentiges inneres Ja für Sie akzeptabel?
- Verantwortete Preise: Überlegen Sie, welchen Preis Sie für einzelne Optionen (zum Beispiel Entlassungen) zahlen müssten und wann dieser Preis zu hoch ist.
- Bewusste Risiken: Überlegen Sie, wie Sie sich fühlen würden, wenn Ihre Entscheidung eine Fehlentscheidung wäre. Könnten Sie sie dennoch vertreten?
- Körperliche Signale: Achten Sie bewusst auf das, was Ihr Körper Ihnen sagt. Wenn Sie sich bei einer Option verkrampft fühlen, bei einer anderen aber wie befreit, sind das wichtige Hinweise Ihres Erfahrungsgedächtnisses.
Quelle: Julia Zwack und Mirko Zwack, Unentscheidbares entscheiden. Artikel in managerseminare 2016: Denk Disruptiv
Genau in dieser Kategorie von Entscheidungen ist die Aussage der Führungskraft goldrichtig.
Zusätzlich braucht es aber noch eine Kleinigkeit: Viele Führungskräfte versuchen in solchen Situationen sachliche Erklärungen für diese Entscheidungen zu finden und sich so hinter einer mehr oder weniger wackeligen Argumentation zu verstecken.
Unsere Empfehlung an unsere Leser als Führungskräfte ist: konzentrieren Sie sich auf diese Kategorie von Entscheidungen und überlassen Sie operative Entscheidungen eher den Spezialisten des eigenen Teams.
Sie wollen mehr darüber wissen? Ich freue mich über Ihre Anfrage: bfs@coverdale.at