Mit Russlands Einmarsch in die Ukraine wächst das Risiko der Stagflation
Published 25 Februar 2022
Von @Andrew McCaffery Global CIO, Asset Management

Mit Russlands Einmarsch in die Ukraine wächst das Risiko der Stagflation Published 25 Februar 2022

Von: Andrew McCaffery, Global CIO, Asset Management

Nun ist das geschehen, wovor die NATO wiederholt gewarnt hatte: eine groß angelegte Invasion der Ukraine. Noch bis vor wenigen Tagen hatten sich die Märkte eingeredet, ein Einmarsch würde sich auf die ostukrainischen Separatistengebiete beschränken.

Nun werden sie mit der Aussicht auf eine deutlich breiter angelegte und langwierigere Invasion zurechtkommen müssen.

Noch sind viele Frage offen, sodass verlässliche Aussagen über die möglichen Folgen für die Finanz- und Aktienmärkte derzeit nicht möglich sind. Etwa die, wie stark der Widerstand der Ukrainer sein wird, wie umfangreich die Sanktionen der NATO-Verbündeten gegen Russland ausfallen und welche Folgen sie für die Energieversorgung haben werden, denn Europa bezieht einen erheblichen Teil seines Gases aus Russland.

In den nächsten Tagen werden wir erste Antworten auf diese Fragen bekommen. Klar ist aber jetzt schon, dass die Stagflation, also eine wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitiger Inflation, eher anhalten als abflauen wird. Höhere Energiepreise werden wohl auch auf andere Bereiche der Wirtschaft durchschlagen und wie eine Verbrauchssteuer wirken. Damit wird sich der kräftige Anstieg der Lebenshaltungskosten, der im Westen bereits im Gange ist, beschleunigen und eine Rezession wahrscheinlicher machen.

Auswirkungen auf den Markt

Für den Markt bedeutet dies zunächst, dass der Handel ausländischer Anleger mit bestimmten russischen und ukrainischen Wertpapieren beschränkt und in einigen Fällen sogar ganz eingestellt wird. Die Sanktionen könnten so weit gehen, dass der Westen den Kapitalverkehr nach und aus Russland gänzlich unterbindet, möglicherweise indem das Land aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen wird. Dies könnte große Probleme nach sich ziehen, da Russland dann wohl versuchen wird, Transaktionen über alternative Systeme abzuwickeln.

Gegenwärtig könnte ein SWIFT-Ausschluss als schärfste Waffe zurückgehalten werden. Allerdings ist angesichts der Energieabhängigkeit Europas von Russland damit zu rechnen, dass Sanktionen eher auf den Kapital- als den Warenverkehr abzielen werden. Russland ist ein wichtiger Produzent von Aluminium und Düngemitteln, aber natürlich auch von Öl und Gas. Es braucht Zeit, bis Lieferketten auf andere Länder und Quellen umgestellt sind. In einigen Fällen dürfte es gar unmöglich sein, die Versorgungslücke zu schließen.

Sollte sich der Konflikt jedoch nicht auf die Ukraine beschränken, könnte es zu Gegensanktionen kommen mit möglicherweise längerfristigen Auswirkungen auf die lokalen und internationalen Märkte. Eine einheitliche Haltung des Westens in der Frage der Sanktionen wird von entscheidender Bedeutung sein. Putin wird genau beobachten, ob die NATO in ihrer Reaktion auf die Krise geschlossen bleibt. Etwaige Schwachstellen wird er versuchen auszunutzen.

Reaktion der Zentralbanken

Im letzten Jahr sind die Zentralbanken zu einer restriktiveren Rhetorik übergegangen in der Absicht, die Märkte zu einer Straffung der realen Finanzbedingungen zu bewegen, ohne dass abrupte Zinserhöhungen dafür erforderlich sind. So sind wir beispielsweise schon länger überzeugt, dass die US-Notenbank wegen der hohen Verschuldung, die zur Bewältigung der Pandemiefolgen aufgebaut wurde, die Zinszügel nicht so schnell straffen müsste, wie sie angedeutet hat. Mit der Ukraine-Krise wird dies noch wahrscheinlicher. Denn auch wenn die Krise die Energiepreise weiter in die Höhe treibt, nehmen mit ihr auch die Risiken für das Wachstum zu — allen voran in Europa.

