Manifest gegen Sexismus: Richtig, inhaltslos.

Manifest gegen Sexismus: Richtig, inhaltslos.

Eine Kommunikationsbranche ohne Sexismus. Das ist die Kernaussage des Manifests, die der Ad Girls Club letzte Woche veröffentlichte. Sechs Agenturen haben zum Start unterschrieben. Erreicht werden soll dieses Ziel durch... – ja, wodurch eigentlich?

Gute Idee, fragwürdige Umsetzung.

Eine Initiative, die gut und lange überfällig ist. Erst letztes Jahr wurden sexistische Vorfälle bei Scholz & Friends bekannt, die das Problem branchenweit ins Bewusstsein zurückgerufen haben. Deshalb konstatiert der Ad Girls Club gleich zu Beginn in seinem Manifest:

"Wir möchten die Branche verändern. [...] Wir handeln, statt nur zu reden!"

Doch bis zur letzten Zeile fragt man sich: Welche Maßnahmen etablieren die unterzeichnenden Agenturen, um diese Ansprüche messbar zu verwirklichen? 

Ausgerechnet in einer Absichtserklärung von Kommunikationsexpert:innen fehlt es an Kommunikation, die dieses Manifest substantiell belegt oder zumindest die Pläne, Reporting-Struktur und Timeline transparent macht. Was machen unterzeichnende Agenturen konkret, damit Frauen und unterrepräsentierte Gruppen Zugang zu Ressourcen haben, am Arbeitsplatz gedeihen und ihre Karriere vorantreiben können?

Es braucht mehr als Bekenntnisse.

Das komplexe Thema "Diversity & Inclusion" im Corporate-Sektor wird simplifiziert, denn das Manifest lässt diese Fragen offen. Laut den zwei Initiatorinnen eine bewusste Entscheidung, um Diskrepanzen zwischen größeren und kleineren Agenturen vorzubeugen. Dass dafür auf jegliche Quantifizierung verzichtet wird, ist aber nicht zielführend. 

Wenn Unternehmen eine D&I-Initiative starten, unterschätzen sie oft die benötigte Energie für die tatsächliche Umsetzung. Letztendlich handelt es sich um ein grundlegendes Change Management – und wir wissen, dass die Mehrheit solcher Veränderungsbestrebungen ihrer ehrgeizigen Vision nicht gerecht wird, weil der Wandel nicht operationalisiert wird.

Performativer Aktivismus ist schädlich für eine soziale Bewegung. 

Stellen wir uns vor: Eine Agentur unterzeichnet dieses Manifest ohne konkreten Maßnahmenkatalog. Zunächst mag dies mehr Frauen bzw. Mitglieder unterrepräsentierter Gruppen ins Unternehmen bringen, die sich durch die Botschaft wahrgenommen fühlen. Mit der Zeit werden sie jedoch durch Diskriminierung, Vorurteile und Mikroaggressionen zermürbt. Diese Last ertragen sie solange, bis sie desillusioniert von der Realität kündigen.

Das ist die wirkliche, echte Gefahr, die hinter performativem Aktivismus steckt. Es handelt sich nicht um eine überempfindliche Kritik von Social Justice Warriors, sondern um eine Warnung, dass schlechte Diversity-Bemühungen schlimmer sein können als gar keine Diversity-Bemühungen. Und die Leidtragenden sind immer marginalisierte Gruppen. Performativer Aktivismus hat kein wirkliches "social weight" - deshalb ist er so schädlich.

Sind Manifeste grundsätzlich performativ? 

Nein. Manifeste zu sozialen Belangen, die keine Business Commitments mit konkreten Timelines, Maßnahmenkatalogen und realen Konsequenzen verlangen und auf die keine Anstrengungen zur Rechenschaftslegung folgen, sind performativ.

Wir wissen durch die Vorfälle bei Scholz & Friends, dass es anders geht: Die Agentur veröffentlichte einen Aktionsplan, hinter dem neben einem festen Budget auch Maßnahmen und Timings stecken. Das Manifest haben S&F offenbar nicht unterschrieben – nicht verwunderlich, wenn der eigene Aktionsplan detaillierter ist als das branchenweite Manifest.

Was genau können Agenturen nun tun?

⚓️ D&I im Kerngeschäft verankern, indem Strateg:innen sich speziell mit dem Upleveling der Marketingkommunikation ihrer Kund:innen befassen.

🔃 D&I in organisatorische Prozesse und Praktiken integrieren, u.a. Recruiting, Beratung, Kreation, Produktion und Casting.

📣 Unternehmensrichtlinien ermitteln und implementieren, die systemischen Bias bekämpfen und unterrepräsentierte Gruppen und Frauen amplifizieren und schützen.

🤝 Eine interne Potential Leadership-Pipeline aufbauen, insbesondere für Mitarbeiter:innen marginalisierter Identitäten, mithilfe von Learning & Development-Teams, Mitarbeiter:innen-Netzwerken, Mentoringprogrammen sowie Talent Management.

Qualifikationen und Kompetenzen identifizieren, die Führungskräfte durchgängig erfüllen müssen, um Führungspositionen zu erlangen, zu behalten und aufzusteigen. Die "Fähigkeit, effektiv mit einer vielfältigen Belegschaft zu arbeiten und sie zu befähigen" muss eine dieser Kompetenzen sein.

Dies sind erste Schritte. Es ist harte Arbeit, eine homogene Kultur, die unter einer homogenen Führung steht, in etwas zu verwandeln, das inklusiver und repräsentativer ist. Deshalb ist die Haltung des Ad Girls Club so wichtig: Sie sind laut und sie bleiben es auch. Doch was sie eigentlich zu sagen haben, wird die Zeit zeigen.

Daniel Auwermann

TRAFO pioneer | Founder | Speaker | Feminist

3 Jahre

WOW - Das nenn ich mal Feedback. Undifferenziertes Feedback? „⚓️ D&I im Kerngeschäft verankern, indem Strateg:innen sich speziell mit dem Upleveling der Marketingkommunikation ihrer Kund:innen befassen.“ Bitte? - Schade eigentlich, wenn wir als #Diversity and #Inclusion Expert:innen diejenigen Bashen, die die ersten Schritte machen, um etwas zu verbessern. Natürlich sind Agenturen und zahllose andere Unternehmen noch nicht dort, wo wir es uns wünschen würden. Aber kämpfen wir in dem Themenkomplex von #Equality nicht dafür, dass wir alle die noch nicht gut unterwegs sind, bei ihren Möglichkeiten abholen? Du fragst nach den Maßnahmen die hinterlegt sind, Samet. Und gehst davon aus, es seien keine hinterlegt. Hast du eine der Agenturen gefragt? Oder ist das ein Vorurteil? Wir brauchen eine sachliche Auseinandersetzung. Die Missstände aufzeigt und Verbesserungsvorschläge macht. Aber keinen Pranger für die, die ihre ersten Schritte absolvieren. Auch wenn diese nicht gleich die absolut richtigen sind. Ich nehme mir nicht heraus, zu beurteilen, was richtig und falsch ist. Aber ich frage wenn es um Inklusion geht, wie kann das gemeinsam funktionieren.

Julia Christin Ziehm

Project Management & Communication Expert | with empathy, innovation, and effective communication.

3 Jahre

Ja schon, wird hoffentlich noch 🙏🏻

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