Marktkommentar September
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Vorbei ist die Urlaubssaison, vor uns steht der Herbst mit extrem bedeutsamen Wahlen in Österreich (Nationalratswahl am 29.09.) und den USA (Präsidentschaftswahl am 05.11.). Beide Abstimmungen werden die Marschroute für die energiewirtschaftlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise in den nächsten Jahren prägen. Dabei hat der auslaufende Sommer 2024 uns sträflich vor Augen geführt, dass die globale und lokal-mitteleuropäische Energiewirtschaft vor einer riesigen Transformation steht. Da wären einerseits die Veröffentlichung der energiewirtschaftlichen Globalstatistiken 2023 und andererseits die am Markt sichtbaren Schwierigkeiten, die die Einzelmarktgebiete betreffen.
Mit einem Anteil von 81% am Gesamtenergieverbrauch bleiben fossile Brennstoffe die weltweit dominierende Energiequelle, so Energy Institutes „Statistical Review of World Energy 2023“. Seit 1986 hat sich die weltweite Energienachfrage verdoppelt. Von einer dringend benötigten systemischen Veränderung hinsichtlich Hyperkonsumgesellschaft und klimaschädlicher Wirtschaftswarentransporte keine Spur. Problematisch sind auch die global um 2,1% auf ein neues Rekordhoch gestiegenen Emissionen, die die Klimakrise vorantreiben. Der Weg zur Dekarbonisierung der Welt ist noch ein langer. Da die weltweite Energienachfrage perspektivisch weiter steigen wird, bedeutet das Zieldreieck aus Energiesicherheit, Bezahlbarkeit und Dekarbonisierung, dass erhebliche Investitionen in alle Energiequellen notwendig sind – und das unabhängig von Parteipolitik.
Eine positive Tendenz ist klar auszumachen: Der globale Anteil von PV- und Windenergie stieg 2023 von 7,4 % auf 8,2 %. Die Energiekrise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat einen anhaltenden Boom beim PV-Angebot gebracht. Dazu tragen Österreich und Deutschland ihren Teil bei, womit wir im Bereich der lokalen Komplexitäten sind. Die Erneuerbaren-Stromerzeugung hat im ersten 2024er-Halbjahr in Deutschland um 8% zugelegt, EU-weit sogar um 13%. Es sind nicht nur die Dekarbonisierungsziele, sondern eben die geringen Kosten und Risiken der Erneuerbaren, die den Trend weitertragen werden. Wie rasch die gewünschten Investitionen in Europa kommen, wird vom handwerklichen Geschick der (neuen) Parlamente bestimmt. Es gilt dabei, einen schmalen Grat nicht zu verlassen. Auf der einen Seite herrscht die Notwendigkeit eines schnellen Ausbaus, auf der anderen die Gefahr überbordender Bürokratie und energiewirtschaftlicher Probleme.
Zwei deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute haben in der Sommerzeit Studien zum Erneuerbaren-Ausbau veröffentlicht, die die Gefahren präzisieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beleuchtet, dass der PV-Ausbau den Plänen der deutschen Regierung vorauseilt. 91 GW sind bereits installiert. Anvisiert waren 88 GW für das gesamte Jahr 2024. Mit zunehmendem Ausbau wachsen aber die Hindernisse für das Stromsystem, warnt das Institut. So seien die am Großhandelsmarkt erzielbaren Preise für Solarstrom stark gesunken. Dies deute darauf hin, dass die Flexibilität im Stromsektor langsamer voranschreitet als die PV-Leistung. Ausgeprägte Niedrigpreisphasen in Stunden höchster Solarstromeinspeisung zeigten, dass die vorhandenen Speicher nicht ausreichen oder nicht preisglättend betrieben wurden. Herausfordernd sei, die im Tages- und Jahresverlauf stark schwankenden Solarstrommengen effizient in den Strommarkt zu integrieren. Dazu passen folgende Zahlen: In Österreich gab es in den letzten 10 Jahren durchschnittlich 90 negative Day-Ahead-Preise pro Jahr. 2024 sind es nach einem halben Jahr bereits 187 negative Stunden. Damit kannibalisieren PV-Anlagen ihren eigenen Erlös.