Den Zentralbanken dürfte es schwerfallen, bei einer Wachstumsabschwächung an ihrer restriktiven Rhetorik festzuhalten. Aber sie werden auch nicht in den Lockerungsmodus zurückfallen. Daher gehen wir davon aus, dass die Währungshüter weiter daran arbeiten werden, die Zinsschraube anzuziehen — aber im Schneckentempo, um eine Rezession zu vermeiden. Keine große Hilfe ist von der Haushaltspolitik zu erwarten angesichts der hohen Kosten der Pandemie und der innenpolitischen Herausforderungen, mit denen viele Industrieländer in diesem Jahr konfrontiert sind.

Auswirkungen auf die Vermögensallokation

Der Konflikt stellt zwar eine Bedrohung für russische und ukrainische Wertpapiere sowie für sämtliche Wertpapiermärkte auf dem europäischen Kontinent dar. Sollte er sich jedoch in Grenzen halten, könnten zu gegebener Zeit wieder andere Themen die Anlegerstimmung dominieren.

Anfang des Jahres waren wir gegenüber Risikoanlagen bereits vorsichtiger. Insbesondere gegenüber solchen aus den USA, wo wir im Vorfeld der Zwischenwahlen eine kompliziertere wirtschaftliche und politische Gemengelage erwarten. Stattdessen richten wir den Blick auf andere Regionen der Welt wie Japan, das von einer stabilen Inflation profitiert, und China, das einen anderen geldpolitischen Kurs eingeschlagen hat. Wir gehen davon aus, dass sich China zurückhalten und genau beobachten wird, wie sich die Krise zwischen Russland und der Ukraine weiter entwickelt.

Die chinesische Zentralbank hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Konjunkturzyklus die Zinsen erhöht. Daher ist sie nun nicht in der im Westen vorherrschenden geldpolitischen Dynamik gefangen und bewegt sich stattdessen auf eine Stabilisierung und dann vielleicht auf eine Stimulierung der Wirtschaft zu. Das dürfte den dortigen Märkten Rückenwind geben. Der chinesische Markt könnte daher Anlegern, denen die Ereignisse in Europa große Sorgen machen, eine Möglichkeit bieten, ihre Portfolios breiter aufzustellen, insbesondere wenn der Ansturm auf den US-Dollar nachlässt.

Wir erwarten, dass Kapital nach China und Asien sowie in andere Schwellenländer fließen wird, die von der Krise weniger betroffen sind und von einer Umstellung der Lieferketten profitieren könnten. Längerfristig dürften mehr Länder mit Hochdruck daran arbeiten, widerstandsfähiger gegen künftige Energieschocks zu werden. Allerdings dürfte der Übergang zu einem kohlenstoffärmeren Energiemix nicht reibungslos vonstattengehen und von Land zu Land unterschiedlich verlaufen.

Fazit

Die Märkte haben auf die groß angelegte Invasion der Ukraine mit massiven Verlusten reagiert. Die kommenden Tage dürften mehr Klarheit über die territorialen Ambitionen Russlands, die Gegenmaßnahmen des Westens und die damit verbundenen Risiken für Inflation und Wachstum bringen. Putins Äußerungen mögen sich in erster Linie an ein inländisches und ukrainisches Publikum richten. Dennoch müssen wir genau zuhören, um zu verstehen, ob dieser Konflikt und seine Auswirkungen für die Menschen und die Wirtschaft auf die Ukraine beschränkt bleiben oder ob Putin andere Grenzen austesten wird.

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Stand: Februar 2022, MK13802


Peter Schless

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