Es ist zu hoffen, dass die Markt- und Förderinstrumente politisch weiterentwickelt werden. Denn die zweite Pressemeldung könnte sonst Realität werden: Das RWI (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) bezweifelt die Nachhaltigkeit der Finanzierung des Solarstromausbaus in Deutschland. Im Jahr 2030 sollen 215 GW PV-Leistung in Deutschland installiert sein. Die angesprochene Einbindung der Speicher in das Stromsystem führt auch zu höheren Netzkosten. Das RWI zitiert den Deutschen Netzentwicklungsplan (NEP 2023), der davon ausgeht, dass insgesamt für den Ausbau der Hochspannungsüberlandleitungen sowie für die Onshore- und Offshore-Netze ca. 256,6 Mrd. Euro benötigt werden. Allein in diesem Jahr dürften daher die Erneuerbaren-Förderkosten bis 23 Mrd. EUR betragen. Das wären die doppelten Kosten im Vergleich zum deutschen Budget für 2024 und die Kosten dürften bei einem weiteren Ausbau ohne entsprechende Netzinfrastruktur weiter „explodieren“ so das RWI.
Wenngleich die Auswahl der Wirtschaftsforschungsinstitute eine gewisse Polarisierung der Meinung bedeutet, erscheint eines klar: Wir brauchen gut abgestimmte Lösungen, um den Netzausbau, die EE-Förderung und den Umbau des Stromsystems in Europa zu schaffen. Wir haben zu viel Stromerzeugung, insbesondere zur Tagesmitte und es fehlen zusätzliche, flexible Verbrauchseinheiten – am besten welche, die die Dekarbonisierung in anderen Sektoren vorantreiben: Batteriespeicher, Power2Heat-Anlagen, Elektrolyseure und Wärmepumpen. Im Endeffekt läuft es auf ein Rennen hinaus zwischen dem Ausbau weiterer Erneuerbaren Erzeugungsanlagen und dem Ausbau neuer Verbrauchseinheiten. Ohne diese neuen Verbrauchseinheiten und eine ausreichende Netzertüchtigung wird die PV-Einspeisung nicht gelingen. Und der Netzausbau und die Speicheroptimierung müssen dazu dienen, dass die Marktpreise wieder sinken. Sonst werden die Gesamtkosten aus Marktpreisen und Netzkosten in Europa dauerhaft im Vergleich mit den USA oder China signifikant höher bleiben.
Richten wir den Blick auf die Märkte. An den Fundamentaldaten der europäischen Energiepreise hat sich im Monatsvergleich nicht viel geändert. Europas Strom- und Gaspreise sind in diesem Sommer wesentlich tiefer als 2023. Wirtschaft und Energieverbrauch erfahren nur einen moderaten Anstieg, der durch das anhaltende Wachstum der erneuerbaren Energien überkompensiert wird. Frische Zahlen vom ersten Halbjahr 2024 zeigen die Stagnation: Im Jahresvergleich ist die Stromnachfrage in Deutschland wie auch im EU-Raum um ca. 1% angestiegen. Dazu passt der „Euro Area Manufacturing PMI“, dessen Juli-Wert ein verschlechtertes Stimmungsbild zeichnet. Während die Wachstumsraten in Frankreich schwach sind und in Österreich für 2024 mit Raten um die 0% von Expansion keine Rede sein kann, ist die Lage leicht optimistischer in Deutschland und Großbritannien. Dazu kommen die vollen Speicher, die EU-weit zu 89% gefüllt sind. Deutschland steht bei 93%, Österreich bei 90%. In den letzten beiden Jahren folgte auf volle Gasspeicher jeweils eine deutliche Reaktion der Spotpreise. Diese erlebten im August ihren Jahreshöchstwert, getrieben durch hohe Gaspreise und niedriges Windangebot.
Woher stammen die hohen Gaspreise, wenn nicht fundamental begründet? Die Energiepreisbildung war im August einer Periode ausgesetzt, in der geopolitische Ereignisse die analytische Prognose durchkreuzten. Zumindest ebbte der anfängliche Anstieg zum Monatsende wieder ab. Fundamentale Faktoren sind die spekulativen CO2-Positionen, der konstante Energieverbrauch und die stabile Gasversorgungslage. Preistreibend wirkten geopolitische Konflikte. Im Zuge der Gegenoffensive drangen ukrainische Streitkräfte in die russische Region Kursk vor, zur wichtigen Gasknotenstadt Sudzha, von der aus russisches Gas in den Westen transportiert wird. Ursächlich wirkte sich dies vor allem auf die Gaspreise aus, die entsprechend hohe Anstiege zu verzeichnen hatten. Auch die Risiken im Nahen Osten bleiben bestehen: Eine Reaktion des Iran mit einer fortschreitenden Gewaltspirale ist im Bereich des Möglichen. Jeglicher militärische Konflikt mit dem Iran bringt auch die Diskussion um den Transport durch die Straße von Hormus. Nicht nur ein wesentlicher Teil des Ölhandels passiert dieses Nadelöhr, auch die katarischen LNG-Mengen, die ca. 20 % des weltweiten LNG-Angebots ausmachen, fließen dadurch und wären bei einer Sperre betroffen.
Für diesen Herbst erwarten wir rein fundamental niedrige Preise, wobei eine deutliche Preisreduktion nicht zu erwarten ist, bleibt doch die geopolitische Gefahrenlage zu risikobehaftet und die Preisbildung zu signifikantem Teil psychologischer Natur. Zumindest scheinen die bearishen Fundamentaldaten aktuell wieder die Oberhand zu gewinnen. Hoffen wir darauf – nicht nur für stabile Energiepreise, sondern auch im Sinne von weniger Krieg in der Welt. Viel Erfolg bei Ihren Entscheidungen mit Energie!
Ihr Felix Diwok, CEO
Für das Team der Inercomp
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Market comment September
The holiday season is over and autumn is upon us with extremely important elections in Austria (National Council election on 29 September) and the USA (presidential election on 5 November). Both votes will shape the course of energy industry measures to combat the climate crisis in the coming years. At the same time, the end of summer 2024 has made us criminally aware that the global and local central European energy industry is facing a huge transformation. On the one hand, there is the publication of the 2023 global energy industry statistics and, on the other, the visible difficulties on the market that affect the individual market areas.
With a share of 81% of total energy consumption, fossil fuels remain the dominant source of energy worldwide, according to the Energy Institute's ‘Statistical Review of World Energy 2023’. Global energy demand has doubled since 1986. There is no sign of an urgently needed systemic change regarding a hyper-consumer society and the climate-damaging transport of economic goods. The global increase in emissions by 2.1% to a new record high, which is fueling the climate crisis, is also problematic. The road to decarbonizing the world is still a long one. As global energy demand will continue to rise in the future, the target triangle of energy security, affordability and decarbonization means that considerable investment is needed in all energy sources - regardless of party politics.
A positive trend is clearly discernible: The global share of PV and wind energy rose from 7.4% to 8.2% in 2023. The energy crisis resulting from the Russian attack on Ukraine has led to a sustained boom in PV supply. Austria and Germany are playing their part in this, which brings us to the area of local complexities. Renewable power generation increased by 8% in Germany in the first half of 2024 and by as much as 13% across the EU. It is not only the decarbonization targets, but also the low costs and risks of renewables that will drive the trend forward. How quickly the desired investments are made in Europe will be determined by the craftsmanship of the (new) parliaments. There is a fine line to tread here. On the one hand, there is the need for rapid expansion, while on the other there is the danger of excessive bureaucracy and energy industry problems.
Two German economic research institutes have published studies on the expansion of renewables during the summer period that clarify the dangers. The German Institute for Economic Research (DIW) highlights the fact that PV expansion is ahead of the German government's plans. 91 GW have already been installed. The target was 88 GW for the whole of 2024, but the Institute warns that the obstacles for the power system are growing with increasing expansion. For example, the prices achievable on the wholesale market for solar power have fallen sharply. This indicates that flexibility in the power sector is progressing more slowly than PV output. Pronounced low-price phases in hours of maximum solar power feed-in show that the existing storage facilities are not sufficient or are not operated in a price-smoothing manner. The challenge is to efficiently integrate the solar power volumes, which fluctuate greatly throughout the day and year, into the power market. The following figures fit in with this: In Austria, there has been an average of 90 negative day-ahead prices per year in the last 10 years. In 2024, there will already be 187 negative hours after six months. This means that PV systems are cannibalizing their own revenue.
It is to be hoped that the market and subsidy instruments will be further developed politically. Otherwise, the second press release could become reality: The RWI (Leibniz Institute for Economic Research) doubts the sustainability of financing the expansion of solar power in Germany. By 2030, 215 GW of PV capacity is expected to be installed in Germany. The integration of storage systems into the power system will also lead to higher grid costs. The RWI cites the German Grid Development Plan (NEP 2023), which assumes that a total of around EUR 256.6 billion will be required for the expansion of high-voltage overland lines and for the onshore and offshore grids. This year alone, the costs of subsidizing renewables are therefore likely to amount to EUR 23 billion. That would be double the costs compared to the German budget for 2024 and the costs are likely to ‘explode’ further if the expansion continues without the corresponding grid infrastructure, according to the RWI.
Although the selection of economic research institutes means a certain polarization of opinion, one thing seems clear: We need well-coordinated solutions to expand the grid, promote renewable energy and restructure the power system in Europe. We have too much power generation, especially in the middle of the day, and there is a lack of additional, flexible consumption units - preferably ones that drive decarbonization in other sectors: Battery storage, Power2Heat plants, electrolyzers and heat pumps. Ultimately, it boils down to a race between the expansion of further renewable generation plants and the expansion of new consumption units. PV feed-in will not succeed without these new consumer units and sufficient grid upgrading. And grid expansion and storage optimization must serve to ensure that market prices fall again. Otherwise, the total costs from market prices and grid costs in Europe will remain significantly higher than in the USA or China in the long term.
Let's look at the markets. The fundamentals of European energy prices have not changed much in a monthly comparison. Europe's power and gas prices are significantly lower this summer than in 2023, while the economy and energy consumption are only experiencing a moderate increase, which is being more than offset by the continued growth of renewable energies. Fresh figures from the first half of 2024 show stagnation: year-on-year, demand for power in Germany and the EU has risen by around 1%. The ‘Euro Area Manufacturing PMI’, whose July value paints a deteriorating picture of sentiment, fits in with this. While growth rates in France are weak and there can be no talk of expansion in Austria for 2024 with rates of around 0%, the situation is slightly more optimistic in Germany and the UK. Added to this are the full reservoirs, which are 89% full across the EU. Germany stands at 93%, Austria at 90%. In each of the last two years, full gas storage facilities were followed by a significant reaction in spot prices. These reached their highest level of the year in August, driven by high gas prices and low wind supply.
Where do the high gas prices come from, if not for fundamental reasons? Energy price formation in August was subject to a period in which geopolitical events thwarted the analytical forecast. At least the initial rise levelled off again at the end of the month. The fundamental factors are the speculative CO2 positions, constant energy consumption and the stable gas supply situation. Geopolitical conflicts had a price-driving effect. During the counter-offensive, Ukrainian forces advanced into the Russian region of Kursk, to the important gas hub city of Sudzha, from where Russian gas is transported to the West. This had a particularly strong impact on gas prices, which rose accordingly. The risks in the Middle East also remain: A reaction by Iran with a progressive spiral of violence is within the realms of possibility. Any military conflict with Iran also raises the issue of transport through the Strait of Hormuz. Not only does a significant proportion of the oil trade pass through this bottleneck, but Qatari LNG volumes, which account for around 20 % of the global LNG supply, also flow through it and would be affected in the event of a blockage.
We expect fundamentally low prices this autumn, whereby a significant price reduction is not to be expected, as the geopolitical threat situation remains too risky and pricing is to a significant extent psychological in nature. At least the bearish fundamentals seem to be gaining the upper hand again now. Let's hope so - not only for stable energy prices, but also in the sense of less war in the world. Good luck with your energy decisions!
Yours, Felix Diwok, CEO
For the Inercomp team